Derzeit in den Vorarlberger Kinos: The Zone of Interest (Foto: Filmcoopi Zürich)
Silvia Thurner · 11. Apr 2022 · Musik

Selbstverantwortung gewährte Freiheit mit Tücken – das fünfte Abonnementkonzert des SOV unter der Leitung von Kolja Blacher

Zu Zeiten von Haydn, Mozart und Beethoven war es üblich, Orchester vom Klavier oder vom Konzertmeisterpult aus zu leiten. Die Funktion des Dirigenten, der gegenüber den Musiker:innen positioniert agiert, etablierte sich erst später. Seit einigen Jahren wird dieses Prinzip des „Play and Conduct“ vermehrt, vor allem von Kammerorchestern, praktiziert. Im Rahmen des fünften Abonnementkonzertes musizierte der renommierte Geiger Kolja Blacher mit dem Symphonieorchester Vorarlberg Kompositionen von Beethoven, Haydn und Bernstein. Alle Beteiligten waren mit Spielfreude und Präsenz dabei, die Qualität der Werkdeutungen ließ jedoch Wünsche offen.

Der deutsche Violinist Kolja Blacher hat sich mit dem Prinzip des „play-lead“ einen Namen gemacht. Die Musizierhaltung mit dem Konzertmeister auf Augenhöhe gewährt jeder und jedem einzelnen Orchestermusiker:in viel Eigenverantwortung, die sich in den Stimmgruppen fortsetzt. Diese „Geistesgegenwart“ beim Musizieren stellte sich im großen Saal des Festspielhauses in der Werkdeutung der „Coriolan-Ouvertüre“ von Ludwig van Beethoven sogleich ein. Wirkungsvoll erklangen die dramatischen Schläge, die musikalisch eine unheilvolle Geschichte einleiten. Gleichzeitig offenbarte die Spielart von Kolja Blacher und dem Orchester jedoch auch das Risiko, das eine derart große Besetzung ohne koordinierenden Dirigenten eingeht. So entfaltete die musikalische Oberfläche zwar eine große Ausstrahlung mit einer bemerkenswert austarierten Dynamik, jedoch ließ die Innensicht auf musikalische Einzel- und Feinheiten manche Wünsche offen.


Schwungvoll war auch die Interpretation der „Sinfonie Nr. 95 in c-Moll (Hob. I:95)“ von Joseph Haydn angelegt. Die Musiker:innen spielten den Eröffnungssatz mit federndem Duktus, die unterschiedlich beleuchteten Themencharaktere im Andante kamen gut zur Geltung, das resolut in den Raum gestellte Menuett mit perkussiven „col legno Effekten“ der tiefen Streicher sowie ein schönes Violoncellosolo im Trio und der gemeinsam entwickelte Drive im Finalsatz belebten das Werk und verfehlten ihre Wirkung nicht. Doch auch hier gab es im Hinblick auf die Koordination der Phrasen sowie bei den Übergängen manche Unwägbarkeiten.

Hektisches Treiben

Bernsteins Serenade nach Platons „Gastmahl“ zelebrierte Kolja Blacher als Solist. Das selten zu hörende Werk verströmte in den Dialogen mit den gedämpften Geigen in den ersten beiden Abschnitten geheimnisvolle Schattenwirkungen und Steigerungen. Kolja Blacher gliederte seinen Solopart weitgehend ins musikalische Gesamtgeschehen ein und wirkte als Solist besonders im dritten Teil „Eryximachus“ ganz auf sich selbst konzentriert. Im Finale entfaltete sich der musikalische Fluss mit Spannkraft.


Der Solist hatte mit seinem Solopart alle Hände voll zu tun. Darüber hinaus musste sich Kolja Blacher in kurzen Spielpausen möglichst rasch zum Pult hinwenden, um die Orchestermitglieder anzuleiten. Und wenn dies alles nicht möglich war, kam der Konzertmeister auch noch dirigierend zu Hilfe. Bei mir weckte diese Musizierart weniger den Anschein eines musikalischen Enthusiasmus als vielmehr den eines hektischen Organisationseinsatzes, um doch noch glücklich ans Ende zu kommen. Wohl auch deshalb entwickelte sich kein übergeordneter musikalischer Leitgedanke heraus. Selbstverständlich verfehlten die für Bernstein typischen Folksongs und die an Swing und Blues angelehnten Jazzphrasierungen, die das Orchester zeitweise fast in die Rolle einer Jazzband schlüpfen ließen, die Wirkung beim Publikum nicht.

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