"Rickerl – Musik is höchstens a Hobby" derzeit in den Vorarlberger Kinos (Foto: 2010 Entertainment / Giganten Film)
Silvia Thurner · 23. Nov 2013 · Musik

Eine Visitenkarte und ein Abschiedskonzert zugleich – Alexander Moosbruggers „Kuratorenstück“ bei den „bludenzer tagen zeitgmäßer musik“

Zum Abschluss der diesjährigen „bludenzer tage zeitgemäßer musik“ standen Werke von Alexander Moosbrugger im Zentrum. Mit diesem Konzert verabschiedete er sich auch als Kurator des Festivals, das er seit 2007 geprägt hat. Das „Formalist Quartet“ aus New York musizierte und versetzte durch eine musikalische Präzision die Zuhörenden in Staunen. Der Abend war auch als Visitenkarte des Komponisten und Philosophen Alexander Moosbrugger zu verstehen. Die Mischung aus Musik, Vortrag und Diskussion machte deutlich, dass er seine Inspiration aus Quellen der alten Musik, aus tradierten Intonationsmodellen und zu einem nicht unwesentlichen Teil aus einem philosophischen Denken schöpft. Der Abend war intensiv, eine intellektuelle Herausforderung und informativ zugleich.

Alexander Moosbrugger ist Komponist und Organist. Aus diesen Tätitgkeitsbereichen resultiert auch sein Interesse für reine und temperierte Stimmungen, mit denen er sich intensiv beschäftigt. Einblicke gewährte Alexander Moosbrugger mit zwei Kompositionen aus der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts, die er für Streichquartett eingerichtet hat. „Stravagante, e per il cimbalo cromatico“ von Gioanpietro del Buono wurde am Beginn interpretiert. Dieses Werk öffnete die Ohren, denn es erklang in einer mitteltönigen Stimmung. So wurden die polyphonen Linien in teilweise unerwarteten Wirkzusammenhängen hörbar, Zusammenklänge leuchteten „rein“ intoniert auf. Das Hörerlebnis spiegelte ein vielfarbig schillerndes – und in dieser Form unerhörtes - Klangbild wider.

Stimmungen und Differenzen ausloten


Auch die Fugue à 4 aus „Ave maris stella“ von Nicolas de Grigny hat Alexander Moosbrugger für Streichquartett eingerichtet. Andrew Tholl, Mark Menzies, Andrew McIntosh und Ashley Walters spielten mit einer bewundernswerten Präzision, so dass die exakt nach den Vorgaben intonierten Linien ein anregendes Hörerlebnis ermöglichten.

„Intonationsmusik“ für Streichquartett ist ein frühes Werk von Alexander Moosbrugger. Belebt wurden die feinsinnig verwobenen Töne auch durch die unterschiedlichen Positionen der Tonerzeugung an den Instrumenten.

Werkvergleiche durch Bearbeitungen


Zwei Klammern umspannten das Festivalprogramm am ersten und dritten Abend. „Skalen, Texte Maß“ von Alexander Moosbrugger war bereits am Eröffnungsabend in der Fassung für Flöte, Bassklarinette, Violine und Violoncello zu hören. Die zweite Fassung für Streichquartett brachte das „Formalist Quartet“ nun zur Uraufführung, deshalb drängten sich Werkvergleiche auf. In der Version für Streichquartett kamen die verschiedenen Bezugnahmen der einzelnen Stimmen durch den gleichen Klangfarbencharakter der Streichinstrumente noch konzentrierter und auch feingliedriger zum Ausdruck als in der ursprünglichen Fassung.

Ränder hörbar machen


Das Werk „de finis terrae“ für Violine solo von Georg Friedrich Haas spiegelte ebenfalls den Eröffnungsabend und faszinierte in der Darbietung von Andrew McIntosh. Die vielgestaltigen Facetten, Wellenbewegungen, immer wieder neuen Anläufe und variierenden Sequenzen boten in diesem poesievollen Werk viel Freiraum für individuelle Assoziationen und implizierten Bilder im Kopf.

Intellektuell


Zusätzlich zur Musik war an diesem Abend auch ein Ausschnitt aus dem Vortrag über Hilfskörper von Ulrike Grossarth aus dem Jahr 2011 zu hören. Darin erläuterte die Tänzerin und bildende Künstlerin unter anderem ihre Überlegungen zum Begriff der „Gegenstandsbezirke“, die als Leitgedanken der diesjährigen „btzm“ dienten. Darüber hinaus wurden Textpassagen projiziert, um damit auf die ebenfalls im Festivalmotto niedergeschriebenen „fliegenden Häutchen“ Bezug zu nehmen.

Die Zuspielung und Projektionen waren einesteils informativ, andernteils wirkten sie jedoch auch demotivierend auf mich, weil ich den Erläuterungen nur schwer folgen konnte. Erst das abschließende Publikumsgespräch mit Gisela Nauck (Musikwissenschafterin und Publizistin), Gerrit Gohlke (Kunsthistoriker und Publizist) aus Berlin und dem Publikum stimmte wieder versöhnlich. Dort wurde klar: Das Wesentliche ist die Einordnung eines (Hör)Erlebnisses in die eigenen Erfahrungshorizonte - und das ist auch gut so.

Ein neuer Abschnitt


Alexander Moosbrugger ist in der glücklichen Lage, viele Kompositionsaufträge entgegennehmen zu können. Um sich ganz auf das Komponieren zu konzentrieren, beendet er mit dieser Festivalausgabe seine Tätigkeit als künstlerischer Leiter der „bludenzer tage zeitgemäßer musik“. Seit 2007 hatte er diese Funktion inne und er hinterlässt viel Potenzial.

In jeder einzelnen Festivalausgabe wurde erlebbar, dass Alexander Moosbrugger wie kaum ein anderer, seine Programm durchkomponiert. Genau durchdacht wurden Werke miteinander kombiniert und zueinander in Beziehung gesetzt. Das machte die „btzm“ unter seiner Leitung zu einer Oase für eine intensive Auseinandersetzung mit Musik unserer Zeit. Viele Dinge, die hierzulande kaum oder gar nicht zur Sprache kommen, gab es zu entdecken, beispielsweise die Beschäftigung mit der reinen Stimmung oder die Vertiefung in die spektrale Musik, um nur zwei Beispiele zu nennen. Stets waren herausragende MusikerInnen und Ensembles engagiert, die teilweise erstmals in Vorarlberg gastierten.

Die Neue


Als neue Kuratorin ist ab nächstem Jahr die italienische Komponistin Clara Iannotta engagiert. Sie lebt derzeit im Rahmen eines DAAD-Stipendiums in Berlin. Der Vorstand des Vereins allerArt hat die Komponistin vorerst für die kommenden zwei Jahre verpflichtet. Ob sie ihre Kuratorentätigkeit dann weiter führt oder unterschiedliche Persönlichkeiten die „bludenzer tage zeitgemäßer musik“ in einem zweijährigen Turnus gestalten, wird die Zukunft weisen.