Neu in den Kinos: „Challengers – Rivalen“ (Foto: MGM)
Peter Füssl · 14. Okt 2022 · Musik

Genialer Thriller-Soundtrack zur galligen Heimatsatire – onQ x Jazzorchester Vorarlberg feat. Maria Hofstätter und Wolfgang Puschnig brillierten am Dornbirner Spielboden

Der Abend begann mit einem Überraschungs-Set, weil das onQ-Quintett mit der aus Slowenien stammenden und in Basel lebenden Vokalistin Patricija Skof am Spielboden seine Vorarlberg-Premiere nachholte, die eigentlich für den Saumarkt geplant gewesen wäre. Der Großteil der auch genügend improvisatorische Freiräume bietenden Kompositionen stammte aus der Feder der jungen Sängerin. Gemeinsam mit den beiden onQ-Gründern Tobias Vedovelli am Kontrabass und Michael Tiefenbacher am Piano, sowie Saxophonist Stepan Flagar und Drummer Valentin Duit breitete Skof ein abwechslungsreiches Spannungsfeld zwischen Groove-Orientiertem voller melodischer und rhythmischer Überraschungen und freien Passagen aus, und kreierte gleichzeitig eine Vielzahl an Stimmungen. Manchmal gewohnten Songstrukturen nahe, zumeist aber ihr wandlungsfähiges Organ instrumental einsetzend, besonders verblüffend etwa in Unisono-Passagen mit dem Saxophon. Ein unerwarteter Mehrwert, den die Jazz-Fans an diesem ereignisreichen Abend gerne mitnahmen. Denn nach einer kurzen Pause fegte ein fünfzehnköpfiger, aus bewährten Mitgliedern des onQ-Kosmos und des Jazzorchester Vorarlberg zusammengesetzter Jazz-Orkan über die Bühne, mit dem österreichischen Star-Saxsophonisten Wolfgang Puschnig als zusätzlichem Highlight-Lieferanten und der Schauspielerin Maria Hofstätter mit ihrer geschickt zusammengestellten Kurzfassung von Petra Piuks bitterbösen „Anleitung zum Heimatroman“ als literarischem Epizentrum.

Bitterböse Heimatsatire: Von Maria Hoftstätter genial rezitiert ...

„Toni und Moni oder: Anleitung zum Heimatroman“ der burgenländischen Autorin Petra Piuk ist 2019 erschienen – ein 200 Seiten-Bändchen mit einem ungeheuer hohen Unterhaltungswert für all jene, die der verlogenen, „Musikantenstadl“-infiltrierten Heimatidylle ohnehin nie trauten. Manche Charaktere nehmen beim Lesen unweigerlich die Physiognomien einschlägiger Manfred Deix-Karikaturen an, denn hier wird tief, aber dennoch witzig-schräg in die chauvinistische, männerdominierte, frauenverachtende, fortschrittsverweigernde, am Erhalt selbst fragwürdigster Werte orientierte Heimattümelei eingetaucht. Niemals moralinsauer, sondern zumeist mit einer verblüffenden spielerischen Leichtigkeit. Natürlich reizen die von Maria Hofstätter genussvoll zitierten „Kriterien für einen wahren Heimatroman“ permanent zum Lachen, aber das bleibt auch ebenso zielsicher im Halse stecken. Und das nicht erst beim schaurigen, bluttriefenden Quentin Tarantino-Finale.

Hofstätter ist die Idealbesetzung für solch ein Unterfangen. Keine Ahnung, ob sie ihre Kindheit und Jugend im Mühlviertler 5.000-Seelen-Nest Gramastetten an der Großen Rodl schon so gut auf die Vorgänge in Petra Piuks Schöngraben an der Rauscher vorbereitet hat, oder ob es vielleicht doch eher die Vielzahl an schrägen Rollen, die sie unter anderem in Ulrich Seidl-Filmen wie „Hundstage“, „Import Export“ oder in dessen „Paradies-Trilogie“ gespielt hat war, jedenfalls gelingt es ihr vorzüglich, die verkorksten Strukturen und die alltägliche, „normale“ Gewalt, die hinter den brachialen Witzen lauern, auf feinsinnige Weise bloßzustellen.

 ... und von onQ x SOV in ein gewaltiges musikalisches Panoptikum gebettet

Die Kompositionen von Tobias Vedovelli, Michael Tiefenbacher und des an diesem Abend nicht anwesenden Jazz-Orchester-Spezialisten Ralph Mothwurf waren alles andere als Hintergrundmusik für die bitterböse Heimatsatire. Vielmehr potenzierten sie die zwischen Zwerchfell und Magengrube angesiedelten Stimmungen auf imposante Weise. Da wurden mit feinsten Pinselchen spannungsgeladene Soundgespinste hingestrichelt, öfter aber fuhr man mit ganz großen Geschützen auf, ließ die beindruckenden Potentiale dieses grandiosen Jazzorchesters förmlich explodieren. Das hatte wilde Kraft, das hatte rohe Energie – und es hatte Witz, wenn etwa frenetische Bigband-Klänge unvermittelt in alpenländische Schunkelsoundwelten abdrifteten. Special Guest Wolfgang Puschnig fachte mit der expressiven Kraft seines Altsaxophons das musikalische Feuer zusätzlich an, aber auch Stepan Plagar legte auf dem Tenorsax tüchtig nach. Martin Eberles heißkalten Trompetensoli bohrten sich lustvoll in die Gehörgänge, und der kurzfristig eingesprungene Christoph Ellensohn fügte sich nahtlos in dieses höchst gelungene und wundervoll harmonierende onQ-JOV-Konglomerat ein und sorgte auf dem Horn für zum bitterbösen Text perfekt harmonierende hintergründige Alpenlandfolklore. Das handfeste Rhythmus-Gespann aus Kontrabassist Tobias Vedovelli und Drummer Christian Eberle bot dem auf höchst kreative Weise ungestümen Haufen stets Halt und Zusammenhang, Eberle sorgte aber auch für buchstäbliche Knalleffekte, wenn er auf sein Schlagzeug einprügelte und mit detonierenden Kanonenschlägen die verlogene Idylle in die Luft sprengte. Ein Ereignis der ganz besonderen Art war aber das unglaubliche Solo von Benny Omerzell, der sein passenderweise knallrot gefärbtes Nord Electro 5D wie ein Schlangenbeschwörer umkreiste, um ihm die außergewöhnlichsten Vintage-Keyboard-Sounds zu entlocken und schließlich in Kombination mit Michael Tiefenbacher an der Fender Rhodes ein mitreißendes Gipfeltreffen hoher elektronischer Tastenkunst abzufeiern. Martin Skorupa auf der Bassklarinette, Yvonne Moriell am Sax, Maria Augustin an der Querflöte, Christina Lachberger an der Bassposaune, Georg Schrattenholzer an der Posaune und Martin Ohrwalder an der Trompete – sie alle werden nicht nur der Vollständigkeit halber genannt, sondern weil sie diese großartige, gefräßige Jazzorchestersoundmaschine mit ihrem kreativen Output fütterten. Bis hin zum kollektiven Herunterbeten katholisch angehauchter Litaneien. Mein Gott, was für eine Band!

Wer’s versäumt hat: Am 26. Oktober ist diese Produktion im Treibhaus in Innsbruck zu sehen und zu hören – auch die Autorin Petra Piuk wird dort anwesend sein. Am selben Abend wird dort übrigens auch Beinahe-Präsident Marco Pogo „Gschichtln“ aus seinem Leben erzählen und eine Ansprache zum Staatsfeiertag halten. www.treibhaus.at