Die Theatergruppe "dieheroldfliri.at" zeigt derzeit ihr neues Stück "Das Rote vom Ei" (Foto: Mark Mosman)
Silvia Thurner · 12. Mai 2012 · Musik

Mit Bodenhaftung, fliegenden Fingern und mitreißender Gestaltungskraft – das Symphonieorchester Vorarlberg präsentierte ein herausragendes Musikereignis

Einen fulminanten Abschluss der diesjährigen Abonnementkonzerte feierte das Symphonieorchester Vorarlberg unter der Leitung von Gérard Korsten. Gleich zwei Highlights zeichneten das Konzert im Angelika-Kauffmann-Saal in Schwarzenberg aus. Sehr gut aufgenommen wurde das Konzert für zwei Bratschen und Orchester von Wladimir Rosinskij, das die Solisten Andreas Ticozzi und Karoline Kurzemann-Pilz souverän zur Uraufführung brachten. Immer wieder aufs Neue begeistert die Geigerin Patricia Kopatchinskaja das Publikum, weil sie wie keine andere mit einer natürlichen Selbstverständlichkeit und einer mitreißenden Freude musiziert.

Einleitend erklang die zweite Symphonie von Franz Schubert. Gérard Korsten animierte das Orchester mit energischen Gesten, entwickelte den vorwärtsdrängenden Duktus der Musik, betonte die harmonischen Eckpfeiler und formte die Musik mit zahlreichen dynamischen Kontrasten. Die MusikerInnen spielten konzentriert, wirkten jedoch eher angestrengt. Dementsprechend ließ die Werkdeutung einige Wünsche offen. Erst im Nachhinein wurde klar, dass die Anspannung im Hinblick auf die nachfolgenden Werke zu erklären war. Denn das Orchester hatte noch Herausragendes vor und bündelte die Energien dahin. Deshalb fungierte Schuberts Symphonie eher als „Aufwärmer" für die folgenden Konzerte, die die Zuhörenden zum Teil von den Sesseln rissen.

Innen- und Außenbetrachtungen musikalischer Landschaften

Wladimir Rosinskij komponierte im Auftrag des Symphonieorchesters Vorarlberg (SOV) das Konzert für zwei Bratschen und Orchester. Die Musik schrieb er den befreundeten Solisten Andreas Ticozzi und Karoline Kurzemann-Pilz sozusagen auf den Leib. Der aus Russland stammende Komponist ist selbst Bratschist und spielte einige Jahre in den Reihen des SOV. Geschaffen hat er ein in sich bündiges und kompaktes Werk, das die ZuhörerInnen von Beginn an in seinen Bann zog und die Spannung bis zum Schluss hielt.

Die eruptiven Klangflächen im Orchesterpart waren sehr gut instrumentiert und die stringent ineinander verschachtelten rhythmischen Floskeln bildeten einen Klanghintergrund, auf den die Soloinstrumente vielgestaltige Beziehungsmuster projizierten. Im Gespräch erwähnte der Komponist die sibirische Landschaft und zwei Volksliedmelodien, die er in seinem Werk verwoben hat. Damit legte er eine mögliche Hörspur, der die Zuhörenden folgen konnten.

Spannung erzeugte sogleich die Einleitung, in der flirrende Gesten und kristalline Tongruppen eine musikalische Weite erzeugten, die viel Platz für individuelle Assoziationen ermöglichte. Eingeschriebene Floskeln der Holzbläser bewirkten interessante Dialogmuster mit den beiden Solobratschen, das Verhältnis zum Orchester war durchwegs gut ausgelotet. Markante Akkordballungen setzten rasende Passagen in Gang, die in außergewöhnlichen Klangmischungen mit Celesta, Vibraphon, gestrichenen Zimbeln sowie Perkussion den musikalischen Linien Profil verliehen.

Musikalischer Gag

Etwas unvermittelt setzte die E-Bratsche ein, die Andreas Ticozzi spielte. Über diese Passage, in der mit verzerrten Klängen der Musik noch eins draufgesetzt wurde, lässt sich diskutieren. Meiner Meinung war der Einsatz der E-Bratsche unnötig. Allerdings weckte genau dieser Abschnitt im Rahmen des Konzertes die Aufmerksamkeit des Publikums und sorgte für Abwechslung. Viel Zustimmung und begeisterten Applaus konnten die hervorragenden Solisten und der Komponist für das kraftvolle und aussagekräftige Werk entgegennehmen.

In der originellen Zugabe, ebenfalls von Wladimir Rosinskij, begegneten sich die russische Volksweise „Kalinka" und das allseits bekannte „Wälderbähnle" auf amüsante Weise.

Unkonventionell und mitreißend

Im zweiten Konzertteil musizierte Patricia Kopatchinskaja Beethovens Konzert für Violine und Orchester in D-Dur, op. 61. Die aus Moldawien stammende Musikerin ist eine der Besten und jedenfalls in ihrer originären musikalischen Ausdruckskraft wohl kaum zu überbieten. Ihr Spiel spricht unmittelbar an, man glaubt ihr jeden Ton und folgt ihren musikalischen Darbietungen staunend und mit Bewunderung. Stellt sich die Frage, was ihr Spiel und ihre Werkdeutung so unvergleichlich auszeichnen. Meiner Meinung nach ist es der sprechende Duktus, mit dem Patricia Kopatchinskaja die musikalischen Themen und Motive, Läufe und Verzierungen formt. Sie hört sich selbst, entwickelt eine kindliche Freude im Dialog mit dem Instrument sowie den MusikpartnerInnen. Es hat den Anschein, als ob sie die musikalischen Linien selbst immer wieder neu hört und naiv – im besten Sinne des Wortes – mit Phrasen und Verzierungen spielt. Dies geschah auf einem unerhört hohen Niveau. Ein besonderes Musikerlebnis boten die Kadenzen, die Alfred Schnittke für das Beethoven Violinkonzert komponiert hatte. Von der Solistin inspiriert und beflügelt und nach der gelungenen Uraufführung waren die OrchestermusikerInnen in bester Musizierlaune.

Mit der Zugabe von Jorge Sanchez-Chiong stellte Patricia Kopatchinskaja ihren Humor, ihre souveräne Spielart und ihr Interesse an der aktuellen Musik noch einmal eindrücklich unter Beweis.