Neu in den Kinos: „Challengers – Rivalen“ (Foto: MGM)
Andreas Feuerstein · 01. Aug 2021 · Musik

(K)ein Sommer wie damals

Das Szene Openair 2021 hatte kein leichtes Standing. Von der Jugend mit „endlich“ begrüßt, von anderen kritisch beäugt, entschied sich der Lustenauer Jugend- und Kulturverein trotz aller Widrigkeiten und Unvorhersehbarkeiten zur Durchführung. Das Fazit nach drei Tagen: gemischte Gefühle.

Einen Sommer wie damals versprachen die mit selbigem Spruch beschrifteten T-Shirts der Szene am kleinen Merch-Stand. Eine interessante Formulierung. Man könnte vermuten, dass Jahre der Entbehrung hinter uns liegen. Dabei fegte das Virus ja nur eine Festivalsaison von den Spielplänen. Keine Frage: Für Künstler*innen und alle, die mit und in der Branche ihren Lebensunterhalt verdienen, war der (mit Unterbrechungen) sich über mehr als ein Jahr ziehende kulturelle Lockdown (der länger und härter war als andere) eine Katastrophe. Und natürlich: Die Jugend hatte 2020 und ins Jahr 2021 hinein deutlich weniger Gelegenheit, sich selbst zu verschwenden.
Es heißt bei Friedrich Hebbel, man kann im Leben nichts, ja gar nichts nachholen – die Festivalgänger*innen gaben beim Szene Openair sichtlich ihr Bestes, seine Weisheit Lügen zu strafen. Dass die Triebe länger auf Treibstoff verzichten mussten, war jedenfalls deutlich. Vielleicht liegt es am Ausgehungertsein (oder an meinem Alter), aber die Jugend wirkt heutzutage beim Spaßhaben echt ziemlich unter Stress. Was mir bei diesem ganz besonderen Szene Openair (weit und breit das einzige Festival, dass 2021 auf die Bühnenbeine gestellt wurde) bei aller Dankbarkeit in schlechter Erinnerung bleiben wird: Finch Asozial, Yung Hurn und RAF Camora – ein unseliges Dreigespann aus Frauenfeindlichkeit.
Alles nicht so schlimm? Nicht aufregen? „Ey ich bang sie so hart, das wird ein Blutbad, Leute.“ Das ist keine Kunst, das ist verbale Gewalt – und sie ist Kalkül, denn sie dient diesen Herren im Verkauf (auf den übrigens auch die Szene hinweist: als Qualitätsmerkmal) Der Markt ist heilig? Was für ein beschissener Markt. Erfolg alleine rechtfertigt nichts. Die Verteidigungsstrategie ist immer dieselbe: Man versteckt sich hinter der Freiheit der Kunst. Das bin ja nicht ich, das ist nur meine Figur, die das sagt. Ja klar, aber wer hat denn die Figur erschaffen? Mit welchem Ziel? Und was bewirkt diese Figur?
Zum Glück braucht man beim Szene Openair nie lange auf Kontrast zu warten. Da folgt auf den Asozialen Finch die zarte Sängerin und Songwriterin Florence Arman, nach dem misogynen Yung Hurn betritt Tom Neuwirth, der als Conchita Wurst zur Ikone sexueller Freiheit wurde, die Bühne. Voodoo Jürgens, sehr fein, wurde leider vom Gewitter von der Bühne geholt. Dass im Metal noch lange nicht alle Bretter gebohrt sind, davon legten Jinjer ein ohrenbetäubendes Zeugnis ab. Die heimlichen Headliner waren für mich die Leoniden. Nur leicht verrückte Klangwissenschafter, die ein ganzes Labor auf der Bühne errichteten und mit ihren mitgebrachten Pülverchen und Mittelchen so umzugehen wussten, dass es akustisch die hellste Freude war. So geht Partymusik, die anspruchsvoll ist, und dabei immer locker bleibt.
Das Szene Openair 2021 wird uns noch lange in Erinnerung bleiben, aus vielen schönen Gründen. Dass man in Lustenau kein Problem mit als Kunst verkaufter Frauenfeindlichkeit hat, ist allerdings befremdlich. Wieso werden diese Acts an den Alten Rhein gebracht? Weil es keine anderen gibt? Es ist verantwortungslos, sie zu buchen. Und ja, es stimmt ja: Das sind nicht die einzigen Bands, beim Szene Openair gibt’s immer Vielfalt. Das ist eine Stärke der Veranstaltung. Aber es gibt Leute, die will man nicht auf der Party, die lädt man nicht ein.
Es gibt Dinge, die kann man nicht beeinflussen. Und es gibt Dinge, für die trägt man Verantwortung. Wir werden nicht gefragt, wenn eine Pandemie anrollt oder ein Unwetter über uns hereinbricht. Aber wir können und sollten uns fragen, wofür wir stehen und mit wem wir es zu tun haben wollen. Liebe Szene, bitte.