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Fritz Jurmann · 14. Dez 2010 · Musik

J. S. Bachs Orgel-Hit in Höchst - Bruno Oberhammer spielte Toccata und Fuge d-Moll in unverstellter Sichtweise

Und wenn man alle 19 Konzerte des von Bruno Oberhammer auf vier Jahre angelegten Bach-Orgelzyklus in der Pfarrkirche Höchst versäumen würde – dieses eine sechste Konzert am Montagabend wäre ein absoluter Pflichttermin gewesen. Vor allem für jene, die Bach nicht so genau kennen. Denn gerade denen ist zumindest die Toccata und Fuge in d-Moll bekannt, Bachs sicher populärstes, wenn auch ebenso sicher nicht sein bestes Orgelwerk, das diesmal geboten wurde, mit bewährter Überlegenheit in Gestaltung und technischer Brillanz. Neben zwei weiteren „freien“ Orgelwerken ging es dabei aber auch um Johann Sebastian Bachs fantasievolle Ausdeutung von Choralmelodien im so genannten „Stylus Phantasticus“.

Bachs „epidemische“ Toccata

Diese Toccata und Fuge in d-Moll, BWV 565, dramaturgisch geschickt als Höhepunkt zum Finale des Programms angesetzt, wird von Kennern im Unterschied zur „dorischen“ Toccata in d-Moll scherzhaft auch die „epidemische“ genannt. Denn kaum ein anderes Orgelwerk ist so oft wie diese bearbeitet worden, etwa für großes Orchester, oder auch von spärlich bekleideten Starlets wie Vanessa Mae mit ihrer Violine respektlos zu einem Stück Popmusik degradiert. Bruno Oberhammer lässt sich von alledem nicht irritieren. Seine Sichtweise auf dieses viel strapazierte Stück Orgelmusik ist von ungetrübter Klarheit und größter Individualität, nur dem verehrten Komponisten und dem eigenen Gewissen verpflichtet.
Wie Blitze fahren bei ihm die Unisono-Passagen am Beginn durch die Kirche, donnern die Bässe, bäumt sich der erste verminderte Septakkord der Musikgeschichte schmerzvoll auf, wogen stürmische Triolenläufe an der klanglich prächtigen Rieger-Orgel. Die Fuge ist dann verhältnismäßig harmlos, bis sich der Kreis in einem furiosen Toccata-Finale  schließt. Oberhammer zeigt sich gerade auch darin als Meister, wie er einem so viel gespielten Stück ein absolut persönliches Profil verleiht. Das schließt auch die mutige Registrierung mit schrägen Aliquoten-Registern mit ein, die die Echowirkungen in den Fugenpassagen noch weit plastischer erscheinen lassen.
Ein kleineres Präludium mit Fuge in a-Moll, BWV 551, steht am Beginn des Abends, und da benötigt diesmal auch Oberhammer eine kleine Anlaufphase, bis ihm alles so perfekt gelingen will, wie man es von ihm gewohnt ist. Doch spätestens bei der Fantasie und Fuge c-Moll, BWV 562, mit ihrem mächtigen Orgelpunkt am Beginn hat er sich frei gespielt, ist auf der Höhe seiner Kunst angekommen, phrasiert sehr übersichtlich und stellt die Fuge wie einen ehernen Block in den Raum.

Bachs bleibende Kunst der Choralbearbeitung

Zwischen diesen drei virtuosen Eckpfeilern entfaltet sich auf besondere Weise Bachs Kunst der Choralbearbeitung, die bis heute ein Maßstab in der Orgelmusik geblieben ist. Oberhammer demonstriert das diesmal anhand von Fantasien über fünf Choräle, bei denen Bach den zu seiner Zeit modernen „Stylus Phantasticus“ zur Anwendung gebracht hat. Das ist eine aus Italien stammende Stilrichtung des Barock, deren Anfänge auf Claudio Merulo zurückgehen und die in der norddeutschen Orgelschule bei Frescobaldi, Froberger und Buxtehude ihren Höhepunkt erreichte.
Bei dieser aus der Improvisationspraxis abgeleiteten, dramatisch anmutenden Kompositionspraxis kommt Bach zu durchaus originellen Ergebnissen, Oberhammer sorgt bei der Umsetzung durch gut artikulierte Spielweise und fantasievolle Registrierungen dafür, dass bei aller kontrapunktischen Kunst Bachs auch der Cantus firmus, also die Melodielinie des Chorals, für den Zuhörer gut erkennbar bleibt. Das dreistimmige „Jesu, meine Freude“, das prachtvoll verzierte „Valet will ich dir geben“ und das in gedämpften Holzregistern verhaltene „Erbarm dich mein, o Herre Gott“ bilden drei kontrastreiche Beispiele. Bei „Vater uns im Himmelreich“ bringen schnarrende Zungenregister neue Farben, in „Wir glauben all an einen Gott“ sind die kunstvoll verschlungenen Stimmen mit hellen Flötentönen ausgestattet.
Die kleine, aber verschworene Gemeinschaft von Stammhörern dieser Orgelreihe, die sich auch durch die unwirtlich eisigen Temperaturen an diesem Abend nicht vom Besuch dieses Konzertes hat abhalten lassen, klatscht nach der abschließenden Toccata und Fuge d-Moll so lange und intensiv, dass sich Bruno Oberhammer als Zugabe zu einem kompletten Da Capo des immerhin zehnminütigen Stückes entschließt. Und dafür noch mit Standing Ovations belohnt wird.

Das nächste Konzert dieser Reihe findet am 14. Februar 2011 in der Pfarrkirche Höchst statt.