Derzeit in den Vorarlberger Kinos: The Zone of Interest (Foto: Filmcoopi Zürich)
Fritz Jurmann · 29. Mai 2018 · Musik

Festspiel-„Carmen“ für Kinder: Turbulente interaktive Version macht Appetit auf das Original

Das Festspielhaus war am Dienstagvormittag Schauplatz eines erstmals in dieser Form durchgeführten Experimentes der Bregenzer Festspiele, die damit neben den bewährten Einrichtungen wie dem „Fest des Kindes“ und der „Cross-Culture“-Schiene erstmals auf neue Art ihre Zuhörer von morgen ansprechen wollten.

Rund eintausend Kinder im Alter zwischen sechs und zwölf Jahren aus zahlreichen Schulen rundum und mindestens nochmals so viele in zwei weiteren Vorstellungen folgten der Einladung zu einer speziell auf ihre Interessen zugeschnittenen und auf das Wesentlichste verknappten „Carmen für Kinder“ und trugen spontan auch das Ihre zum Gelingen dieses interaktiven Projektes als Pendant zu Bizets Opernproduktion auf der Seebühne bei.

Clown-Hütchen, weiße Handschuhe, Fähnchen

Seit Jahresbeginn waren sie im Unterricht mit einigen der prägnantesten Melodien aus dem populären Werk vertraut gemacht worden und sangen nun, mit kecken Clown-Hütchen und weißen Handschuhen kostümiert und mit Fähnchen bewaffnet, an den entsprechenden Stellen der Aufführung auch nach Leibeskräften mit und machten die eingeübten choreographischen Handbewegungen dazu. Und sämtliche pädagogische Bedenken im Vorfeld, wie man wohl so viele Kinder auf einem Haufen 70 Minuten lang mit teils französisch gesungener Opernmusik auf der großen Bühne des Hauses fesseln und bei Laune halten könne, ohne dass der Lärmpegel im Saal zu groß würde, erwiesen sich letztlich als übertrieben.
Die Idee dazu stammt aus Italien, wo für das Publikum von morgen seit 22 Jahren erfolgreich die Aktion „Opera Domani“ in der Jugendschiene des Teatro Sociale di Como läuft. Nina Wolf, Leiterin von „Cross Culture“ der Festspiele, war nach einer ersten Begegnung total begeistert von dem Projekt und hat diese Kooperation mit Bregenz in die Wege geleitet. Das Herausfordernde daran war eine altersgemäße Aufbereitung der für diese Altersgruppe noch schwer nachvollziehbaren Handlung mit ihren psychologischen Verstrickungen. So hat man diese Dreiecksgeschichte um die umschwärmte leichtlebige Zigeunerin Carmen und ihre beiden Verehrer einfach ins Zirkusmilieu verfrachtet: „Carmen – der Star im Zirkus Sevilla“. Das ist etwas, was Kinder in diesem Alter von vornherein interessiert und mit seiner geheimnisvollen Exotik fesselt.

Vergammelte Zirkusatmosphäre

Und wirklich sieht man sich, als der große Vorhang aufgeht, einer liebevoll nachempfundenen Zirkusmanege gegenüber, mit bunten Kostümen, viel Flitter und bunten Lichtern, die über die schon etwas vergammelten Versatzstücke hinwegtäuschen sollen. Eine Zirkusbühne bildet das Zentrum für die wichtigsten Auftritte der zwölf Mitwirkenden aus jungen, schon routinierten Sängern und Artisten. Davor ist das (Zirkus-)Orchester postiert, in Form unseres auf rund 25 Musiker abgeschlankten Symphonieorchesters Vorarlberg. Das klingt zwar manchmal  kammermusikalisch duftig, an anderen Stellen, die man als opulent im Ohr hat,  naturgemäß auch etwas dürftig.
Die quirlige junge Dirigentin Azzurra Steri hat die Musiker mit weit ausholenden Bewegungen gut im Griff und das junge Publikum sofort auf ihrer Seite, als sie gleich nach ihrem Auftritt wie der Kasperl ins Publikum ruft: „Wie geht es Euch?“ – Na, gut natürlich. Der Jubel der Youngsters ist ihr sicher. Und so wird sie auch gleich zur Vertrauensperson, die die Kinder bei ihren Mitsing-Einsätzen dirigiert, wenn mittendrin im Geschehen das Saallicht angeht und auf den Monitoren der Text mitläuft: das „Lied der Wache“, das „Zigeunerlied“ und vor allem, mit absolutem Hitfaktor, das allbekannte „Toreador“-Lied, „Auf zum Kampfe“, auch als Mitklatsch- und Mitsing-Schlussparade mit minutenlangem Beifall.    

Rampentheater für junges Publikum

Die Charaktere sind in dieser Inszenierung von Andrea Bernard bewusst einfach gestrickt, Liebe, Hass, Eifersucht werden plakativ verständlich gezeichnet. Die Sänger und Schauspieler sind angehalten, mehr als sonst auf Rampentheater zu spielen, die jungen Zuhörer damit direkt anzusprechen. Und damit es nicht fad wird, werden manche Szenen bewusst auch etwas schärfer konturiert, kleine Späßchen eingebaut, über die die Kinder lachen können, sorgen Artisten am Seil zur Seguidilla mit dem wunderbaren Flötensolo (Anja Baldauf), Jongleure am Hochrad und Tänzerinnen in prächtigen Goldgewändern zu spanischen Rhythmen für optische Reize.
Die Überraschung ist auch hier, so wie am See, die Art, in der Carmen zu Tode kommt. Während sie draußen entgegen dem Drehbuch ertränkt wird, wird sie hier in einen Zauberkasten eingesperrt, in dem man sonst Jungfrauen zersägt, und von Don  José mit einem Degen von außen erstochen. Als man den Kasten öffnet, ist sie verschwunden.              

Quirliges, spielfreudiges Ensemble

Carmen (Irene Molinari) ist mit ihrem weichen Mezzo und einer lasziven Ausstrahlung der strahlende Star im Programm. Sie erlebt und erleidet in diesem Ambiente auch ihr Schicksal zwischen den beiden Rivalen um ihre Gunst, dem leidenschaftlich verliebten Tenor Don José (Ugo Tarquini), dessen „Blumenarie“ in der Höhe etwas flach gerät, und dem Schwerenöter Escamillo (Luca Galli), der bei seinem Auftritt noch um die notwendige Tiefe kämpft. Aber eine Kindervorstellung ist ohnedies nicht der rechte Platz für eine ausgefeilte Fachkritik, und am Schluss sind beide auch zu jener Form warmgelaufen, in der sich Carmen schon von Anfang an befunden hat.
Jacopo Sorbini, eigentlich in der Rolle des Leutnants Zuniga, gibt in dieser Inszenierung einen eitlen, wunderbar großspurigen Zirkusdirektor. Tiberia Monica Naghi gefällt mit ihrem Sopran als feinsinnige Gegenspielerin Micaela und hat mit Luana Grieco als Zigeunerin Mercedes eine ideale Partnerin in der berühmten Kartenleger-Szene, in der als Verständnisstütze für die Kinder sogar der Tod zusammen mit drei schauerlichen Gesellen leibhaftig auf der Bühne auftaucht. Die Schmuggler Ermes Nizzardo und Guido Dazzini komplettieren ein spielfreudiges, temperamentvolles und mitreißendes Ensemble, das sicher auch Erwachsenen gefallen hat. Den Kindern aber hat diese „Carmen“-Version bestimmt Appetit auf das Original gemacht – irgendwann einmal, wenn sie groß sind.