Das Wiener Burgtheater war mit Molières „Der Menschenfeind“ unter der Regie von Martin Kušej im Bregenzer Festspielhaus zu Gast ( Foto: Matthias Horn))
Fritz Jurmann · 26. Nov 2010 · Musik

Glänzende Visitenkarte zum 25-jährigen Bestehen - Das Symphonieorchester Vorarlberg spielte eine packende „Neunte“ Beethoven

Das Symphonieorchester Vorarlberg feiert Jubiläum, und alle feiern mit. Durchaus zu Recht. Denn aus diesem Zufall, der 1985 zur Gründung dieser Kultureinrichtung im Land geführt hat, ist inzwischen ein absoluter Glücksfall geworden. Ich darf das als Zeitzeuge festhalten, der das SOV von der ersten Stunde an in kritischer Distanz medial begleitet hat – zunächst als Musikchef des ORF Vorarlberg, seit 2004 als Musikkritiker der „Vorarlberger Nachrichten“. Das Orchester hat zuletzt unter seinem ebenso kompetenten wie motivierten Chefdirigenten Gérard Korsten ein Niveau erreicht, das höchsten Ansprüchen zu genügen vermag. Wie am Donnerstag bei einem als „Festkonzert“ zum 25-jährigen Bestehen betitelten Abend im Bregenzer Festspielhaus, der sich geschickt zwischen einer Werbeveranstaltung für den Hauptsponsor Volksbank Vorarlberg und einer hochklassigen Konzertdarbietung mit Beethovens Symphonie Nr. 9 in d-Moll durchlavierte.

„Seid umschlungen, Millionen!“

So hatte SOV-Präsident Eduard Konzett auch die Lacher auf seiner Seite, als er in seiner Ansprache darauf hinwies, dass es in der letzten Strophe von Schillers berühmter „Ode an die Freude“, vertont im vierten Satz von Beethovens „Neunter“, heißt: „Seid umschlungen, Millionen!“ und so auch der Bogen zur Bank geschlossen wurde, die neben der Politik für die notwendige Dotierung dieser Einrichtung sorgt. Konzetts Appell an die öffentliche Hand aber war klar: Ohne Erschließung neuer Mittel wird in Zukunft die notwendige Weiterentwicklung des Orchesters mit angedachten Fixanstellungen eines Stamms von Musikern nicht möglich sein. Seitens der Volksbank stellte deren Vorstandsvorsitzender Dr. Thomas Bock einen gedanklichen Konnex zwischen Marketing und Kulturmanagement her und sicherte dem SOV den Fortbestand der bestehenden Partnerschaft zu.
Special guests aus Politik, Wirtschaft und Kultur gaben sich also an diesem Abend zusammen mit Kunden der Volksbank ein Stelldichein – nicht nur um den Bestand und die Leistungen dieses Orchesters zu würdigen, sondern sicher durchaus auch zum eigenen Vergnügen. Dieses wäre für manche Insider noch ungetrübter gewesen, hätte die freundliche Moderatorin Petra R. Klose im Vorfeld das zum Teil konzertunerfahrene Publikum auf den Gratisplätzen darauf hingewiesen, dass man im heutigen Konzertbetrieb zwischen den Sätzen einer Symphonie nicht klatschen sollte. Was andererseits der berechtigten und großen Begeisterung für die Mitwirkenden am Schluss des Abends wiederum keinen Abbruch tat.
Schade, dass entgegen dem Grundsatz „Prima la Musica“ aus Zeitgründen wegen der bei einem solchen Jubiläum eben unumgänglichen Reden nicht die komplette  Symphonie in C-Dur von Anton Eberl gespielt wurde, sondern nur der erste Satz daraus, ein Allegro con brio. Das gut gearbeitete, flotte Stück bester österreichischer Klassik dieses heute ziemlich vergessenen Komponisten, den manche zu Unrecht als bloßen Mozart-Verschnitt bezeichnen, erwies sich als Entdeckung und machte deutlich Appetit auf mehr – das jeweils komplette Werk in drei Sätzen gibt es bei den beiden Abo-Konzerten in Feldkirch und Bregenz. Gérard Korsten sorgte mit „seinem“ Orchester in einer fulminanten Wiedergabe für einen mitreißenden Auftakt dieses Abends.

Beethoven als Revolutionär und Erneuerer

Bei Beethoven dann lässt der Chef vom straffen Beginn an keinen Zweifel daran, dass er als Verfechter absoluter Texttreue den „Titan“ in aller Klarheit und schonungslosen Härte offen legen will. Einen Beethoven, der mit diesem Werk seiner Zeit weit voraus war, ein Revolutionär und Erneuerer. Das Orchester geht diesen Weg uneingeschränkt mit, mit all den guten Eigenschaften, die nach diesen 25 Jahren präzise abgerufen werden können: jugendlicher Elan, der sich durch die Fluktuation auch über diese 25 Jahre erhalten hat, enorme Konzentrationsfähigkeit, Klangkultur in allen Registern. Und mit seinen inzwischen schon legendären Glanzlichtern: dem aufregend agilen Konzertmeister Hans-Peter Hofmann und den seit Jahren hier tätigen Topleuten aus dem Land an den ersten Pulten, die mit jedem solistischen Einsatz eine kleine Preziose generieren.
Das Energiebündel Korsten hat seine Augen und Ohren überall. Ihm gelingt es, die aufgebaute Spannung bis zum Finalsatz durchzuhalten, dessen gewaltige Architektur aus Stimmen und Instrumenten er mit großer Umsicht zu einem umwerfenden Ganzen voll Größe und Präsenz koordiniert, durchschlagkräftig in seiner Wirkung, schlank im musikalischen Ausdruck. Die Überraschung dabei ist der Bregenzer Festspielchor, der bis vor kurzem kaum über seinen eigentlichen Wirkungskreis Seebühne hinaus in Erscheinung getreten ist und sich nun hinstellt und die „Neunte“ Beethoven singt. Die bei Chorsängern allein ihrer exponierten Höhe wegen gefürchtete Partie gelingt, von kleinen Unebenheiten abgesehen, mit großem Anstand und auf respektablem Niveau. Das kleine Wunder ist dem neuen Domkapellmeister Benjamin Lack zu danken. Er hat seine Erfahrung als Chorerzieher perfekt eingebracht und auch dank einiger Aushilfsstimmen aus seinem Feldkircher Kammerchor dieses beeindruckende Ergebnis erzielt. Ein gewaltiger Image-Schub für den lange unter seinem Wert gehandelten Chor!

Der Glanz des Solistenquartetts

Das mit Bedacht gewählte Solistenquartett, bewusst nicht vorne beim Dirigenten, sondern vor dem Chor platziert, fügt sich wunderbar ins Geschehen. Alle vier sind durch Opernproduktionen mit dem SOV vertraut und verbunden, Einvernehmen und Einsatz sind von spürbar besonderer Qualität, der Glanz der Stimmen erhebt sich mühelos über den Orchesterklängen: Christiane Boesiger, Sopran („Lucia di Lammermoor“), Kinga Dobay, Alt („Mann von La Mancha“), Michael Nowak, Tenor  („Don Pasquale“) und Daniel Borowski, Bass (der Sarastro der kommenden „Zauberflöte“).
Eine Doppel-CD aus Mitschnitten des ORF Vorarlberg mit Sternstunden aus 25 Jahren Symphonieorchester Vorarlberg ist parallel dazu erschienen und bei den Konzerten und über den Fachhandel erhältlich. Bei der nächsten CD wird man mit Sicherheit diese „Neunte“ Beethoven als weitere Sternstunde des SOV vorfinden.                 
Zwei Leute gehören bei dieser Gelegenheit ebenfalls vor den Vorhang, ohne die dieser großartige Aufschwung nie zustande gekommen wäre. Das ist Christoph Eberle, der als Chefdirigent von 1988 bis 2005 das Orchester künstlerisch ganz entscheidend geprägt hat, und das ist Michael Löbl, der seit 1993 bis heute als Geschäftsführer im Hintergrund absolut kompetent die Fäden zieht und neben der finanziellen Gebarung mit seinem ausgeprägten Musikgeschmack auch wesentlich die Programmgestaltung mitbestimmt. Die aktuelle Printausgabe der KULTUR enthält ein großes Interview, das Silvia Thurner mit Michael Löbl geführt hat.