"Rickerl – Musik is höchstens a Hobby" derzeit in den Vorarlberger Kinos (Foto: 2010 Entertainment / Giganten Film)
Silvia Thurner · 18. Apr 2018 · Musik

Musikalische Kreativität mit Weitblick – das Russian National Orchestra und Mikhail Pletnev gefielen, der Pianist Lucas Debargue faszinierte

Seit dem Tschaikowsky-Klavierwettbewerb vor drei Jahren ist der 28-jährige, französische Pianist Lucas Debargue in aller Munde. Nun war er bei den Bregenzer Meisterkonzerten zusammen mit dem Russian National Orchestra unter der Leitung von Mikhail Pletnev im Festspielhaus zu erleben. Die Erwartungen waren hoch, doch sie wurden noch übertroffen. Die Art wie Debargue Ravels zweites Klavierkonzert im Zusammenspiel mit dem Orchester modellierte, zugleich poesievoll und detailreich ausformte, war ein faszinierendes Hörerlebnis. Eigenwillig leitete Mikhail Pletnev „sein“ RNO. Die sparsame Gestik ließ auf viel gegenseitiges Vertrauen schließen. Gleichzeitig übertrug er den Orchestermusikerinnen und –musikern viel Eigenverantwortung. Die ereignisreiche Werkdeutung von Tschaikowskis dritter Symphonie machte dabei den dürftigen Beginn mit der Serenade Nr. 2 von Karlowicz wieder wett.

Lucas Debargue ist ein Individualist, bereits sein Erscheinen auf der Bühne wirkte speziell. Der Pianist schlenderte durch die Musikerreihen zum Instrument, ließ sich Zeit und sorgte somit für eine konzentrierte Ruhe. Er spielte mit einer natürlichen Ausstrahlung und selbstverständlich der Musik und ihrem Ausdrucksgehalt dienend. Ravels zweites Klavierkonzert kam der Vielseitigkeit des Pianisten entgegen. Elegant, mit romantischem Duktus entfaltete er die melodischen Hauptlinien des Eröffnungssatzes. Sofort kam die Wirkung seines weichen Anschlags zur Geltung. Aufmerksamkeit zog unter anderem die Phrasierung der Jazzidiome, die dieses Klavierkonzert durchziehen, auf sich. Lucas Debargue stellte die Themen rhetorisch ausgeformt in den Raum und betonte die spezifischen Referenztöne. Den Zusammenklängen verlieh er eine schwebende Leichtigkeit und doch wirkten die Phrasierungsbögen sehr präsent. Diese sensible Spielart bot die besten Voraussetzungen für den lyrischen zweiten Satz, den der Pianist total selbstvergessen einleitete. Er ließ die Töne fließen und trat in wunderbare Dialoge mit den Holzbläsern bis schließlich das Englischhorn an der Seite des Klaviers erklang. Musiziert wurde in einem kammermusikalischen Geist, der jedoch von einer eruptiven Kraft durchzogen war. Die fantasiereiche Welt von Ravel und seine groteske Ader für Maskenspiele kam im Finalsatz hervorragend zur Geltung. Wie in einem Zaubergarten huschten die synkopierten Phrasen im Klavier dahin.

Gegenseitiges Einverständnis

Das Russian National Orchestra gestaltete den farbenreichen und aufwendigen Orchesterpart in Ravels Klavierkonzert hervorragend. Die ungewöhnlichen Motivkombinationen und Klangfarbenspiele, die zahlreichen Dialoge mit dem Solisten und zwischen den Instrumenten erklangen allesamt sehr aufeinander konzentriert, lyrisch getragen im Adagio und humorvoll überdreht im Finale.

Mikhail Pletnev gründete das Russian National Orchestra im Jahr 1989. Dass sich die Musikerinnen und Musiker mit dem Orchesterleiter blind verstehen war gut nachvollziehbar. Mit sparsamen Gesten zeichnete Mikhail Pletnev die Themen nach, wirkte einesteils ganz nah bei den Orchestermusikern, andernteils überließ er ihnen eine große Eigenverantwortung. Diese Musizierhaltung führte zu zwei unterschiedlichen Werkdeutungen. Die eingangs gespielte Serenade op. 2 von Mieczyslaw Karlowicz erklang eher diffus in der Klangbalance und mit wenig Profil.

Spannende Klangfarbenspiele

Ganz anders modellierte das Orchester Piotr I. Tschaikowskis weithin unterschätzte dritte Symphonie. Die Interpretation des RNO und Mikhail Pletnev bot viele gestalterische Anreize. Beispielsweise baute die verhaltene Einleitung eine große Spannung auf. Gut artikuliert und mit Esprit entfaltete sich der darauffolgende, musikalische Fluss. Viel Raum gab das Orchester den Transformationen der Klangfarben im zweiten Satz und im Andante, wo Rufmotive und Tonrepetitionen aufhorchen ließen. Nach einem vorbeihuschenden Scherzo, in dem die Hörner eine eigenwillige Rolle einnahmen, boten das RNO und Mikhail Pletnev dem Publikum das, was es gerne hört: Eine effektvolle Apotheose mit polyphonen Steigerungen und hymnischer Schlusspassage.