Uraufführung des Stückes „Stromberger oder Bilder von allem“ im Vorarlberger Landestheater (Foto: Anja Köhler)
Silvia Thurner · 11. Jul 2021 · Musik

Mit einem eigenen Profil auftreten - Der Dirigent Tobias Grabher und seine neu gegründete „Camerata Musica Reno“ regten mit einer Konzert-Lesung zum Weiterdenken an

Erst im vergangenen Mai machte der Musiker Tobias Grabher mit der Neugründung der „Camerata Musica Reno“ auf sich aufmerksam. Weil er als angehender Dirigent für sich und seine zahlreichen Musikerkolleginnen und -kollegen eine Möglichkeit zum aktiven musikalischen Gestalten schaffen wollte, gründete er ein Orchester. Die Aufführung von Strawinskys „Geschichte vom Soldaten“ sorgte für Furore. Nun legte Tobias Grabher noch eins drauf. Er leitete die auf 37 Mitglieder angewachsene Camerata Musica Reno mit Kompositionen von Richard Strauß. Überdies boten Susanne Loretz und Hubert Dragaschnig im schönen Ambiente des Theater Kosmos nachdenklich machende Einblicke in die Künstlerfreundschaft von Richard Strauss und Stefan Zweig.

In Vorarlberg wurden in den vergangenen Jahren viele herausragende Musikerpersönlichkeiten ausgebildet, die nun als junge Erwachsene an die Öffentlichkeit treten und mit ihrem hohen musikalischen Niveau begeistern. Auf diesem Nährboden gedeiht auch das von Tobias Grabher gegründete Orchester. Für das ambitionierte Programm, in dessen Zentrum die Suite „Der Bürger als Edelmann?“ von Richard Strauss stand, konnte er aus dem Vollen schöpfen und Musikerinnen und Musiker engagieren, die den enormen Ansprüchen dieser Komposition gewachsen waren.
„Der Bürger als Edelmann?“ von Richard Strauss hat es musikalisch in sich, denn in der Suite spiegeln sich zwei Beziehungsebenen wider, einerseits Molières Ballettkomödie über den Hochstapler Monsieur Jourdain und andererseits die Musik von Jean-Baptiste Lully. Mit musikalischen Überzeichnungen, in die eigene kompositorische Sprache übertragene Stiltypen sowie Zitaten schrieb Richard Strauss eine karikierende Musik mit viel Unterhaltungswert. Diesen kristallisierten die Musikerinnen und Musiker sogleich in der Ouvertüre mit theatralischer Geste heraus. Auch im dritten Teil, „Der Fechtmeister“, wurde die bildlich gestaltete Musik über den ungeschickten Monsieur Jourdain hervorragend umgesetzt. Mit viel Bogen und bewundernswert musikantisch gestaltete der Konzertmeister David Kessler den „Auftritt und Tanz der Schneider“ aus. Französische Eleganz bestimmte die weiteren Tanzsätze, in denen musikalische Übergänge aufhorchen ließen, bevor im abschließenden „Diner“ die fröhlich humorvolle Musik farbenreich erklang.

Die großen Linien gut ausgestaltet

Tobias Grabher wirkte elegant am Pult der Camerata Musica Reno. Besondere Aufmerksamkeit widmete er der dynamischen Entfaltung der Stimmgruppen, Übergängen und rhythmischen Wechseln, so dass die großen musikalischen Gestalten und die farbenreiche Instrumentierung gut nachvollziehbar zur Geltung kamen. In der musikalischen Detailzeichnung konnte sich Tobias Grabher auch auf die große Eigenverantwortung der Orchestermusikerinnen und -musiker verlassen. Der Wille, im Moment das Beste zu geben, war in der Konzentration und im Kontakt der Musikerinnen und Musiker zueinander und zum Dirigenten gut spürbar.
Die Konzert-Lesung aus Briefen des Komponisten Richard Strauss mit seinem Librettisten Stefan Zweig während der Entstehung der Oper „Die schweigsame“ Frau in den 1930er Jahren war inhaltlich klug angelegt. Doch die zwischen den einzelnen Sätzen gelesenen Passagen stellten die humorvoll erzählende Orchestersuite etwas in den Schatten.
Gerahmt wurde das Programm von zwei Werken, die den bestens disponierten Streichern und Bläsern der Camerata Musica Reno ein ideales Podium boten. Zuerst interpretierten 13 Bläserinnen und Bläser Richard Strauss‘ Serenade, op. 7 und abschließend musizierten sechs Orchestermitglieder das Streichersextett aus dem „Capriccio, op. 85.

Kunst und Politik

Die Korrespondenz von Stefan Zweig und Richard Strauss und die Auswahl der Brieftexte verdeutlichte das Bild der beiden Künstlerkollegen und zeigte gleichzeitig deren unterschiedliche Haltungen in der Verbindung von Kunst und Politik auf. Richard Strauss war ein Opportunist, agierte naiv und stellte sein künstlerisches Schaffen über alles. So hatte er wenig Skrupel, sich den nationalsozialistischen Machthabern anzubiedern. Stets blieb er loyal seinem jüdischen Künstlerfreund Stefan Zweig gegenüber. Weil Richard Strauss die Dimension des Grauens unterschätzte und vielleicht die Konsequenzen nicht wahrhaben wollte, war er der Meinung, dass eine weitere Zusammenarbeit auch nach der Oper „Die schweigsame Frau“ Ende der 1930er Jahre möglich wäre. Stefan Zweigs Bedenken und seine pazifistische Weltsicht ergaben ein anderes Bild der Wirklichkeit.
Sabine Lorenz und Hubert Dragaschnig trugen die Korrespondenz der Künstler sowie Passagen aus Briefen von Stefan Zweig an die italienische Übersetzerin Lavinia Mazzucchetti packend vor. Deren Inhalte regten zum Weiterdenken an. Hätten die politischen Zeitläufte nicht alles zunichte gemacht, was hätte diese Künstlerfreundschaft noch hervorgebracht?

Vorfreude auf weitere Projekte

Die Konzert-Lesung hinterließ einen großen Eindruck und weckte die Vorfreude darauf, welche Ideen Tobias Grabher mit seinem engagierten Orchester als nächstes realisieren wird. Mit den beiden ersten Projekten zeigten Tobias Grabher und die Camerata Musica Reno Profil und stellen eine willkommene Bereicherung in der dichten Kulturlandschaft des Landes dar. Der Publikumsandrang und der Applaus waren enorm.