Derzeit in den Vorarlberger Kinos: The Zone of Interest (Foto: Filmcoopi Zürich)
Fritz Jurmann · 13. Okt 2012 · Musik

Szenisch neu gedeutet und musikalisch überzeugend: Der Götzner „Don Giovanni“ treibt es in Liebesdingen bunt

Eine faustdicke Überraschung erlebten zahlreiche Premierengäste am Freitag in der Götzner Kulturbühne AmBach. Wer beim dortigen Musiktheater Vorarlberg vor drei Jahren eine ziemlich desolate „Traviata“ erlebt hat, hegte die schlimmsten Befürchtungen für die neueste Produktion dieser Truppe, die sich diesmal mit Mozarts „Don Giovanni“ noch weit mehr vorgenommen hatte, nämlich nichts weniger als die „Oper aller Opern“. Doch allen Unkenrufen zum Trotz präsentierte das Ensemble eine musikalisch temperamentvolle wie szenisch spannende und von ihrer Qualität her insgesamt hoch professionelle Aufführung, die auch lautstark bejubelt wurde.

Eine von Sinnenfreuden sprühende Atmosphäre

Der Stoff, den Mozart 1787 nach Lorenzo da Pontes Libretto in Prag auf die Bühne brachte, ist altes europäisches Kulturgut: der Mythos vom unersättlichen Verführer und Frevler, der zur Hölle fahren muss. Mozarts geniale Musik stellt den Helden in eine von Sinnenfreuden sprühende Atmosphäre. Da ist Donna Anna, die Tochter des Komturs, die er zu verführen versucht und deren Vater er im Zweikampf tötet. Donna Elvira, die er verlassen hat und die zwischen Liebe und Hass schwankt. Zerlina, ein junges Bauernmädchen vom Lande, das seiner Werbung fast erliegt. Don Giovanni verkörpert eine Naturgewalt ohne Empfinden für Moral und Verantwortung, sein Lebensziel ist es, dasjenige weibliche Wesen zu erobern, in das er momentan verliebt ist. Das kann auf Dauer nicht gut gehen, und so ereilt diesen Helden denn auch schlussendlich das unvermeidliche Schicksal in den Flammen der Hölle.

Diese Oper um den größten Frauenhelden aller Zeiten ist allein von ihrer zeitlichen Ausdehnung von knapp drei Stunden reiner Spieldauer die wohl größte Herausforderung in der jahrzehntelangen, auf Alfred Mayer (der im Publikum saß) zurückgehenden Geschichte des heutigen Musiktheaters Vorarlberg in Götzis. Unter Führung der neuen Präsidentin Margit Hinterholzer und Produktionsleiterin Veronika Sutterlüty ist da zwar bei den über einhundert Mitwirkenden nach wie vor sehr viel Begeisterung und Ehrenamtlichkeit mit im Spiel, andererseits aber scheut man sich nicht, für die wirklich exponierten Partien auf der Bühne und im Graben Profis zu engagieren, die von vornherein ein entsprechendes Niveau garantieren.

Eine hormongesteuerte Gesellschaft

Und mit Barbara Schöne eine Regisseurin und Ausstatterin, die schon im Vorjahr bei „Hello Dolly“ überzeugen konnte und auch diesen weit komplexeren Stoff mit sicherer Hand in die Gegenwart umsetzt. Und dabei vieles neu deutet. Sie hat keine Scheu davor, Don Giovannis und der Damen Liebesgelüste auf der Bühne recht drastisch darzustellen, eine hormongesteuerte Gesellschaft kommt in einem bunten „Bäumchen, wechsle dich“-Spiel jeweils rasch zur Sache. Zugleich macht sie aber auch die inneren Konflikte der Damen deutlich im Hin- und Hergerissensein zwischen ihren Verlobten und dem lockenden Verführer. Nur Don Giovanni, der hat keinerlei Skrupel und nimmt, was er bekommen kann.

Als genialen Regieeinfall bindet Schöne mit einem weiblichen Tod und einem männlichen teuflischen Eros zwei allegorische Tanzfiguren ein, die die Handlung auf ihre Weise deuten und auch immer wieder darin eingreifen. So wird schon während der bebilderten Ouvertüre jedem klar: Dieser Wüstling nimmt einmal ein schlimmes Ende. Nylea Mata Castilla und der Schwarze Christopher Rudd gestalten dieses Tanzpaar sehr überzeugend, wenn man sich auch manchmal eine Arie wie etwa das berührende „Dalla sua pace“ ohne tänzerische Beigabe gewünscht hätte, die auch ablenken kann. Dagegen bleiben die kraftvollen Sprünge des Teufels während Don Giovannis „Champagner-Arie“ eine unvergessene artistische Einlage.

Masetto treibt es mit dem Teufel

Mit Don Giovanni, der in einem flatternden roten Seidenvorhang sein vorbestimmtes letales Ende findet, lässt Schöne entgegen dem Libretto auch Donna Anna und Donna Elvira in ihrer Verzweiflung sich selbst entleiben, mit Waffen, die der Tod ihnen zuvor gereicht hat. Die eine erschießt sich, die andere ersticht sich. Ob Zerline, die Dritte im Bunde, mit ihrem Masetto glücklich wird, der es kurz zuvor noch mit dem Teufel getrieben hat, bleibt offen. Die Damen kommen eben in diesem Stück nicht gerade gut weg, rotten sich aber kurz zuvor noch zu einem korporativen Kreuzzug gegen Don Giovanni zusammen – ein packendes Bild, das einer Darstellung der heiligen Inquisition entnommen sein könnte.

Barbara Schöne macht auch diesmal aus der Not des fehlenden Schnürbodens die Tugend des Einfallsreichtums in der Bühnengestaltung, indem sie zahlreiche einfache, kleine und große Versatzelemente in einer genau ausgeklügelten Choreographie immer wieder neu gruppieren lässt. Das erhöht Flexibilität und Spannung im Handlungsablauf, der im Übrigen durch eine sehr exakte Personenführung bei Solisten und Chor gekennzeichnet ist. Man spürt, da ist teils seit Jänner und vor allem in den letzten Wochen intensiv geprobt worden. Dazu kommt, wie stets in Götzis, eine ausgeklügelte Lichtregie, die vieles an fehlenden Bühnenmöglichkeiten wettmacht. Und eine deutsche Übertitelung trägt für das Publikum viel zum besseren Verständnis der natürlich original italienisch gesungenen Oper bei. Mehr kann man unter den gegebenen Umständen vom Äußeren dieser Aufführung nicht verlangen.

Ein homogener, schlanker Mozartklang im Orchester

Keine leichte Aufgabe war es sicher auch, Mozarts geniale Musik mit Arien und Ensembles, von denen jedes einzelne ein Geniestreich ist, nach heutigen Vorstellungen und Erwartungen umzusetzen. Nikolaus Netzer, der mit Erfahrungen als Kapellmeister und Chordirektor an den Opernhäusern Ulm und Innsbruck punkten kann, hat auch diese Werkwahl für Götzis nicht leichtfertig getroffen, wie sich jetzt zeigt. Er wusste sich eines eigens zusammengestellten, professionell besetzten Orchesters des Musiktheaters sicher, das er selber temperamentvoll oder in sanft lyrischem Ausschwingen immer wieder zu erstaunlichen Leistungen anfeuert.

Da entwickelt sich im Graben sehr rasch ein wirklich homogener, schlanker Mozartklang von großer Schönheit und klanglicher Ausgewogenheit, aus dem nur das Blech manchmal etwas heraussticht. Netzer lässt den Sängern auch ihren Freiraum zur Gestaltung und hält das Orchester gegenüber der Bühne gut im Zaum. Eine schöne Sonderleistung in der Begleitung der ausführlichen Rezitative bietet Eva-Maria Hamberger am seitlich postierten Cembalo. „Don Giovanni“ ist keine Choroper. So hat diesmal der von André Vitek einstudierte 25-köpfige Amateurchor des Musiktheaters neben wenigen gesanglichen Aufgaben, die nach besten Kräften erfüllt werden, auch die Rollen der Statisterie beim Begräbnis des Komturs oder beim Fest des Don Giovanni zu übernehmen. Die Bühnenmusik wird von Studierenden des Landeskonservatoriums Feldkirch sauber ausgeführt.

Solisten von gesanglicher Kompetenz und Spielfreude

Peter Schöne ist ein eleganter, aber noch etwas zu junger Don Giovanni, sein Bariton besitzt Ausdruck und Wärme, doch fehlt ihm als letzter Schliff noch eine Spur Verschlagenheit. Eine köstliche Buffofigur stellt Giorgi Darbaidze als Diener Leporello auf die Bühne, seine „Registerarie“ funkelt vor Spott für den Herrn. Vera Schoenenberg als weibliche Zentralfigur Donna Anna beherrscht die Bühne mit einer Traumstimme und einer großen Persönlichkeit, ihr zur Seite nach kurzer Anlaufzeit fast ebenbürtig, mit schön gestalteten Koloraturen, Amber Opheim als Donna Elvira.

Die dritte Dame im Bunde, Iris Mangeng als Zerlina, kommt aus Schruns, studierte am Mozarteum Salzburg und derzeit in Graz und macht ihre Sache in aller geforderten Schlichtheit ausgezeichnet. Byoung Nam Hwang bleibt als Don Ottavio in der Darstellung zwar etwas hölzern, seine schöne Leistung als lyrischer Tenor nimmt man gerne an. Till Bleckwedel ist ein in seiner Verzweiflung glaubhafter Masetto, Papan Khetchoumian bleibt als Kontur etwas die Schwärze der Stimme und der Figur schuldig.

So kann man auch als langjähriger Musikberichterstatter noch seine kleinen Wunder erleben. Wer bitteschön hätte sich zuvor gedacht, dass man ausgerechnet in Götzis, abseits unserer Musikzentren, einen „Don Giovanni“ von solcher Qualität erleben würde? Nach der Sparte Oper ist beim Musiktheater nächstes Jahr übrigens die Operette dran. Gegeben wird 2013 Emmerich Kalmans „Csardasfürstin“.

 

Weitere Aufführungen in der Kulturbühne AmBach in Götzis:
Sonntag, 14., Mittwoch, 17. und Sonntag, 21. Oktober, jeweils 18.00 Uhr
Freitag, 19. Oktober, 19.30 Uhr
Spieldauer knapp dreieinhalb Stunden inklusive Pause
www.mtvo.at