Tobias Grabher, die Camerata Musica Reno und Michael Köhlmeier bescherten dem Publikum ein „österliches Cineastenfest“.
Silvia Thurner · 19. Apr 2018 · Musik

Musik als Zeitkunst mitten aus dem Leben gegriffen – Jubel für das hr-Sinfonieorchester mit Andrés Orozco-Estrada am Pult

Das fünfte Abonnementkonzert bei „Dornbirn Klassik“ war ein musikalisches Großereignis. Im voll besetzten Kulturhaus gastierte das hr-Sinfonieorchester unter der Leitung von Andrés Orozco-Estrada. Auf dem Programm stand unter anderem Gustav Mahlers fünfte Symphonie. Den exponierten Trompetenpart spielte der aus Götzis stammende Musiker Jürgen Ellensohn. Auf den Tag genau vor einem Jahr musizierte das Symphonieorchester Vorarlberg Mahlers Fünfte unter der Leitung von Kirill Petrenko. Kein Wunder, dass sich sehr viele Musikerinnen und Musiker sowie Musikbegeisterte nach Dornbirn aufmachten, um nun diese Interpretation zu hören. Enttäuscht wurde niemand, denn das hr-Sinfonieorchester spielte hervorragend und stellte die beziehungsreich verwobenen musikalischen Inhalte ausdrucksstark in den Raum. Hingegen ließ die Darbietung des Violinkonzerts in A-Dur (KV 219) von W.A. Mozart mit Emmanuel Tjenavorian als Solisten Fragen offen.

Andrés Orozco-Estrada, designierter Chefdirigent der Wiener Symphoniker, ist ein ausgewiesener Spezialist der Musik von Gustav Mahler. Seine Werkdeutung setzte viele Emotionen frei und zeigte auch den inneren Zwiespalt zwischen freudvollem Leiden und melancholischer Euphorie, den Mahler in alle seine Themen hineinprojizierte, hervorragend auf.

Gustav Mahlers Symphonien sind allesamt musikalisch äußerst vielschichtig angelegt. Geichzeitig spricht die Musik die Zuhörenden ganz unmittelbar an, denn sie evoziert Bilder und regt zu eigenen Assoziationen an. Interessant sind Mahlers Symphonien auch im Hinblick auf die musikalische Soziologie. Die Fünfte ist eine wahre Fundgrube, denn jede Passage verweist auf Bezugsfelder zwischen der Musik und der Gesellschaft. Die unterschiedlichen Charakteristika des Topos „Marsch“ beispielsweise setzten die Musikerinnen und Musiker überaus spannend in Szene. Besonders hier spiegelte sich die Ambivalenz, als der bedrückend untermauerte Trauermarsch zu einer verrückt lärmenden Jahrmarktmusik transformiert wurde oder rhythmisch vertrackt zu einem sehnsuchtsvollen Sinnbild mutierte.

Klanghomogenität als Triebfeder

Das hr-Sinfonieorchester agierte in großer Besetzung bewundernswert klanghomogen und erreichte damit eine enorme Schubkraft. Die unterschwellige Dramatik sowohl in scharfkantig artikulierten Gesten als auch in lyrischen Momenten erklang wirkungsvoll ausgelotet.

Die Idiome des Walzers und Ländlers modellierten die Musikerinnen und Musiker ebenfalls mit zahlreichen musikalischen Verweisen. Augenscheinlich wurde dies auch dadurch, dass der Solohornist vorne postiert wurde. So kamen die besondere Klangcharakteristik des Instruments und seine auf die Volksmusik und das ländlich-rustikale Leben verweisende Kraft zur Geltung.

Ruhe und selige Entspannung machte sich im leidenschaftlich, mit atmendem Duktus entfalteten Adagio breit. In diesem Moment wurde die besondere Atmosphäre, die sich während der Darbietung im Dornbirner Kulturhaus ausgebreitet hatte, gut erfahrbar. Konzentriert und im Bann der packenden Spielart des Orchesters hörte das Publikum zu. Zum Finale wurde die Wirklichkeit mit einer kraftvollen Apotheose gefeiert.

Mit Substanz

Im hr- Sinfonieorchester lenkten zahlreiche hervorragende Musiker die Aufmerksamkeit auf sich, doch das Hauptaugenmerk lag auf dem Solotrompeter Jürgen Ellensohn. Er spielte die Rufmotive, die das Werk durchzogen mit großer Aussagekraft und verlieh dem Ton je nach Sinnzusammenhang vielerlei Gestalten und charakteristische Färbungen.

Andrés Orozco-Estrada leitete das große Orchester mit tänzerischem Gestus und überaus energiegeladen. Detailreich gestaltete er die Musik aus und legte großen Wert auf den Zusammenklang und die Entfaltungsräume der Soli. Diese erfrischende Musizierhaltung machte die trockene Akustik im Dornbirn Kulturhaus grad vergessen.

Wenig Eigenleben

Der 1995 geborene Geiger Emmanuel Tjeknavorian hat seine internatonale Karriere bereits gestartet. In diesen Tagen vertritt er den erkrankten David Garrett bei zwei Konzerten in Wien.

In Dornbirn interpretierte Emmanuel Tjeknavorian mit dem hr-Sinfonieorchester Mozarts Violinkonzert in A-Dur (KV 219). Warum bei dieser Werkdeutung der Funke nicht so recht überspringen konnte, ist gar nicht leicht zu erklären. Emmanuel Tjeknavorian gestaltete den Solopart mit makellosem Ton und auch die Spielfreude des Solisten war offensichtlich. Allerdings wirkte seine Spielart eher wenig individuell aufgeladen und der Geigenton sowie die Tonansprache klangen allzu “lupenrein”. Darüber hinaus agierte auch das hr-Sinfonieorchester eher unverbindlich.

Sympathisch erinnerte Emmanuel Tjeknavorian in der Zugabe mit Beethovens „Marmotte“ an seine Anfänge als Fünfjähriger.