Das Wiener Burgtheater war mit Molières „Der Menschenfeind“ unter der Regie von Martin Kušej im Bregenzer Festspielhaus zu Gast. (Foto: Matthias Horn)
Fritz Jurmann · 17. Aug 2016 · Musik

Opernstudio der Festspiele - Mozarts „Don Giovanni“ kommt in der Studentenbude die Doppelbödigkeit abhanden

Es muss nicht unbedingt ein Versäumnis sein und kann neue Einsichten eröffnen, von einer aktuellen Produktion anstelle der Premiere erst die zweite Vorstellung zu besuchen. Sie gilt beim Musiktheater erfahrungsgemäß als die beste: Das Premierenfieber der Darsteller ist weg, bevor sich die gern auftretende Verflachung in die Routine einstellt. Klappe „Die Zweite“ also am Dienstag am Kornmarkt für die aktuelle Produktion des Opernstudios der Bregenzer Festspiele mit Mozarts Oper „Don Giovanni“.

Tatsächlich bekommt das wieder ausverkaufte und am Schluss begeistert reagierende Haus die temporeiche Aufführung eines spiel- und sangesfreudigen jungen Ensembles von teils aufregenden Qualitäten vorgesetzt. Dazu kommen eine solide Leistung des Symphonieorchesters Vorarlberg unter Hartmut Keil und eine klobige, uncharmante, oft instinktlose Inszenierung der polnischen Regisseurin Barbara Wysocka und ihrer Bühnenbildnerin Barbara Hanicka. Der Arbeit der beiden Damen geht jede Zwielichtigkeit und Doppelbödigkeit ab, wie sie gerade dieses Werk vor anderen Mozartopern auszeichnet.

Lieblingsprojekt der Intendantin


Es ist der zweite Streich im Lieblingsprojekt von Intendantin Elisabeth Sobotka für angehende Profisänger, das alle drei Da-Ponte-Opern Mozarts umfasst, wenn auch nicht in der Reihenfolge ihrer Entstehung. Nach der vorjährigen „Cosi fan tutte“ (1790) wird es nach dem heurigen „Don Giovanni“ (1787) im nächsten Jahre noch „Le nozze di Figaro“ (1786) geben. Bei aller scheinbaren Leichtigkeit ist das absolut schwere Kost. Sie fordert ein gerüttelt Maß an Erfahrung von den Protagonisten ein, die vielleicht noch nicht überall so vorhanden ist wie bei langjährig ausgebufften Profis.

Und so hat dieses Team aus Sängern zwischen 21 und 29 aus acht Ländern, die man über internationale Wettbewerbe wie „Neue Stimmen“ verpflichtete, einfach die Flucht nach vorne angetreten und aus der Not eine Tugend gemacht. In Abstimmung mit der Regisseurin wurde dieser „Don Giovanni“ zeitlich in eine Studentenbude der 70er-Jahre zurückgebeamt. Eine Zeit also, die ihnen persönlich heute näherliegt als das historisch vorgegebene Sevilla des 17. Jahrhunderts, auch wenn alle zusammen in diesem jungen Team auch in den Siebzigern noch gar nicht auf der Welt waren. Es war dies bekanntermaßen die Zeit des revolutionären Umbruchs in eine neue sexuelle Freiheit, in Drogen- und Alkoholexzesse und eine beginnende Emanzipation der Frau.

Bühnenbild von erlesener Hässlichkeit


Die Idee ist an sich nicht schlecht und hätte wohl auch genügend Ansatzpunkte für eine spannende Deutung geboten. Deren Umsetzung freilich bleibt bloß in gut gemeinten Ansätzen stecken. Dazu gehört zuvorderst ein Bühnenbild von erlesener Hässlichkeit, mit einer weißen Wand quer über die Bühne mit fünf Türen, eine davon mit „WC“ beschriftet, hinter die manches Liebespaar rasch zum Vollzug verschwinden kann. Diese Wand dient während des langen Orchestervorspiels auch als Projektionsfläche von filmischem Originalmaterial aus den Siebzigern, mit dem nicht sehr originell die temporäre Ansiedlung der Handlung verdeutlicht werden soll, und erinnert manchmal peinlich an eine Tür-auf-Tür-zu-Schmonzette.

Die Inszenierung selbst bleibt in diesem als heiteres „Dramma giocoso“ eingestuften Stück, das tödlich beginnt und ebenso endet, fast alles an notwendigen Zwischentönen schuldig wie jenes Raffinement an Verführungskünsten, mit denen der unersättliche Liebhaber Don Giovanni die Frauen rumkriegen will. Da wird selbst beim Liebesduett mit Zerlina, „Reich mir die Hand, mein Leben“, ständig mit der Pistole herumgefuchtelt, bevor der Galan die Dame unbequemerweise gleich auf dem nebenliegenden Küchentisch zu vernaschen versucht.

Es bleibt, so wie bei allen weiteren Ansätzen, auch hier beim bloßen Versuch. Die Pistole wird anstelle des Degens im Libretto auch zum Werkzeug Giovannis beim Mord am Komtur. Das ist alles zu direkt, zu plump und oberflächlich, zu wenig feingliedrig und nimmt der von Sinnenfreuden sprühenden Atmosphäre, die die Musik Mozarts erzeugt, jedes Flair. Dass ausgerechnet bei der schönsten lyrischen Arie des Abends, Don Ottavios „Dalla sua pace“, im Hintergrund noch eine Putzfrau herumwerkeln muss, ist durch nichts logisch zu begründen und zieht einem den Nerv.

Musikalisch ein Geniestreich


Die Musik im „Don Giovanni“ ist insgesamt ein Geniestreich. Sie strotzt ja nur so von einer Überfülle köstlicher Einfälle, die Mozart dem jeweiligen Anlass der Handlung und der dazugehörigen Person entsprechend in eine Fülle von Arien, Duetten und Ensembles gekleidet hat wie etwa die kostbaren mehrstimmigen Finali des ersten und zweiten Aktes. Diese Musik ist, wie schon im Vorjahr, bei dem deutschen Dirigenten Hartmut Keil in besten Händen. Er ist ein kundiger Kapellmeister der alten Schule, der wie weiland Mozart himself zwischendurch die vielen Rezitative vom Hammerflügel aus nicht nur begleitet, sondern fantasievoll ausziert. Das bei dieser zweiten Vorstellung motiviert, sauber und präzise aufspielende SOV lässt er freilich in seinen Solopassagen manchmal lautstärkemäßig allzu sehr von der Leine.

Der einzige wirkliche Feind dabei ist die bekanntermaßen problematische, weil viel zu trockene Akustik des Kornmarkttheaters. Dadurch werden die Töne nicht abgefedert, sondern kommen ungemischt und zu direkt zum Zuhörer. Ein wirklich abgerundeter, schöner Mozartklang hört sich anders an. Dazu wird den Musikern heuer erstmals auch die Aufgabe als antwortender Chor in einer Zerlina-Arie im 1. Akt zugeteilt, der sie respektabel nachkommen. Immer noch weit besser als die laut Programm zunächst geplante Tonband-Zuspielung des Prager Philharmonischen Chors.

Strapazierfähiges Ensemble


So wie das Orchester zeigen auch die jungen Sänger an diesem (zu) langen, dreieinhalbstündigen Abend, bei dem einige übliche Striche durchaus statthaft gewesen wären, Durchhaltevermögen ohne jede Ermüdungserscheinungen. Unter anderem gebrieft durch Brigitte Fassbaender, sind sie in kurzer Probenzeit zu einem erfreulich homogenen Ensemble mit spürbarem Teamgeist zusammengewachsen und überzeugen in unterschiedlichen Ansätzen großteils stimmlich wie darstellerisch.

Da ist der Innsbrucker Bariton Wolfgang Stefan Schweiger in der Titelrolle, äußerlich mit Lederjacke, Halstuch und Sonnenbrille auf Stenz oder Strizzi getrimmt, der stimmlich etwa in seiner „Champagner-Arie“ mit schönen Mitteln arbeitet und auch seine späte Wandlung und Einsicht glaubhaft machen kann. Die überzeugendste Charakterstudie des Abends und ein Kabinettstückchen seiner Kunst liefert der Kroate David Ostrek mit wunderbar tragendem Bass als dessen Diener Leporello mit der berühmten „Registerarie“, in der er die in die Tausende gehenden Affären seines Meisters aufzählt. Der chinesische Tenor Dashuai Chen setzt als Don Ottavio seine Stimme in großer Schönheit und Ausgewogenheit ein, der koreanische Bassbariton Jung Rae Kim überzeugt durch eine solide Leistung. Etwas blass dagegen bleibt die Figur des Komtur, besetzt mit dem schottischen Bass Dominic Barberi, der als mahnende Figur des schicksalshaften „Steinernen Gastes“ immer wieder auftaucht, im eleganten Trenchcoat jedoch eher dem Inspektor Columbo gleicht und auch stimmlich zu wenig Bedrohlichkeit ausstrahlt.

Die drei Damen des Ensembles sind von Persönlichkeit, Stimmfarbe und -charakter sehr deutlich voneinander abgehoben. Da ist die russische Sopranistin Oksana Sekerina, als Donna Anna die größte und tragendste Mozartstimme dieses Abends und eine Bühnenpersönlichkeit mit überragender Ausstrahlung. Mit eher verhaltenen Tönen trumpft die brasilianische Sopranistin Camila Titinger als Donna Elvira auf, und auch das Nesthäkchen dieses Terzetts, die israelische Mezzosopranistin Hagar Sharvit, kann in ihrer mädchenhaften Spielfreude als Zerlina gefallen.

 

W. A. Mozart: „Don Giovanni“, Oper in zwei Akten
Eine Produktion des Opernstudios der Bregenzer Festspiele
Weitere Aufführungen: Do, 18., und Sa, 20. August, jeweils 19.30 Uhr, Vorarlberger Landestheater, Bregenz
Dauer: dreieinhalb Stunden inklusive Pause