Neu in den Kinos: „Ich Capitano“ (Foto: X-Verleih)
Silvia Thurner · 02. Mai 2011 · Musik

"Menschen, die wir kannten, wie wir glaubten, bis wir sahen, dass es anders war" – Georg Friedrich Haas thematisiert in seiner Oper „Bluthaus“ ein brisantes Thema auf eindringliche Art

Im Auftrag der Schwetzinger Festspiele komponierte Georg Friedrich Haas die Oper „Bluthaus“. Vom aufregend konzipierten Libretto des Tiroler Autors Händl Klaus inspiriert, schrieb Haas eine packende Musik mit der die tragische Geschichte der Nadja Albrecht erzählt wird. Sinnbild für die dramatischen Geschehnisse von Missbrauch und Inzest ist der Verkauf des Elternhauses der Protagonistin. Die Oper entstand in Koproduktion mit dem Theater Bonn und überzeugte durch die ungewöhnliche musikalische Erzählstruktur sowie hervorragende Leistungen der SängerInnen und SchauspielerInnen. Allen voran begeisterten Sarah Wegener und Otto Katzameier.

Georg Friedrich Haas lebt seit einigen Jahren in Basel und komponiert mit einer bewundernswerten Schaffenskraft. In den vergangenen Jahren sind einige Meisterwerke entstanden, mittlerweile zählt er zu den erfolgreichsten Komponisten Europas. Die beiden ersten Opern "Nacht" und "Die schöne Wunde" wurden im Rahmen der Bregenzer Festspiele uraufgeführt. Nach "Melancholia" komponierte Haas mit "Bluthaus" bereits die vierte Oper. Seine besondere Kompositionsart ist geprägt vom Verständnis der physikalischen Bedingungen, die die Töne charakterisieren. Vor allem Obertöne setzt Haas vielgestaltig ein und spricht damit die ZuhörerInnen unmittelbar an.

Das Libretto kraftvoll erzählt

Die Zusammenarbeit mit Händl Klaus und seiner ungewöhnlichen Textgestaltung des Librettos wirkte sich prägend auf die kompositorische Anlage der Oper „Bluthaus“ aus. Händl Klaus fragmentierte die Sätze und fügte sie anhand von Wortketten, die die SchauspielerInnen rezitierten, wieder zusammen. So entstanden rhythmisierte Satzketten, denen eine große musikalisch-rhythmische Gestaltungskraft innewohnte. Georg Friedrich Haas integrierte diese Sprache eindrucksvoll in sein musikalisches Gesamtkonzept.
Die Geschichte zu „Bluthaus“ ist grausig. Nadja Albrecht (Sarah Wegener) wurde von ihrem Vater (Otto Katzameier) jahrelang missbraucht. Die Mutter (Ruth Weber) ermordete ihren Ehemann und anschließend sich selbst. Nadja bleibt im Elternhaus zurück, das sie nun zum Verkauf anbietet. In Anwesenheit des Maklers (Daniel Gloger) besichtigen mehrere InteressentInnen das Haus, das sich im „tiefsten Süden Niederösterreichs“ befindet.

SängerInnen und SchauspielerInnen gemeinsam auf der Bühne

Der Clou dieser Szenen bestand darin, dass den vier Gesangsstimmen SchauspielerInnen zur Seite gestellt wurden. So vermischten sich Gesang und Sprache eigentümlich, zudem verstärkt durch die skandierenden Rhythmen der aufgesplitteten Sätze. Das Interesse weckten der verwitwete Vater (Roland Silbernagl) und seine drei Söhne, die beiden älteren Herren Herr Hubacher (Rolf Mautz) und Dr. Strickner (Wolfgang Rüter) und vor allem die Mutter, Frau Stachl (Heide Simon) mit ihrem Sohn (Günter Alt). Einen multikulturellen Aspekt brachte das iranische Ehepaar Rahmani (Maria Munkert, Hendrik Richter) in den dramatischen Verlauf der Dinge mit ein. Vorerst ahnten die Kaufinteressenten nichts vom Grauen, das sich im Haus zugetragen hatte. Als die Nachbarn, Frau und Herr Schwarzer (Tatjana Pasztor, Stefan Preiss) hinterhältig vom Missbrauch erzählen, brechen jedoch die Ereignisse mit aller Gewalt über Nadja herein. Bevor sich alle erbost abwenden, wird sie noch einmal für das Erlittene bestraft und stigmatisiert.
Ab diesem Zeitpunkt beschleunigte sich die Erzählgeschwindigkeit. Während Nadja Sex mit dem Makler Axel Freund hat, ruft sie nach ihrem Vater. Angewidert wendet sich der Makler ab. Nadja erkennt, dass sie ihr Haus nicht verkaufen kann. Der offene Schluss lässt mehrere Denkvarianten zu. Klar ist, dass Nadja allein mit dem Verkauf des Hauses, als Sinnbild ihrer Psyche, ihr Schicksal nicht ohne weiteres abschütteln kann.

Dramatische kompositorische Textdeutung

Die hervorragenden SängerInnen und SchauspielerInnen brachten die diffizilen Inhalte dieser Oper auf den Punkt. Viele Details verdichteten diese Opernproduktion zu einem in sich bewegenden Ganzen. Am eindringlichsten gestaltet wurden die immer wieder über Nadja hereinbrechenden Erinnerungen an die Grausamkeiten, die sie zu ertragen hatte. Der Vater ist allgegenwärtig.
Musikalisch ordnete Georg Friedrich Haas den einzelnen Figuren unterschiedliche musikalische Mittel zu. Auf diese Weise wurden Gefühlswelten unterstrichen und die Handlungsebenen zusätzlich interpretiert, Querverweise und vielschichtige Überlagerungen geschaffen. Den Orchesterpart mit vielfach nuancierten Klangflächen interpretierte das Radio-Sinfonieorchester Stuttgart des SWR unter der Leitung von Stefan Blunier. Darüber hinaus entwickelten stehende Klänge eine eindringliche Sogwirkung. Crescendi und decrescendi bewirkten einen raumgreifenden Energiefluss, der abschnittweise die Balance zwischen den Singstimmen und dem Orchester beinahe störte. Pulsierende Streicherpassagen und gewaltige Tonballungen in den Blechbläsern waren weitere musikalisch interpretatorische Mittel, die die Handlung musikalisch ausdeuteten. Mit den harmonischen Farben spielte Georg Friedrich Haas ausgeklügelt und er reizte sie psychologisch aus. So platzierte er bei besonders grausamen Textstellen traditionelle Intervalle, melodische Linien und Akkorde, die anschließend in sich zusammen geschmolzen wurden.

Rotierende Zeit

Einen speziellen Aspekt im Gesamterlebnis der Oper „Bluthaus“ stellte die Gestaltung der Zeit dar, die in Zirkeln angelegt wirkte. Am Höhepunkt der Geschichte wurde die Beklemmung zudem verstärkt, indem sich Sprachrhythmen und Textfloskeln im Orchester spiegelten. Die Gesangslinien sowie einzelne Orchesterfragmente wurden verdichtet und übereinander geschichtet.

Raum- und Lichtverhältnisse

Klaus Weise vom Theater Bonn inszenierte „Bluthaus“. Er schuf eine formal schlicht wirkende Bühne mit verschiebbaren Glaselementen, die auf zwei Ebenen vielfältige Bezüge ermöglichten und ein besonderes Augenmerk auf das Licht legten.