aktionstheater ensemble: „Wir haben versagt“ (Foto: Stefan Hauer)
Fritz Jurmann · 09. Okt 2021 · Musik

Musiktheater Vorarlberg landete Volltreffer: Beste Musical-Unterhaltung mit „My Fair Lady“ auf Vorarlbergerisch

Beim Musiktheater Vorarlberg wird wieder gespielt, nach der Operette „Die Fledermaus“ vor dem Pandemie-Jahr widmet sich die Dreispartenbühne diesmal dem Musical. Frederick Loewes „My Fair Lady“ ist angesagt, ein Standardstück des Genres, das dank der darin enthaltenen Hitparade unsterblich gewordener Songs fast 70 Jahre überdauert und nur bei der Jugend etwas von seiner Popularität eingebüßt hat. Das war auch bei der Premiere am Freitag in der ausverkauften Kulturbühne AmBach der Fall, wo sich das Publikum von einer spritzig aufgepeppten Inszenierung, einer musikalisch hochkarätigen Umsetzung und einer gerade nach Corona unglaublich spielfreudigen Besetzung zu Standing Ovations und Begeisterungsstürmen hinreißen ließ.

Mit dieser Auswahl verbunden war die Absicht des mtvo-Teams mit Intendant Nikolaus Netzer und Präsidentin Margit Hinterholzer an der Spitze, dieses Stück mit 120 Mitwirkenden nicht auf die leichte Schulter zu nehmen oder bloß oberflächlich abzubilden, sondern zu hinterfragen. Auch den entsprechenden Zündstoff etwa um die Emanzipation der Frau herauszuarbeiten, der noch auf die Vorlage von George Bernard Shaws „Pygmalion“ von 1913 zurückreicht. In der erstmals hier tätigen quicken jungen deutschen Regisseurin Maria Kwaschik hat man eine fantasievolle und engagierte Mitstreiterin gefunden, der dazu ganz viel eingefallen ist.     

Erste „Vorarlberger Version“

Da ging es einmal darum, ob das Blumenmädchen Eliza zunächst im Slang Berlinerisch oder Wienerisch spricht, bevor sie vom gestrengen Professor Higgins sprachlich zur Hochsprache domestiziert wird und damit Eingang in die bessere Gesellschaft findet. Man konnte sich schlussendlich für keine der beiden Fassungen erwärmen und wollte das in einer Spezialversion in einem Gemisch aus Vorarlberger Dialekten umzusetzen. Diese zündende Idee krankt in der Praxis allein an der Tatsache, dass die Hauptdarstellerin Sabine Winter den heimischen Dialekt nicht mit der Muttermilch eingesogen hat, dieser damit für sie eine Art Fremdsprache bedeutet, den man ihr eingecoacht hat und sie dabei in der Aussprache auch nicht immer verständlich genug ist. Schließlich ist man froh, als sie nach dem berühmten „Es grünt so grün…“ endlich bei dem ihr vertrauten Hochdeutsch gelandet ist. Das bleibt aber auch die einzige kleine Macke, die an Sabine Winter auszusetzen ist, die im Übrigen in jeder Hinsicht eine Idealbesetzung dieser Figur darstellt. Die Leichtigkeit und Eleganz ihrer Stimme, mit der sie ihre Songs zu kleinen Kostbarkeiten hochstilisiert („Ich hätt‘ getanzt heut‘ Nacht“ am Schluss im Piano!), ihre schauspielerische Wandlungsfähigkeit vom armen Blumenmädchen zur starken jungen Frau, die sich in einem Eklat gegen den herrschsüchtigen Professor zur Wehr setzt, lassen nicht unberührt.
Eine kleine Ironie am Rande ist es, dass genau jene Figur des Prof. Higgins, die die Schönheit der deutschen Hochsprache als höchstes Ideal predigt, dieser eigentlich gar nicht mächtig ist, nämlich des Bühnendeutsch, wie es jeder gelernte Schauspieler pflegt. Beim Sprechen klingt bei Riccardo Di Francesco stets noch der gebürtige Hohenemser durch. Dafür wirkt der professionell ausgebildete Sänger mit dem Künstlernamen durch seine forsche Art im Spiel überaus glaubhaft, auch seine gesanglichen Einlagen mit gepflegter Stimme nimmt man dankbar zur Kenntnis.  

Eliza zur Kunstfigur degradiert

Aufgrund einer Wette mit Oberst Pickering, sympathisch dargestellt von dem smarten mtvo-Dauergast Reinhard Razen, will Phonetiker Higgins das Blumenmädchen Eliza sprachlich zur Dame machen, rein als Selbstbestätigung, der sie dabei aber nur als Kunstfigur seiner Sprach-Pädagogik betrachtet und keinerlei Rücksicht auf ihre Gefühle nimmt. Sie aber will letztlich von ihm auch als Mensch wahrgenommen werden. Der Konflikt, der sich daraus in dieser Komödie entwickelt, macht das Musical im Finale zu einem ernsthaften Schauspiel mit viel psychologischem Tiefgang, bei der sich Higgins („Ich bin gewöhnt an ihr Gesicht“) schlussendlich in die Arme seiner Mutter vergräbt – eine wunderbare Charakterstudie von Gisela Razen. Eliza aber flüchtet in die Arme ihres Verehrers Freddy, mit hellem Tenor im Stil von Max Raabe mit dem Song „In der Straße wohnst du“ dargestellt von dem Schweizer Samuel Tobias Klauser. Der aus Schwarzach stammende Clown Stefan Damm rettet sich als Elizas Vater Alfred P. Doolittle als stets lustiger Trunkenbold („Bringt mich pünktlich zum Altar“) über kleine gesangliche Defizite hinweg. Trotz der straffen Regie hätten im Finale freilich ein paar Striche gutgetan, damit das Geschehen ohne Durchhänger sein Ende findet.
Dafür ist Regisseurin Maria Kwaschik zuvor um einen flotten, konzentrierten Ablauf des Geschehens bemüht, das keine Chance für Leerlauf bietet. Sie beginnt und beendet das Geschehen als besonderen Einfall im Zirkusmilieu, das mit bunten Lichtergirlanden, Artisten und Kindern die Atmosphäre des einfachen Lebens vermittelt, wo Eliza beginnt und wohin sie nach ihrem Abenteuer mit Higgins wieder zurückkehrt. Erfreulich, dass auch die Bühne (Isabelle Kaiser) nicht wie früher so vollgeräumt ist, dass sich drängende Enge ergibt. Als Schauplatz dient über lange Strecken ein offener Wohnwagen, in dem sich Sprach-Tonaufnahmen, Dialoge, Gefühlsausbrüche und die schrille Pieps-Stimme von Higgins‘ köstlicher Hausdame Mrs. Pearce in der Person der Bludenzerin Monika Bonner die Waage halten. Ein eingezogener weißer Tüllvorhang und ein Flügel symbolisieren die Ballszene, bei der sich Eliza bewähren muss, eine Vorbühne, ganz nah am Publikum, gibt zudem Gelegenheit für kleinere Soli und Ensembleauftritte.  

Ascot-Gavotte in Sportkleidung

Apropos: Während in allen gängigen Versionen die Szene des Pferderennens in Ascot mit herausgeputztem Adel, die Damen mit Riesenhüten, die Herren im Cut, dargestellt wird, hüpft hier der Chor in Sportbekleidung mit kurzen Hosen und T-Shirts (Kostüme: Nicole Wehinger) winkend auf die Bühne und singt seine „Ascot-Gavotte“ – eine von vielen faustdicken Überraschungen dieser Inszenierung. Die bewährte Sängerschar hat sich über Generationen hinweg von Darina Naneva fachkundig auf ihre Aufgabe vorbereitet und erfüllt neben den stimmlichen Anforderungen auch einiges an Bewegungsregie (Choreografie Mirjam Karvat). Mit besonderer Grazie agieren die vier Ballettmädels unter Verena Russo-Haftel.
Schließlich ist die Musik beim Tiroler Dirigenten Michael Mader, der hier bereits den „Orpheus“ geleitet hat, mit seiner Erfahrung im Musiktheater in besten Händen. Er geht sorgsam mit der Musik Loewes um, der in seinen Songs mit lockerer Hand weit mehr als bloße Schlager geschaffen hat. Nicht umsonst haben sich seine melodischen Einfälle oft über Jahrzehnte als Evergreens erhalten. Mader kann auf ein routiniertes, respektabel besetztes Orchester aus gerade 28 bewährten heimischen Musikern zählen, ein Teil davon aus dem SOV, die nach viel mehr klingen. Weil sie mit persönlichem Einsatz spielen, vor allem, wenn es etwas ins Swingende und Jazzige geht und das Orchester in den fetzigen Arrangements manchmal klingt wie eine gut geölte Big-Band mit Streichern. Auch hier also: ein Volltreffer!

Weitere Aufführungen:
So, 10., Di, 12., Do, 14., Sa, 16. Oktober, jeweils 19.00 Uhr, Kulturbühne AmBach, Götzis
Di, 19. Oktober, 20.00 Uhr, Reichshofsaal, Lustenau
www.mtvo.at