Neu in den Kinos: „Challengers – Rivalen“ (Foto: MGM)
Fritz Jurmann · 25. Okt 2013 · Musik

Ohren- und Augenweide - Attraktives Schwesternduo Gazzana mischt Dornbirns Klassikszene gehörig auf

Zwei Schwestern, von solch klassisch ebenmäßiger Schönheit, dass sie locker jedes Model-Casting gewinnen würden. Mit langem schwarzen Haar und ebensolchem Abendkleid, schulterfrei. Natascia spielt Violine, Raffaella Klavier, zusammen sind sie das längst international tätige italienische Duo Gazzana, das am Donnerstag zum Saisonstart von Dornbirn Klassik im Kulturhaus gastiert. Das Spiel der beiden jungen Damen ist untadelig, doch ihre scheinbare Arroganz dem Publikum gegenüber, die sich mit der Zeit als überspielte Schüchternheit herausstellt, schmälert doch etwas den Erfolg dieses Abends.

Scheibchenweise Neues


Im Hintergrund arbeitet Kulturamtsleiter Roland Jörg wie seit Jahren mit großer Konsequenz weiter an seiner Salamitaktik, dem über Jahrzehnte mit großen Orchestern und klassisch-romantischem Repertoire traditionsverliebt gewordenen Dornbirner Publikum Augen und Ohren zu öffnen für die Schönheiten aktuellerer Musik. Dies geschieht mit großer Vorsicht, denn man will ja die zahlenden Besucher nicht verärgern, und nur scheibchenweise.

So wie diesmal, als die Romantik-Heroen Schumann und Brahms zwei „Neutöner“, deren Musik sich dann als gar nicht sonderlich avantgardistisch herausstellt, quasi in ihre Mitte nehmen: der Este Arvo Pärt, längst eine Kultfigur der Neuen Musik, und der noch weniger bekannte ukrainische Komponist Valentin Silvestrov. Ein Auf und Ab der Eindrücke und Gefühle wie auf einer Hochschaubahn also für die Zuhörer, mit wirkungsvollen Kontrasten und aufgezeigten Bezügen zwischen verschiedenen musikalischen Welten.

Der Abend beginnt ganz konventionell mit Robert Schumanns a-Moll-Sonate op. 105. Die Ecksätze gestalten die beiden ganz im Sinne des Komponisten „mit leidenschaftlichem Ausdruck“, technisch bravourös und in ganz enger geschwisterlicher Korrespondenz, die nicht nur aus der viel zitierten, etwas einfältig klingenden „Stimme des Blutes“ abzuleiten ist, sondern einfach aus der gemeinsam genossenen Ausbildung. Sie gehen dynamisch, in kleinen Ritardandi und vielen Details aufeinander ein, da ist oft verblüffende Synchronität gegeben. Und lassen gemeinsam den Mittelsatz als idyllische Märchenerzählung in vollem Melos strömen.

„Fratres“ wird zum Erlebnis


Dann ein Kernstück dieses Abends, das berühmte „Fratres“ von Arvo Pärt, so erfolgreich, dass es nach seiner Entstehung 1977 im Original für Streichorchester bereits weitere acht Bearbeitungen davon gibt. Jene für Violine und Klavier entstand 1980 im Auftrag der Salzburger Festspiele für Elena und Gidon Kremer. In seiner schlichten, reduzierten Kompositionsweise variiert Pärt hier ein Thema über dem stets gleichen Harmoniegefüge, verlangsamt durch eine Art Wellenbewegungen den Zeitbegriff für den Zuhörer und erreicht so eine stark meditative Wirkung. Auch seine berühmten „Glöckchen“, die er nach Befassung mit dem Gregorianischen Choral und der Vokalpolyphonie in seine sehr individuelle Schreibweise hatte einfließen lassen, sind für die Zuhörer ein deutlicher Anhaltspunkt.

Die Gazzana-Schwestern verwenden viel Aufmerksamkeit, deutliche Zuneigung und alle Zeit der Welt für eine ganz in sich ruhende, durch ihre Inwendigkeit berührende Wiedergabe dieses weniger technisch als stimmungsmäßig fordernden Werkes. Und man spürt hier erstmals, dass die beiden aus dem „Stall“ von ECM-Boss Manfred Eicher in München stammen, der sich u. a. mit der in St. Gerold produzierten Sensations-CD „Officium“ mit dem Saxophonisten Jan Garbarek und dem Hilliard-Ensemble seit Jahrzehnten höchst erfolgreich auf diesen musikalischen Bereich spezialisiert hat.

Romantisches Schmankerl


Danach bekommen die Zuhörer nochmals ein romantisches Schmankerl, ein Scherzo diesmal von Johannes Brahms. Und das Duo gibt in einer beflügelten, spielfreudigen Wiedergabe dem Namen dieses Stückes alle Ehre. Die Pianistin Raffaella ist die energischere der beiden jungen Künstlerpersönlichkeiten, von der immer wieder deutliche Impulse ausgehen. Sie bestimmt in gestalterischer Überlegenheit und klarer Anschlagskultur nicht nur, wo es musikalisch lang geht, sondern auch so banale Dinge wie die Anzahl der Verbeugungen. Natascia an der Violine dagegen, eine Geigerin mit energischem Strich und lupenreinem Ton, lässt sich lieber führen.

Die Überraschung des Abends folgt nach der Pause mit Musik von Valentin Silvestrov. Der 1937 geborene Ukrainer war wie viele seiner Komponistenkollegen in der Sowjetunion mit seiner früheren westlich avantgardistischen Musik jahrelang Repressalien durch das damalige Regime ausgesetzt, bis er sich zu einer radikalen Wende in einer Art neuer persönlicher Einfachheit und Neo-Romantik entschloss. Von da an hatte er seine liebe Ruhe, allerdings hat er für meinen Geschmack mit diesem Schritt zurück doch etwas übertrieben.

Seine fünf Stücke für Violine und Klavier klingen stilistisch, als ob sie nicht 2004, sondern mindestens einhundert Jahre früher entstanden wären, und dazu in ihrer kompositorischen Ausprägung eher harmlos bis belanglos. Wenigstens eine Spur mehr Raffinement hätte man sich da gewünscht, so aber grenzt diese „Neue Musik“ fast an Etikettenschwindel. Zumindest dem Publikum scheint das gefallen zu haben. Immerhin etwas.

In romantischem Duktus


Die eher stumpfe Akustik des Dornbirner Kulturhauses bringt die neuere Musik in ihrer Kargheit gut zur Wirkung, für das romantische Repertoire bleibt sie etwas spröde. Hier hätte man sich natürlich mehr Raum und damit klangliche Wirksamkeit gewünscht. Das wurde auch beim letzten Werk des Abends deutlich, der zweiten Violinsonate A-Dur op. 100 von Johannes Brahms, bei der Musikfreunde stets über die darin verarbeiteten Themen aus Wagners „Meistersingern“, bzw. eigenen Liedthemen des Komponisten rätseln. Ganz abgesehen davon ist es ein kompakt gebautes, mitreißendes Werk mit toller Finalwirkung.

Die beiden Damen interpretieren auch sehr hingebungsvoll und engagiert in romantischem Duktus und perfekter Balance jede Note von Brahms. Was ihnen noch fehlt, ist ein freieres Spiel, ein Loslösen vom bloßen Notentext, ein Herausgehen aus der akademisch begrenzten Norm und ein Zugehen auf das Publikum – dann wäre dort auch die Begeisterung eine noch größere.

 

Nächstes Abo-Konzert bei Dornbirn Klassik:

Mo, 2. Dezember, 19.30 Uhr, Kulturhaus Dornbirn – Kammerorchester Basel, Leitung Philippe Bach, Solisten: Xavier de Maistre, Harfe, Lilia Tripodi, Mezzosopran – Werke  von Manuel de Falla, Joaquin Rodrigo, Rico Gubler (UA) und Juan Crisóstomo de Arriaga