Das UNPOP-Ensemble zeigt derzeit das Stück "Fairycoin" im Theater Kosmos. (Foto: Caro Stark)
Silvia Thurner · 17. Aug 2017 · Musik

Mit dem Fokus auf die Intensität des Augenblicks – erfolgreiche Uraufführung der ausdrucksstarken Oper „To the lighthouse“ von Zesses Seglias bei den Bregenzer Festspielen

Im Rahmen der Bregenzer Festspiele und des neu gegründeten „Opernateliers“ ist die Oper „To the lighthouse“ entstanden. Über drei Jahr hinweg wirkten der Autor und Librettist Ernst Marianne Binder, der Komponist Zesses Seglias und der Dramaturg Olaf Schmitt eng zusammen. Hoch waren die Erwartungen, denn in mehreren „Einblicken“ konnten Interessierte den vielschichtigen Entstehungsprozess mitverfolgen.

Die Uraufführung des Werkes unter der musikalischen Leitung von Claire Levacher und in der Inszenierung von Olivier Tambosi überzeugte aus mehreren Gründen. Eine durchdringende Kraft entwickelten die Musik und die vielschichtig aufgezeigte „Psychografie“ der handelnden Personen, unterstrichen durch die differenziert ausgestalteten Vokalparts, das aussagekräftige Bühnenbild von Jakob Kolding und die archaisch wirkende Personenführung.

Die reflektierende Anlage des berühmten Romans „To the lighthouse“ von Virginia Woolf und das bewusste Spiel mit Zeitebenen eröffnete den Künstlern gute Ausgangsbedingungen für eine musikalische Ausdeutung. Diese Qualitäten und zahlreiche andere entfalteten der Librettist Ernst M. Binder und der Komponist Zesses Seglias in der nun präsentierten Oper. Zesses Seglias legte die Musik zur Oper feingliedrig und mit nuancierten Instrumentalfarben an. Dafür formte er klar zuordenbare musikalische Gestalten, die in irisierend klingende Flächen eingeschrieben wurden. Gleichzeitig enthielt die Musik auch mehrdeutige Entfaltungsebenen – Metaebenen -, mit denen Zesses Seglias auf die differenzierten Wahrnehmungen der handelnden Personen reagieren und diese ausdeuten konnte. Bemerkenswert ist dabei die formale Stringenz im Großen und im Kleinen, die Klarheit innerhalb des farbenreich instrumentierten Musikflusses schuf.

Hervorragende musikalische Deutung

Die Musikerinnen und Musiker agierten nicht als 17-köpfiges Kammerorchester, sondern der Komponist trug ihnen die Rollen eines groß besetzten Ensembles zu. Ausgehend von der Stille wirkte jede einzelne Passage gut durchgehört.

Sehr viel gäbe es über inspirierende Höreindrücke und personenbezogene thematische Ideen zu berichten, doch an dieser Stelle sollen einige Beobachtungen genügen. Im Hinblick auf die Instrumentierung mit Streichern, Holzbläsern, Posaune, Gitarre und Akkordeon sowie Klavier und einem großen Perkussionsapparat schöpfte Zesses Seglias aus dem Vollen. Doch die mit Bedacht ausgestaltete Mikrotonalität und die Beschränkung auf das Wesentliche bewirkten eine große Spannung und Ausdruckskraft. So erklangen beispielsweise Gewichtungen und Verdichtungen mit differenzierten Stricharten. Die „Textur“ des musikalischen Flusses erhielt einen filigran brüchigen Charakter, indem Holzblasinstrumente in Tenor- und Basslage hoch liegende Tonlinien spielten. Luft- und Atemgeräusche schufen fantasievoll eingesetzte, musikalische Zwischenbereiche.

Die Musikerinnen und Musiker des Symphonieorchesters Vorarlberg unter der Leitung Claire Levacher mit dem Konzertmeister Pawel Zalejski, Anna Mérey (Violine), Guy Speyers, Klemens Lins (Bratsche), Detlef Mielke, Frank Westphal (Violoncello) und Simon Jäger (Kontrabass), Anja Nowoty-Baldauf, Martin Bürgemeister (Flöte), Martin Schelling (Klarinette), Fabio Müller (Saxophon), Volker Bereuter und Alexander Pasolli (Posaune) Mathias Schmidt und Wolfgang Wehinger (Schlagwerk), Krassimir Sterev (Akkordeon), Maria Flavia Cerrato (Klavier) und Tom Pauwels (Gitarre) begeisterten auf allen Linien. Sie agierten höchst professionell, erfüllten die fein ziselierten Instrumentalparts mit Leben und spielten die nicht alltäglichen, zeitgenössischen Spieltechniken sowie die Vierteltöne mit einer bewundernswerten Pianokultur aus. Claire Levachers Dirigat verströmte Sicherheit und mit ihrer exakten Gestik agierte sie ganz nah bei den Musikern.

Eindrückliche Vokalparts

Die Gesangsparts der handelnden Personen entwickelte Zesses Seglias aus dem Text sowie aus der Diktion der Sprache. Abschnittweise nahmen die rezitierenden Passagen sogar eine dienende Funktion ein.

Einen herausragenden Eindruck hinterließ der Part des erwachsenen James, wunderbar verkörpert von Alexander York. Die Aufmerksamkeit lenkte überdies Sophia Burgos als Malerin Lily Briscoe auf sich, denn sie stellte die essentiellen Fragen und reflektierte die Wahrnehmungen, stimmlich gut ausgelotet. Eindringlich wirkte der gesamte zweite Teil, in dem es Dalia Schaechter mitreißend gelang, die äußerliche Bedrängnis in die innere Wahrnehmung zu transferieren. Kehl- und Gaumenlaute machten dies körperhaft spürbar. Auch Adrian Clarke als Augustus Carmichael, Taylan Reinhard als Charles Tansley und Sébastien Soulès als William Bankes sowie Mathew Richardson (James Ramsay als Kind) überzeugten in ihren Partien.

Den Kern mit archaischen Bildern heraus kristallisiert

Im Mittelpunkt standen die konträren Lebenswelten des Ehepaares Ramsey. Den emotionalen und fantasievollen Weitblick von Mrs. Ramsey legte Zesses Seglias mit eher weichen, hellen Linien und gut instrumentiert an. Christie Finn brachte dies ausdrucksstark zur Geltung. Eine große Kluft tat sich auf zur rationalen Weltsicht des Mr. Ramsay, die Jean-Marc Salzmann gut verkörperte. Markant ausformuliert erklangen eher dunkle, repetierende musikalische Gesten.

Die statische Personenführung betonte insbesondere die gegensätzlichen Zugänge des Ehepaares zur Wirklichkeit und deren Deutungen. Auf diese Weise wurde der archaische Grundgedanke betont, der die interpretatorische Fantasie des Publikums in viele Richtungen zu lenken vermochte, wie Matriarchat und Patriarchat, Fantasie und Empirismus oder einfach positive und pessimistische Weltsichten.

Die symbolträchtigen und zugleich aussagekräftigen Bühnenelemente von Jakob Kolding sowie das Lichtkonzept von Stefan Pfeistlinger unterstützten die Gesamtdeutung hervorragend. Auf den ersten Blick irritierten die an die viktorianische Zeit angelehnten Kostüme vor allem im Vergleich zur avancierten Musik. Doch mit dem Erleben der unterschiedlichen Zeitebenen, mit der die Oper explizit spielte, wurde aus dieser anfänglichen Diskrepanz ein schlüssiges Konzept. Ebenso wirkte die Mikrofonierung aller Sängerinnen und Sänger zuerst befremdlich.

Potential für die Zukunft

Als Ganzes betrachtet überzeugte „To the lighthouse“ auf allen Linien. Das eher textlastig angelegte Werk hinterließ im besten Sinne des Wortes als Musiktheater eine große Wirkung. Meinem Empfinden nach ist „To the lighthouse“ von Zesses Seglias eine der besten Produktionen der vergangenen Jahre. Erinnerungen an die konzertante Uraufführung der Oper „Nacht“ von Georg Friedrich Haas Ende der 1990er Jahre wurden wach. Die Zukunft wird zeigen, ob Zesses Seglias’ Oper „To the lighthouse“ einen ähnlichen Start in eine internationale Karriere markiert wie es G.F. Haas von Bregenz aus gelang.