Tobias Grabher, die Camerata Musica Reno und Michael Köhlmeier bescherten dem Publikum ein „österliches Cineastenfest“.
Fritz Jurmann · 02. Jul 2012 · Musik

Geheimtipp Wolfegger Konzerte: Manfred Honeck zelebrierte als „Hohepriester der Musik“ Sakrales von Mozart und Schubert

Da müssen höhere Mächte im Spiel gewesen sein. Jedenfalls klang es vielfach überirdisch, was der charismatische Vorarlberger Dirigent Manfred Honeck (53) am Sonntag zum Abschluss der 23. Internationalen Wolfegger Konzerte in der vollbesetzten Schlosskirche musikalisch zu formen verstand. Als „Hohepriester der Musik“ dirigierte und zelebrierte er vom Altar aus groß besetzte Sakralmusik von Mozart und Schubert, wie man sie in dieser Hochklasse auch in Zürich, München oder Wien nicht besser zu hören bekommt. Dass in diesem internationalen Ensemble auch die Altistin Martina Gmeinder aus Wolfurt zu bestehen wusste, ist ein weiterer Grund zur Freude.

Das Besondere ohne großen Rummel


Weit abseits der großen Kulturzentren und Touristenströme wird Wolfegg in unserer deutschen Nachbarschaft Jahr für Jahr um diese Zeit zum Geheimtipp für Kulturfreunde, die das Besondere ohne den großen Rummel lieben. Am Wochenende bot die dortige kleine Konzertreihe wieder ein exquisites Programm, dessen Gestaltung seit 1994 in den Händen von Manfred Honeck als künstlerischem Leiter liegt. Nach einem Soloabend mit Schlagzeug am Freitag in der Alten Pfarr und einem Orchesterkonzert im Zeichen Beethovens am Samstag im Rittersaal des Schlosses bildete das Kirchenkonzert am Sonntag in der prächtigen barocken Kirche St. Katharina den abschließenden Höhepunkt des dreitägigen Festivals in der beschaulichen schwäbischen Gemeinde. Deren historischer Kern mit einem prächtigen Schloss auf einer kleinen Anhöhe im idyllischen Allgäu wird von der Fürstenfamilie Waldburg-Wolfegg und Waldsee bewohnt, einem alten Habsburger-Geschlecht.  
Eigentlich ist Manfred Honeck ja seit 2008 und noch bis 2016 durchaus erfolgreicher Musikdirektor des amerikanischen Pittsburgh Symphony Orchestra – erst im Vorjahr wurde seine Einspielung der Vierten Mahler mit einem ECHO Klassik in der Sparte „Symphonische Musik“ ausgezeichnet. Doch mit ebensolcher Liebe und Sorgfalt prägt er mit seinen Ideen und seiner Künstlerpersönlichkeit auch die Wolfegger Konzerte und bringt dank seiner Kontakte auch internationales Flair in den kleinen Ort. Vor allem aber hat der Dirigent hier auch die Möglichkeit, mit allem gebotenen Ernst und der ihm eigenen tiefen Religiosität jene Musik zu verwirklichen, die zu den Schwerpunkten und Lieblingsgebieten seines musikalischen Schaffens zählt.

Glaubensbekenntnis und Gottesverherrlichung


Es ist die Jahrhunderte alte Tradition klassisch-romantischer katholischer Kirchenmusik mit ihrer besonderen Mischung aus Glaubensbekenntnis und Gottesverherrlichung, die ihn immer wieder zu interpretatorischen Höchstleistungen animiert. Konkret sind das in diesem Jahr Wolfgang Amadeus Mozarts „Vesperae Solennes de Confessore“ KV 339 und Franz Schuberts letzte große Messvertonung in Es-Dur, D 950, die in ihrer pompösen Festlichkeit, ihrem melodiösen Glanz, aber auch in der Verinnerlichung der liturgischen Aussage wie geschaffen sind für die prächtige Architektur dieses Kirchenraumes mit seiner wunderbaren Akustik und mit diesem sogar eine Art Symbiose einzugehen scheinen.
Ein Klangereignis ersten Ranges bietet bei dieser Aufführung der erstmals in diesem Rahmen auftretende Philharmonische Chor Prag, einstudiert von Lukás Vasilek. Hohe sängerische Kultur mit enormer stimmlicher Beweglichkeit, traumhafter Intonationssicherheit und Diktion sowie feinsten dynamischen Regungen bis zum fast unhörbaren Pianissmo überraschen ebenso wie dessen Leistungsfähigkeit in der rund einstündigen strapaziösen Schubertmesse, bei der der Chor die Hauptverantwortung trägt und dabei keinerlei Ermüdungserscheinungen zeigt.

Vor allem vokal überwältigende Aufführung


Manfred Honeck, den rund 40 Sängerinnen und Sängern seit langem künstlerisch verbunden, schöpft denn auch bei all diesen guten Eigenschaften aus dem Vollen und gestaltet so eine vor allem vokal überwältigende Aufführung. Dabei steht ihm heuer auch wieder das Staatsorchester Stuttgart zu Verfügung, dem er bis 2011 als Generalmusikdirektor der Staatsoper Stuttgart vier Jahre lang vorstand. Der Klangkörper hat nichts von jener Opernroutine seiner Musiker, von ihrem instrumentalen Können und enormer Flexibilität eingebüßt, wie man sie von maßstäblichen Aufführungen zwischen 2008 und 2010 hier in bester Erinnerung hat.
Honeck versteht es brillant, die beiden Werke nicht nur stilistisch, sondern von ihrem unterschiedlichen Charakter her deutlich voneinander abzugrenzen. Da sind die klassisch sechsteiligen, kontemplativ bittenden „Vesperae“ Mozarts mit strengen Psalmvertonungen in innigen Linienführungen, aus denen das längst zur Wunschkonzertnummer avancierte „Laudate Dominum“ heraussticht. Es wird zum Glanzpunkt dieses Konzertes für die junge koreanische Sopransolistin Sunhae Im, in den letzten Jahren hier zum Stammgast geworden. Ihre technisch perfekt gestylte Prachtstimme führt sie locker auf traumschöne, unangestrengt lyrische Höhen und durch leichtgängige Koloraturen – einfach engelsgleich.

Schuberts Es-Dur-Messe als Glanzpunkt


Die ganze Wucht und Dramatik des Ausdrucks, die Franz Schubert bei der Behandlung des lateinischen Messtextes in seinem letzten Lebensjahr 1828 zu Gebote stand, ruft Manfred Honeck bei dessen Es-Dur-Messe ab, macht diese im Handumdrehen zum Glanzpunkt des Konzertes und schafft damit gleichzeitig einen schroffen Kontrapunkt zu Mozart. Hier werden wahre Wunder an Feinzeichnung, beredtem Schmerz und solistischer Finesse Wirklichkeit. Er bedient sich ungeniert der breiten Palette an Farben und Emotionen, etwa zwischen dem aufjauchzenden „Gloria“-Beginn und der abschließenden breiten Fuge. Lässt das Credo wie eine Motette von Palestrina melodiös strömen, daraus sich den Mittelteil mit dem berührenden „Et incarnatus est“ entwickeln, das in einer italienisch anmutenden Opernmelodie den beiden herrlich freien Solotenören, dem Deutschen Andreas Post und dem Iren Dean Power, sowie dem Solosopran Sunhae Im anvertraut ist.
Einen sehr in sich gerundeten Eindruck ergibt das international besetzte Solistenquintett, zu dem sich unsere Manfred Honeck seit längerem künstlerisch verbundene Martina Gmeinder mit stimmlicher Präsenz in der Altpartie und Tareq Nazmi aus Kuwait mit seinem profunden Bass gesellen. Der typischen Schubertmelodie des „Benedictus“ belässt Honeck alle mögliche Schlichtheit, gestaltet dafür umso dramatischer das „Agnus Dei“ als Ausbruch von Sündenangst und Todesfurcht – bis hin zur Friedensbitte „Dona nobis pacem“, die wie ein Wiegenlied still verebbt. Ein hinreißendes Erlebnis für die Zuhörer, die nach Verklingen des letzten Glockentones ihrer Begeisterung Luft machen.