Stefan Rüeschs Werke sind derzeit in der Galerie Sechzig in Feldkirch zu sehen. (Durchblick, Acryl u. Kohle auf Leinwand, 126 x 438, 2020, Foto: Markus Tretter)
Silvia Thurner · 01. Jun 2022 · Musik

In Beziehungen ertrinken – das kollektiv CONTEMPORAMENT warf auf Schloss Amberg mit seiner Performance „queerfeldein“ Fragen auf

Hohe Erwartungen gingen der Performance „queerfeldein“, dem Siegerprojekt des letztjährigen HUGO-Konzertdramaturgie-Wettbewerbs der Montforter Zwischentöne, voraus. Weil der ursprüngliche Termin wegen Corona nicht stattfinden konnte, luden Hans-Joachim Gögl und Folkert Uhde das kollektiv CONTEMPORAMENT, bestehend aus Studierenden der Hochschulen Bern und Nürnberg, nochmals ein, das speziell für Schloss Amberg konzipierte Projekt nun zur Aufführung zu bringen. Die Sopranistin und Projektleiterin Mara Maria Möritz, die Sopranistin Jessica Manga sowie der Schauspieler Timur Özkan legten sich mächtig ins Zeug und präsentierten eine kunstsinnige Storytelling-Musikperformance, die jedoch inhaltlich etwas eindimensional wirkte.

„queerfeldein“ lautete der Titel der Performance, die hervorragend platziert war im schönen Ambiente des Schlosses Amberg. Über mehrere Stockwerke hinweg, vom Kaminzimmer bis zum Weinkeller wurden die Räume bespielt. Auffallend war das gelungene Farbkonzept (Mia Rosa, Kostüme und Bühne) mit dem kräftigen Orange im oberen Geschoß und den blau-silbernen Grundtönen im Keller. Die Farben verbanden sich unwillkürlich mit der Emotion der Musik. Neben Liedern von Franz Schubert und Arien von Richard Dünser, der die Skizzen der Schubertoper „Der Graf von Gleichen“ vervollständigt hat, wurden auch elektronische Soundscapes von Kiara Konstantinou zugespielt. Sie verstärkten die Dramaturgie der Handlung wesentlich.
Zwei inhaltliche Leitlinien standen im Fokus der Performance. Auf der einen Seite die Geschichte des Grafen von Gleichen und seiner beiden Frauen, die Schubert seiner gleichnamigen, unvollständig gebliebenen Oper, zugrunde gelegt hat. Der Sage nach verstanden sich seine beiden Frauen, die Gräfin und Suleika, hervorragend. Alle drei teilten sich das Bett und nach ihrem Tod auch das Grab. Der zweite Handlungsstrang drehte sich um die Dreiecksbeziehung, welche die aus Feldkirch stammende Schriftstellerin Paula Ludwig mit Claire und Yvan Goll pflegte.

Hervorragende Sängerinnen und Electronics

Jessica Manga verkörperte im Kaminzimmer in einer Doppelrolle Paula Ludwig und Suleika. Mit ausdrucksstarker Stimme gestaltete sie die Lieder „Seelenblume“, „In Flammen“ und „Oracao“ des kubanischen Komponisten Magdiel Baptistin Vaillant. Ihre Kraft entfalteten die Lieder durch die eindrückliche Artikulation und die aussagekräftigen Electronics. Zwischendurch schaute der Schauspieler Timur Özkan als Yvan Goll bzw. als Graf, Texte von Paula Ludwig rezitierend, im Kaminzimmer vorbei. In seiner Ausstrahlung zeigte sich die Ambivalenz zwischen den Protagonist:innen. Während sie, an Leidenschaft, Wut und Eifersucht leidend, ihre Mitte verlor, wirkte er durch seine hektische Betriebsamkeit flatterhaft und wenig geerdet.
Im Weinkeller entfaltete die Sopranistin Mara Maria Möritz die Lieder „An Mignon“ (D161) „Sprache der Liebe“ (D410) sowie „Erster Verlust“ (D226) von Franz Schubert eindrücklich. Darin stellte sie die Seelenqualen einer unglücklich verliebten Frau dar, diese Emotionen unterstrichen auch Arien aus Richard Dünsers Oper „Graf von Gleichen“. Dramaturgisch gut eingesetzt waren wieder die Electronics von Kiara Konstantinou. Doch auch diese Doppelrolle als Paula Ludwig bzw. Gräfin erschöpfte sich in einem sehnsuchtsvoll leidenden Dahinschmachten. Als der Geliebte vorbeischaute, klammerte sie sich an ihn. Mit dieser Geste verstärkte sich die Abhängigkeit der Frau von ihrem Geliebten zusätzlich.

Musik, Schauspiel und Texte nicht optimal ausbalanciert

Dem Schauspieler Timur Özkan begegnete das Publikum überdies im Treppenhaus, wo er einige Passagen aus Paula Ludwigs Texten rezitierte. Ergänzend dazu gab es sehr viel zu lesen. Die Texte boten Orientierung und verdeutlichten die Ausgangsüberlegungen der Künstler:innen. So legten die Ensemblemitglieder einleitend dar, dass sie sich auf Schubert konzentrierten, weil sie in seiner Lebensweise eine homosexuelle Veranlagung sehen. Briefe zwischen Paula Ludwig und Yvan Goll machten ihre gegenseitige Verliebtheit nachvollziehbar und Texte aus dem Jetzt ließen queere Menschen der Gegenwart zu Wort kommen.
Als Ganzes betrachtet war die Performance durchdacht angelegt und in Verbindung mit dem stimmungsvollen Gebäude entstand eine konzentrierte und sinnliche Atmosphäre. Weil jedoch die Liveperformances der Sängerinnen eine viel stärkere Wirkkraft verströmten als die zu lesenden Texte, blieb eine ziemlich einseitige Sicht auf die Realität der sogenannten polyamorösen Beziehungen übrig. Die Frauen litten und der Mann eilte flugs dahin und dorthin, den Kontakt suchend und einige Aphorismen in den Raum werfend – von einem zum anderen.