Klangsinn, Klangbad und Klangtürme – das zweite Orchesterkonzert bei den Bregenzer Festspielen beinhaltete vieles
Im zweiten Orchesterkonzert bei den Bregenzer Festspielen zeigten die Wiener Symphoniker die Spannweite des kompositorischen Schaffens zur Gründungszeit der Festspiele im Jahr 1946 auf. Auf der einen Seite erklang „The unanswered Question“ des amerikanischen Komponisten Charles Ives, ein Schlüsselwerk der Kompositionsgeschichte des 20. Jahrhunderts. Im selben Jahr komponierte Richard Strauss ein Oboenkonzert, das den Wohlklang zelebrierte, der in der Interpretation von Ramón Ortega Quero hervorragend zur Geltung kam. Die Sechste von Bruckner formte der mit großem Körpereinsatz dirigierende Omer Meir Wellber mit den Orchestermusikern aus monumentalen Klangtürmen und fein verflochtenen melodischen Linien.
Richard Strauss‘ Oboenkonzert ist nicht alle Tage im Konzert zu erleben. Groß war die Erwartung an den spanischen Oboisten Ramón Ortega Quero, der in den vergangenen Jahren als Kammermusiker vielbeachtete Erfolge feierte – und sie wurde nicht enttäuscht. Bescheiden und mit einer sympathischen Ausstrahlung entfaltete der 33-jährige Solist das ganz auf den Wohlklang und die Virtuosität angelegte Werk von Richard Strauss. Die ornamental ausgeschmückten Themen spielte er mit einer bewundernswerten Leichtigkeit und mit einem atmenden Duktus aus. Als Solist war Ramón Ortega Quero ganz Ohr bei und stets in Kontakt mit den Orchestermusikern, die ihm viel Raum zur musikalischen Ausgestaltung gaben. Abwechslungsreich wurden im Orchesterpart stets neue Klangumgebungen geschaffen und damit die Aufmerksamkeit auch auf die herausragende Instrumentationstechnik von Richard Strauss gelenkt. Die Kantilenen im Andante ließ der Solist ausdrucksvoll und mit großer Ruhe fließen. Im Finale beeindruckten die virtuosen melodischen Spielfiguren und die überraschenden Wendungen im humorvollen Wechselspiel zwischen dem Solisten und dem Orchester.
Zum Genießen, aber auch zum Mitdenken angeregt
Der amerikanische Komponist Charles Ives komponierte „The unanswered question“ für drei Orchestergruppen und bezog den Aufführungsraum und das Publikum in die Frage- und Antwortphrasen zwischen den Trompeten und Flöten über einem sinnlichem Klanggrund des Streichorchesters mit ein. Eine kontemplative Ruhe ging von dem im Dunkeln spielenden Streichorchester aus. Von hinten oben ertönten sieben Mal wiederholte Motive in der Trompete. Immer gereizter reagierten die Flöten aus einer anderen Ecke des Raums. Die Stille und die Raumwirkung der Musik waren in der Werkdeutung der Wiener Symphoniker gut mitgedacht. Omer Meir Wellber gab vom Dirigentenpult die Einsätze, um das Klanggeschehen zu organisieren. Charles Ives hatte dies eigentlich in einer freien Zeitgestaltung den Musikern überlassen. In Verbindung mit dem prägnanten Titel „The unanswered Question“ regte die Werkdeutung zum Weiterdenken an.
Die Interpretation der sechsten Symphonie von Anton Bruckner gab dann ausgiebig Gelegenheit, die Darstellungskraft des Dirigenten Omer Meir Wellber mitzuerleben. Die Art, wie er die Musik am Dirigentenpult tanzte und mit ausgeprägter Gestik Themen und Motive darstellte, verstärkte den musikalischen Höreindruck.
Die für Bruckner so typische Dreiheit der Themengestalten und der Rhythmik sowie die schichtartigen Aufbauten großer Klangtürme stellten Omer Meir Wellber und die Wiener Symphoniker mit großen Kontrastwirkungen dar. Beeindruckend war die Pianokultur des Orchesters im zweiten Satz, den die Musikerinnen und Musiker mit einem gemeinsamen Atem entfalteten. Besonders in Erinnerung blieb dabei, wie in einer groß angelegten Pendelbewegung der musikalische Fluss reduziert wurde, bis nur mehr elementare Intervalle erklangen. Das Publikum hörte gebannt und in konzentrierter Ruhe zu, so dass sich im Saal eine dichte Atmosphäre entwickelte. Mit großen Bewegungsimpulsen, exakten Zielrichtungen sowie markant gesetzten „geschlossenen" und „offenen" Klängen der Blechbläser wurde das imposante Finale in den großen Saal des Bregenzer Festspielhauses gestellt. Mit begeistertem Applaus dankte das Publikum.
Dass Omer Meir Wellber die Musik aus unterschiedlichen Perspektiven, sowohl als Dirigent als auch als Komponist deutete und auch den philosophischen Unterbau der zugrundeliegenden Kompositionen zum Ausdruck brachte, war bei seinem Debüt in Bregenz beeindruckend nachvollziehbar.