Das Wiener Burgtheater war mit Molières „Der Menschenfeind“ unter der Regie von Martin Kušej im Bregenzer Festspielhaus zu Gast. (Foto: Matthias Horn)
Fritz Jurmann · 18. Dez 2010 · Musik

Monteverdis „Marienvesper“ mit "Vocal Origen" und "Concerto Stella Matutina" in Götzis - Ein geglückter Geniestreich zum Saisonfinale

Jene Kaliber der geistlichen Chormusik wie Bachs "Weihnachtsoratorium" und Händels „Messias“, die die ideenreichen Macher des heimischen Barockorchesters „Concerto Stella Matutina“ schon in den Vorjahren jeweils zum Finale der Saison ins Programm gewuchtet hatten, ließen auch für diesmal Großes erwarten. Und es ist eingetroffen. Monteverdis berühmte „Marienvesper“ hat am Freitag in der Götzner Kirche St. Ulrich in frühbarocker Verinnerlichung den strahlenden Glanz der beiden hochbarocken früheren Werke noch zu toppen vermocht. Maßgeblichen Anteil daran hatte Dirigent Clau Scherrer mit dem von ihm sorgsam vorbereiteten und geleiteten Graubündner Ensemble „Vocal Origen“, dem das Werk wie kaum ein anderes höchste Leistungsbereitschaft und enorme Konzentration abverlangte.

Ein Meilenstein der geistlichen Chormusik

Unglaublich, wie frisch Claudio Monteverdis „Vespro della Beata Vergine“, so der Originaltitel dieses vor genau 400 Jahren veröffentlichten Werkes, heute klingt. Kein Oratorium, aber ein Meilenstein der geistlichen Chormusik, ein Schlüsselwerk auch der abendländischen Vokalpolyphonie in einer spirituellen Größe und genialen Gesamtarchitektur, die auch aus heutiger Sicht kaum fassbar scheinen. Ein Konglomerat unterschiedlicher stilistischer Handschriften in einer Abfolge von bis zu zehnstimmigen marianischen Motetten und gregorianischen Antiphonen, die allein durch Monteverdis geistigen Atem in der ehrfürchtigen Verehrung der Gottesmutter  untereinander verbunden sind. Man kommt aus dem Staunen nicht heraus.
Wo beginnen zu loben, zu schwärmen angesichts so viel klanglicher Schönheit und Kompetenz, mit der diese unglaublich hohen Vorgaben hier umgesetzt werden? Von den vielen exzellenten Qualitäten der 25 Vokalisten sind zunächst allein Gesangstechnik und Durchhaltevermögen zu erwähnen, dank derer sie auch nach fast pausenlosen eindreiviertel Stunden keinerlei Ermüdungserscheinungen zeigen. Dafür atemberaubende Klangkultur, Präzision und Homogenität in den beiden Chören, in denen man jeweils im Altregister auch je eine männliche Altus-Stimme findet, zur kernigen Untermauerung. Aus diesen treten, wo sonst gesondert fünf Solisten üblich sind, über die Hälfte der Chorsänger, unter ihnen die bei uns bekannte Judit Scherrer, in den „Concerti“ solistisch in Erscheinung, je nach Stimmcharakter, Temperament und Farben, was der Aufführung auch in diesem Bereich eine unglaubliche Vielfalt beschert. Und statten ihre Partien verschwenderisch mit einem Feuerwerk an Verzierungen und Koloraturen von höchster Kunstfertigkeit aus, stilsicher und vibratoarm.

Kluge Dramaturgie setzt auf Kontraste

Ein kompetenter Clau Scherrer lässt ihnen dabei mit der Stütze des Continuos alle erdenklichen Freiheiten, hat aber das Kollektiv imponierend im Griff. In einer klugen Dramaturgie setzt er dabei auf den Kontrast zwischen weltlichen, tänzerischen Abschnitten und sinnlichen, besinnlich-religiösen Stimmungen. Er beschwört größtmöglichen Ausdruck und Verinnerlichung, lässt sich Zeit mit Vorhalten, frechen harmonischen Wendungen, frappanten Echos. Da fließen vokale und instrumentale Linien in perfekter Balance ineinander, mischen sich zu Wärme und Wohlklang.
Das Barockorchester „Concerto Stella Matutina“, schlank besetzt mit fünf Streichern, sechs Bläsern und Continuo, hat diesmal fast nur Begleitfunktion, präsentiert sich selbstbewusst, aber unaufdringlich. Gespielt wird natürlich auf historischen Instrumenten wie Barockviolinen mit Darmsaiten, Zinken, Barockposaunen und Lauten, aber entgegen sonstiger Gepflogenheiten in der „normalen“ Stimmung von 440 Hz. Thomas Hengelbrock hat das Werk 2005 beim Feldkirch Festival mit seinem Balthasar Neumann-Ensemble noch auf anstrengend hohen 465 Hz musiziert. Eine voll besetzte Kirche hält mit ihrer Begeisterung nicht zurück. Auch deshalb, weil neben der musikalischen Qualität nach einem riskanten Kraftakt der Veranstalter nun auch die äußeren Bedingungen stimmen.
Während die früheren großen Aufführungen der Reihe in der alten Götzner Kirche stattfanden, fiel die Wahl diesmal auf die neue Kirche St. Ulrich, da Monteverdi einen größeren Raumklang verlangt. Andererseits galt diese neue Kirche seit ihrer Renovierung mit einer Nachhallzeit von 12 Sekunden für Konzerte als völlig ungeeignet. Man holte sich Rat und Hilfe bei Akustikern der Bregenzer Festspiele, die Altarraum und Orgelempore mit riesigen Vorhängen verkleideten, den Raum damit verkleinerten und so den Nachhall auf fünf Sekunden reduzierten. Ein gelungenes Experiment, das Monteverdi den idealen akustischen Rahmen sicherte und für weitere Vorhaben dieser Art viele Möglichkeiten offen lässt.
Den engagierten Köpfen von „Concerto Stella Matutina“ mit Konzertmeisterin Silvia Schweinberger als musikalisch Verantwortliche und dem Organisator und Trompeter Bernhard Lampert ist jedenfalls zu diesem geglückten Geniestreich in unserer an Höhepunkten sicher nicht armen Musikszene ausdrücklich zu gratulieren!

Der ORF bringt am 25. und 25. Dezember ab 20.04 Uhr im Lokalprogramm von Radio Vorarlberg eine Wiedergabe dieses Abends. Die neue vierteilige Konzertreihe von „Concerto Stella Matutina“, unter anderem mit Bachs h-Moll-Messe, beginnt am 18. März 2011, 20 Uhr, in der Kulturbühne AmBach in Götzis mit einem Konzert unter dem Motto „Les gouts Réunis“. Abos unter 0 55 23 / 54 949, s.hoelzel@vovo.at