Das Wiener Burgtheater war mit Molières „Der Menschenfeind“ unter der Regie von Martin Kušej im Bregenzer Festspielhaus zu Gast. (Foto: Matthias Horn)
Silvia Thurner · 15. Sep 2013 · Musik

Farbenreiche Tränen – Christian Muthspiel und seine Band zollten John Dowland auf bewundernswerte Art Tribut

Den Auftakt zur aktuellen Jazz& Reihe am Dornbirner Spielboden machte der Posaunist und Komponist Christian Muthspiel mit seinem neuesten Projekt „Seaven Teares“. Bereits zum zweiten Mal hat er sich mit dem Renaissancekomponisten John Dowland auseinandergesetzt. Dieses Mal diente ihm der „Lachrimae-Zyklus“ als Inspirationsquelle, um die Musik des 16. Jahrhunderts in unsere Zeit zu transformieren. Zusammen mit den Musikerkollegen Matthieu Michel (Trompete und Flügelhorn), Franck Tortiller (Vibraphon) und Steve Swallow (E-Bass) gelang dies hervorragend. Originell und geistreich sowie ausgeklügelt und klangsinnlich wirkten die zehn Stücke, die in anregender Atmosphäre zu hören waren.

Die Qualität des Projektes „Seaven Teares - Tribute to John Dowland", beruht zu einem wesentlichen Teil auf Christian Muthspiels kompositorischem Gefühl. Er hat die berühmte Vorlage genau auf die Möglichkeit abgehört, wie Renaissancemusik mit ihren spezfischen Eigenheiten in die Jazzmusik unserer Zeit überführt werden kann. In sich schlüssig wirkten die einzelnen Stücke auch deshalb, weil gut nachvollziehbar war, in welcher Art die vier Musiker die musikalischen Ausgangsgedanken transformierten. Jeweils am Anfang sowie an exponierten Stellen erklangen Zitate von Dowland, die durch die besondere Tongebung aus dem musikalischen Kontext herausgehoben wirkten. Erst danach begann die musikalische Abenteuerreise, unter anderem mit elektronisch fabrizierten Loops, die Christian Muthspiel im Sinne der Vorlage in spannende kanonische Patterns setzte.

Rollenverteilung


Die Rollenverteilung der über weite Strecken gleichberechtigten Musikpartner Matthieu Michel (Trompete und Flügelhorn), Franck Tortiller (Vibraphon) und Steve Swallow (E-Bass) waren klar abgesteckt. Während Matthieu Michel klanglich und improvisatorisch nahe neben dem Posaunisten Christian Muthspiel agierte, führte Franck Tortiller in den kollektiven Improvisationen die Ausgangsideen wirkungsvoll in neue Regionen. Steve Swallow bot mit seinem E-Bass ein starkes und verlässliches Fundament.

Tanzsätze der Renaissance und Jazzrhythmen


Gut nachvollziehbar waren die Überleitungen der melodischen Linien und charakteristischen Intervalle in die heutige Zeit. Zusammen mit den rhythmischen Verschiebungen erlebten die Zuhörenden Metamorphosen musikalischer Gestalten, die ineinander verschoben und immer wieder neu gedeutet sowie virtuos gesteigert wurden. Am auffälligsten wirkten die Transformationen der traditionellen Tanzsätze in jazzige Rhythmen sowie die liedartigen Sequenzen in Jazzballaden.

Der dichte, aber immer transparente musikalische Satz füllte jede Minute des Konzertes aus. Musikalische Entwicklungslinien konnten nachvollzogen und Parallelwelten zwischen der Vergangenheit und der Gegenwart neu entdeckt werden.

Christian Muthspiel hat eine besondere Gabe, mit elektronischen „Hilfsmitteln“ umzugehen und diese einzusetzen. Souverän spielte er die Loops ein, die vor allem im ersten Teil die Grundlage des polyphonen Gewebes bildeten. Nie entstand der Eindruck, dass die Electronics zu viel Aufmerksamkeit einforderten und sie wurden vielseitig verwendet. So waren Atemgeräusche und Wortfragmente ebenso Bestandteile von Loopsequenzen wie rhythmische Patterns.

Höhepunkte


Im ersten Set spielte das Quartett die sechs Stücke „Dancing Tears“,
„Crocodile Tears“, „Tears of Love“, „Tears of a Clown“ und „Endless Tears“. Einen Höhepunkt stellten dabei die „Tears of Love“ dar, die mit einem sprechenden Duktus erklangen. Die Linie der Posaune trat in einen Dialog mit der Trompete bis die einzelnen Stimmen wirkungsvoll übereinander geschichtet wurden. Die kollektive Improvisation ergab ständige Varianten und Verdichtungen bis sich das Spektrum auffächerte. In „Tears of a Clown“ lenkten die zuerst flächigen Sounds die Aufmerksamkeit auf sich. Sie wurden ineinander verschoben und mit rhythmischen Patterns in einen energiegeladenen Fluss geführt. Die Zitate aus Dowlands Vorlage traten wie Leuchttürme aus dem Gesamtgefüge hervor. Sie boten Orientierung und wirkten als auslösende Impulse, die einige Male in mitreißenden Soli von Franck Tortiller mündeten. Wirkungsvolle Klangfarbenwechsel bot „Endless Tears“, in denen Christian Muthspiel am Keyboard eingespielte Passagen mit einem Orgelsound abspielte. Auch dieses Stück lebte von polyphonen Schichtungen, Vergrößerungen und Stauchungen.

Weniger Polyphonie, mehr Rhythmus


Weniger polyphone Anreize bot das zweite Set, in dem anstelle vertikaler Schichtungen mehr die tänzerischen Aspekte in den Vordergrund gestellt wurden. Kritische Bemerkungen über die Subventionsvergabe und die Wertschätzung der zeitgenössischen Musik verpackte Christian Muthspiel in eine unterhaltsame Geschichte. Nicht nur mit seiner Musik, sondern auch mit dieser Wortmeldung zeigte Christian Muthspiel auf sympathische Weise, dass er ein herausragender Musiker, Komponist und kritischer Kopf unserer Zeit ist.