Stefan Rüeschs Werke sind derzeit in der Galerie Sechzig in Feldkirch zu sehen. (Durchblick, Acryl u. Kohle auf Leinwand, 126 x 438, 2020, Foto: Markus Tretter)
Bettina Barnay · 04. Okt 2021 · Musik

Husten im Konzert

Achtung jetzt kommt ein Wutzappel, oder – etwas erwachsener ausgedrückt – ich ärgere mich. Ich ärgere mich schon lange über das Husten im Konzert, aber jetzt muss es raus. Konkreter Anlass ist das Konzert des Symphonieorchesters Vorarlberg unter der Leitung von Kirill Petrenko am 2. Oktober im Bregenzer Festspielhaus. Was heißt Konzert: ein Ereignis war das, eine dieser musikalischen und emotionalen Sternstunden, die man im Leben nie vergisst. Ein makelloser Abend wäre es geworden, wenn da nicht die Konzerthuster:innen gewesen wären.

Aber von vorne: Kirill Petrenko betritt das Podium, hebt den Taktstock und leitet das Symphonieorchester Vorarlberg an, Mahler so zu interpretieren, wie der sich das vermutlich selbst gewünscht hätte, nämlich genau seiner Partitur folgend. Und das Publikum... hustet. Nicht alle, natürlich nicht, aber zu viele: links vorne, dann rechts hinten, dann irgendwo in der Mitte. Und es handelte sich dabei nicht etwa um dezente Räusperer, oder in ein Taschentuch gehauchte „Frosch-aus-dem-Hals- Entlasser“, nein es war eine ghörige Beuschelei. Jeder Huster für sich hätte einen HNO Arzt dazu gebracht, augenblicklich eine Überweisung zur Bronchoskopie zu veranlassen.

Wollen die im Radio kommen?

Ich frag mich ja, was geht in Menschen vor, die in einem Konzert röhrend husten? Leiden sie unter eingeschränkter Selbstwahrnehmung und merken nicht, wie sehr sie das Publikum und die Musiker:innen stören? Oder wollen sie im Radio kommen? Nicht anders kann ich mir die Tatsache erklären, dass speziell bei besonders leisen Stellen gehustet wird, und am liebsten dann, wenn das Konzert aufgenommen wird, wenn also Mikrophone herumstehen und -hängen. Braucht es mehr mutige Künstler wie den großartigen Pianisten Alfred Brendel, der seinem Publikum einst zurief: „Entweder Sie hören auf zu husten oder ich höre auf zu spielen!“ Danach hat keiner mehr gehustet – es geht also auch ohne!
Prof. Dr. Andreas Wagener von der wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Hannover hat 2012 eine Studie vorgelegt, in der stand, dass Menschen durchschnittlich 16 Mal am Tag ihre Bronchien per Abhusten reinigen, bei Konzertbesucher:innen sind es aber – seinen Berechnungen zufolge – 36 Huster. "Die Lautstärke des Hustens wird höher, wenn die Musik unbekannter und komplizierter ist" schreibt Wagener. Das trifft auf den ersten Satz von Mahlers 9. Sinfonie zu. Der ist echt herausfordernd. Wageners Theorie hat sich im Konzert am 2. Oktober bestätigt. Nach dem ersten Satz wurde fast nur noch in den Satzpausen gehustet. Übrigens war das nicht das erste Mal, dass gerade im ersten Satz von Mahlers Neunter so ausufernd geröhrt wurde. Im Jahr 2013 verließ der Dirigent Michael Tilson Thomas in seinem Konzert mit dem Chicago Sympony Orchestra nach dem Ende des ersten Satzes sogar die Bühne und verteilte bei seiner Rückkehr aufs Podium Hustenzuckerln im Publikum.

Husten kann man unterdrücken

Wenn wir nun davon ausgehen, dass Menschen mit Erkältungssymptomen oder chronischen Erkrankungen der Atemwege Konzertsäle meiden (generell und derzeit ganz besonders), muss den Konzerthuster:innen unterstellt werden, dass sie sich zu wenig darum bemühen, nicht zu stören. Husten kann man, zum Unterschied von Gähnen, unterdrücken, oder aber man kann – wenn man den drohenden Hustenanfall kommen spürt, weil man sich etwa verschluckt hat - noch schnell den Saal verlassen, wenn man nicht gerade in der Mitte einer Reihe sitzt. Und wenn dies zutrifft, kann man BITTE den Kopf senken und in sein Taschentuch, seinen Schal, oder die Ellenbogenbeuge husten.
Loriot hat den Berliner Philharmonikern eine „Hustensymphonie“ geschenkt, bei der es, wie er selbst geschrieben hat: „gelang, konzertimmanente Geräuschsymptome zur Bereicherung des Werkes zu integrieren.“ Von Aleksey Igudesman gibt es ein ähnliches Werk. Vielleicht könnte man eines der beiden Stücke jeweils an den Beginn von Symphoniekonzerten setzen. Damit danach ausgehustet wäre. Ach, wäre das schön!