Tobias Grabher, die Camerata Musica Reno und Michael Köhlmeier bescherten dem Publikum ein „österliches Cineastenfest“.
Silvia Thurner · 01. Nov 2009 · Musik

Mutig und mit Feuereifer bei der Sache - kann das genügen? Jürgen Natter musizierte mit seinem neu gegründeten „Karl Richter Ensemble“ und dem Madrigalchor

Jürgen Natter hat in den vergangenen Jahren als Organist viel Aufmerksamkeit auf sich gelenkt. Als Veranstalter und Ensembleleiter tritt er seit kurzem in Erscheinung. Der Chorleiter, Dirigent, Organist, Cembalist und berühmte Bachinterpret Karl Richter ist das große Vorbild von Jürgen Natter. Diesem Reverenz erweisend, gründete er das „Karl Richter Ensemble“ und führte in der Kapelle des Landeskonservatoriums Werke von Johann Sebastian Bach auf. Außergewöhnlich ist der interpretatorische Zugang von Jürgen Natter deshalb, weil er sich von der historischen Aufführungspraxis weitgehend lossagt und Bach nach seinen individuellen Vorstellungen zu Gehör bringen will. Doch der musikalische Gesamteindruck des Konzertabends, bei dem auch der Madrigalchor und SolistInnen mitgewirkt haben, war enttäuschend.

Diffuse Klangwirkungen

Einleitend musizierte das „Karl Richter Ensemble“ Bachs Orchestersuite, Nr. 3 in D-Dur, BWV 1068. Das Orchester und Jürgen Natter, der vom Cembalo aus das Ensemble leitete, fanden in der Kapelle des Landeskonservatoriums für ihr Vorhaben schwierige akustische Bedingungen vor. Die dritte Orchestersuite erhält ihren besonderen festlichen Glanz durch den Trompetenpart, der dem Streicher- und Holzbläserensemble zur Seite gestellt ist. Anfangs mussten sich die MusikerInner jedoch orientieren und erst zueinander finden, dementsprechend grell wirkten die Blechbläsereinsätze und undifferenziert der Orchesterpart. Jürgen Natter steigerte die Musik, setzte unterschiedliche Tempi ein, um abschnittweise die Musik wie durch ein Vergrößerungsglas zu zeigen. Die berühmte Air musizierte das Ensemble gefühlsbetont und mit einem dynamisch abgerundeten Gesamtklang. In den nachfolgenden Sätzen waren die Streicher jedoch weitgehend ungenau zu hören, die Linien wirkten verworren und in sich nicht gut ausbalanciert. Lediglich am Schluss wurden die harmonischen Durchgänge plastisch ausgeformt. Im Stehen musizierte das „Karl Richter Ensemble“ Bachs Brandenburgisches Konzert, Nr. 3, G-Dur, BWV 1048. Vorteilhaft wirkte sich Jürgen Natter am Cembalo aus, der die Basso Continuogruppe unterstützte und dem ganzen Ensemble Halt bot. Vor allem die Cadenza für Cembalo solo war eine dramatischen Drehscheibe, die Spannung erzeugte. Virtuos, mit wirbelnden Motiven floss der Finalsatz dahin, leider wirkten dabei die Streicher eher wenig brillant.

Chor- und Orchester

Im zweiten Konzertteil musizierte das „Karl Richter Ensemble“ gemeinsam mit dem Madrigalchor zwei Kantaten von Johann Sebastian Bach. Guntram Simma hatte die beiden Kantaten „Ach wie flüchtig, ach wie nichtig (BWV 26) und „Wachet! Betet! Seid bereit, allezeit! (BWV 70) mit „seinem“ Chor einstudiert. Als Solisten waren Alena-Maria Stolle (Sopran), Manja Ilgen (Alt), Christoph Rösel (Tenor) und Jörn Sakuth (Bass) engagiert. Eher polternd im Orchester und resolut im Chor wurde die Kantate „Ach wie flüchtig, ach wie nichtig“ eröffnet. Die Solisten interpretierten ihre Parts durchwegs gut, wenngleich mit teilweise zu viel Vibrato. Der Bassist verfügte über eine flexible Stimmte, klebte jedoch sehr am Notentext. Höhepunkt der Werkdeutung war der Schluss des Sopranrezitativs „Die höchste Herrlichkeit und Pracht“, die in den Schlusschoral des Chores hinüber geführt wurde. Der Chor sang mit einer ausgewogenen Stimmenbalance und das Orchester war ein ebenbürtiger Partner. Dieser Eindruck setzte sich in der nachfolgenden Bachkantate „Wachet! Betet! Seid bereit, allezeit!“ (BWV 70) fort. Mit Bedacht auf melodische Einzelheiten musizierte das Orchester, abschnittweise wäre mehr Dramatik wünschenswert gewesen.

Gedanken am Ende eines Konzertabends

Leidenschaftlich agierte Jürgen Natter, er war ganz bei den MusikerInnen und bemühte sich, seine Intentionen zum Ausdruck zu bringen. Ich habe den Eindruck, dass er als Interpret die Intentionen seiner individuellen Werkdeutungen sehr gut zum Ausdruck bringen kann. Allerdings lassen sich eigene Klang- und Stilvorstellungen nicht einfach auf ein ganzes Orchester übertragen. Diese zu bündeln und die Quintessenz musikalisch transparent zu gestalten, ist eine langfristige Arbeit. Jürgen Natter lässt, wie sein „Spiritus Rector“ seinerzeit auch, die historische Aufführungspraxis weitgehend außer Acht. Dabei muss er jedoch bedenken, dass jenes Publikum, das Alte Musik hört, ein geschultes und auch kritisches Ohr hat. Denn viel ist über die Originalklangbewegungen und die historische Aufführungspraxis geredet und berichtet worden. Die Ergebnisse sind in sehr vielen Aufnahmen zu erleben. Vor allem in akustisch halligen Räumen wirkt sich eine straffe Phrasierung und differenziert eingesetzte Artikulation vorteilhaft auf die Rezeption der Musik aus. Meiner Meinung nach hat vor allem der eher breit angelegte, mehr orchestral als musikimmanent gedachte Interpretationsansatz von Jürgen Natter den Werkdeutungen viel Transparenz und auch Esprit genommen.