„Tancredi“ begeistert als Hausoper der Bregenzer Festspiele in glänzender Besetzung. (Foto: Bregenzer Festspiele/Karl Forster)
Fritz Jurmann · 16. Aug 2019 · Musik

Schnitzlers „Reigen“ mit Franui: Festspiel-Vergnügen auf höchstem Niveau

Das ist es, was Festspiele können müssen und was Bregenz mit seiner weitsichtigen Intendantin Elisabeth Sobotka auch laufend erfolgreich praktiziert: Den gleichen Stoff dem geneigten Publikum in verschiedenen Varianten vorzusetzen. Denn nur der Vergleich macht sicher, auch wenn er manchmal hinkt. So geschehen in den vergangenen Tagen mit Schnitzlers Schauspiel „Reigen“, das zunächst als zeitgenössische Oper mit der Musik von Bernhard Lang und nun am Feiertag noch als „Konzert mit Drama“ angeboten wurde, mit den beiden Top-Schauspielern Regina Fritsch und Sven-Eric Bechtolf und der herrlich verqueren Osttiroler Musikbanda Franui.

Was da so hochoffiziell klingt, könnte man eigentlich auch als „Lesung mit Musik“ bezeichnen. Doch in Wirklichkeit war es mehr als das, nämlich eine pralle Montage aus wunderbar rezitierten „Reigen“-Originaltexten und einer ebenso klugen wie hintersinnigen musikalischen Verbrämung, die Stimmungen aufgreift, schonungslos aufdeckt, weiterführt, kontrastiert und damit das bekannte Geschehen um zehn Liebesbeziehungen in einem fast mathematisch genau abgezirkelten Bäumchen-wechsle-dich-Spiel in einen völlig neuen Kontext stellt. Diese für Bregenz neue Form des Stückes verfehlte denn auch nicht ihre Wirkung. Das vollbesetzte Festspielhaus vergnügte sich zwei pausenlosen Stunden lang glänzend und erhielt als Zugabe vom Ensemble noch „unseren schönsten Trauermarsch“.

Zwei wunderbare Schauspieler

Im Mittelpunkt des Geschehens steht zunächst einmal der seriösere Teil: zwei wunderbare Schauspieler, die seit Jahrzehnten durch ihre Film und Theaterarbeit auch am Burgtheater, in der Regie und als Pädagogen große Namen besitzen. Es sind die in Hollabrunn geborene Regina Fritsch und der aus Darmstadt stammende Sven-Eric Bechtolf. Durch ihre Kunst der Sprache, durch ihre Persönlichkeit geben sie Schnitzlers beziehungsreich geflochtenen Dialogen ein hohes Maß an Überzeugungskraft, Authentizität und Glaubwürdigkeit. Sie machen sich aber auch den mokanten Charme und die Lockerheit dieser Gespräche als Sittenbild der Jahrhundertwende zu eigen und breiten einen Schleier dekadenter Kultiviertheit über die Eindeutigkeit dieser Situationen, die man heute höchstenfalls noch als indiskret einstufen würde. 
Mit einem kleinen Augenzwinkern, einem leisen Heben der Augenbrauen unterstreichen die beiden Schauspieler auch den Reiz der verbalen Erotik, die stets bei Andeutungen bleibt und niemals die rote Linie des gebührenden Anstands überschreitet. Angesichts dessen ist es aus heutiger Sicht auch ein Rätsel, warum die Zensur damals so dagegen gewettert hat und der Text von Schnitzler selbst lange unter Verschluss gehalten wurde. Auch einen Körperkontakt zwischen den beiden Protagonisten gibt es bloß einmal bei einem angedeuteten eleganten Handkuss des Grafen für die Dirne – schließlich ist es ja doch eine Lesung. Dafür entfaltet sich der Humor vor allem auch über Charakterisierungen und Dialekte, die Fritsch und Bechtolf ihren Figuren wie einen gut sitzenden Handschuh überziehen: der Soldat als Strizzi im breitesten Wiener Slang, das traumhaft böhmakelnde Stubenmädel, der abgehobene Dichter, die junge Frau in ihrer kecken Koketterie.

Franui – eine Kultband

Die andere Seite – das ist die ungeschminkte Realität einer „Band“ im besten Sinne, „Franui“ ist sie rätoromanisch nach einer Wiese im Osttiroler Innervillgraten benannt und mit zehn Topmusikern besetzt, die seit geschlagenen 26 Jahren in dieser Formation zusammenhalten wie Pech und Schwefel und längst Kultstatus erreicht haben. Zuletzt waren sie vor zehn Jahren bei den Bregenzer Festspielen, wie der musikalische Leiter Andreas Schett fast etwas vorwurfsvoll in Richtung Elisabeth Sobotka meint.
Und es war wirklich höchste Zeit, sich wieder mal an der Spielfreude dieser Truppe und den gekonnten Arrangements von Schett und Markus Kraler zu erfreuen, mit denen sie ihr reichhaltiges Instrumentarium zwischen Hackbrett, Blech, Violine, Klarinette und Harfe in Atem halten. Die Einfälle sind nicht zu stoppen, vor den beiden ist nichts und niemand sicher, was irgendwie stimmungsmäßig in diese Entstehungszeit der Jahrhundertwende passen könnte oder sonst einen Anknüpfungspunkt bildet. Da findet sich alles zwischen Schubert und Mahler, Brahms und Schumann, auch Eric Satie und Giuseppe Verdi werden nicht geschont und kommen ungeschönt zur Wirkung.
Das klingt dann oft ein bisschen fast nach „Bauernkapelle“, nach Zirkusmusik, auch nach Strawinskys „Geschichte vom Soldaten“ oder einfach wie leicht aufgeraute Musik unserer Zeit. Mehr soll es auch gar nicht sein, um das Mäntelchen der Urigkeit und Spontaneität nicht zu zerstören. Ein musikalisches „Wer bin ich“-Ratespiel bleibt dem Zuhörer erfreulicherweise erspart, da das Abendprogramm dazu erschöpfend Auskunft gibt.