Tobias Grabher, die Camerata Musica Reno und Michael Köhlmeier bescherten dem Publikum ein „österliches Cineastenfest“.
Silvia Thurner · 29. Sep 2013 · Musik

Ein ansprechendes musikalisches Panoptikum - Musik der Jahrhundertwende beim „Fürstensaal Classix Festival“ in Kempten

Das Motto des diesjährigen Internationalen Festivals der Kammermusik im Theater in Kempten lautete „tonal, atonal, total egal“. Dass derartige kompositorische Zuschreibungen und Einteilungen obsolet sind, wurde mit einem ausgesuchten Programm erfahrbar. Wie vielseitig das musikalische Schaffen in Wien des „Fin de siecle“ und darüber hinaus war, zeigten unter anderem die dargebotenen Kompositonen von Webern bis Leibowitz und von Karl Weigl bis zu Gottfried von Einem. Im Mittelpunkt eines intensiven Konzertabends standen Richard Dünsers „Canti notturni“, die als deutsche Erstaufführung interpretiert wurden.

Der Pianist Oliver Triendl kuratierte nun bereits zum achten Mal das Festival „Fürstensaal Classix“. Eingeladen hat der international tätige Pianist MusikerkollegInnen aus aller Herren Länder. Gemeinsam erarbeiteten sie in großteils öffentlichen Proben Kompositionen, die in Wien um die Jahrhundertwende ins 20. Jahrhundert und später entstanden sind. Darüber hinaus stand Richard Dünser  als „Composer in Residence“ im Mittelpunkt des Interesses.

Vielseitige Werkschau


In sehr unterschiedlichen Besetzungen wurden die zahlreichen KonzertbesucherInnen im schönen Ambiente des Kemptner Theatersaales bestens unterhalten. Bewundernswert war nicht nur die Vielseitigkeit der Darbietungen, sondern vor allem das überaus hohe Niveau der Werkdeutungen. Jede Komposition für sich interpretierten die MusikerInnen mit großer Ernsthaftigkeit und dem Werkcharakter entsprechend. Dies reizte die Sinne, denn die dargebotenen Werke waren großteils Raritäten und hatten sehr unterschiedliche Ausdrucksgehalte. In einer bunten Abfolge wurden sie direkt nebeneinander präsentiert. In einem spätromantischen Duktus beispielsweise erklang „Kammermusik“, op. 31 des inzwischen vergessenen Egon Kornauth und Karl Weigls Kantate „Ein Stelldichein“, op. 16 für Sopran und Kammerensemble entfaltete eine expressive Erlebniswelt. Schauspielmusik im weitesten Sinne boten Erich Wolfgang Korngolds „Drei Stücke aus der Musik zu Shakespeares „Viel Lärm um nichts“, op. 11. Einen nachhaltigen Eindruck hinterließen die vier Stücke op. 5 für Klarinette und Klavier von Alban Berg. Gottfried von Einems „Reifliches Divertimento“, op. 35a wirkte amüsant und stand stellvertretend für den typisch „wienerischen Ton“.

Aufschlussreich war die Violinsonate op. 12a von René Leibowitz, in der die konsequent angewendete 12-Ton-Technik transparent nachvollziehbar war. Den Weg dorthin wiesen die „Zwei Stücke“ für Violoncello und Klavier von Anton Webern, die prägnant ausformuliert wurden. Einen krönenden Abschluss fand der lange Konzertabend mit Schönbergs „Verklärter Nacht“. Die intensive Stimmung und die ausdrucksstarken musikalischen Emotionen dieser Musik kristallisierten die Musiker in einem konzentrierten Spiel heraus.

Interpretationsvergleich


Richard Dünser ist ein Freund des Vorarlberger Klarinettisten Martin Schelling. Ihm hat er im vergangenen Jahr die „Canti notturni“ für Bassetthorn und Streichquartett auf den Leib geschrieben. Im Dezember wurde das Werk vom Ensemble plus mit Martin Schelling als Solisten in Lauterach uraufgeführt. Die Folgeaufführung in Kempten bot besondere Anreize, weil Interpretationsvergleiche möglich waren. Mit dem Klarinettisten Christoffer Sundqvist und den Streichern Antti Tikkanen, Katharina Triendl (Violine), Lilli Maijala (Viola) und Valentin Radutiu (Violoncello) widmeten sich herausragende MusikerInnen diesem Werk. Feinsinnig reizten sie die musikalischen Linien aus und verwoben die von literarischen Vorlagen inspirierten Ausdrucksgehalte tiefsinnig aus. Die Pianokultur des Solisten und die differenzierte Tongebung der Streicher sowie die gleichzeitig und unmittelbar einsetzbare impulsive Kraft bewirkten eine spannungsgeladene Werkdeutung.

Ansteckende Begeisterung


Die freundschaftliche Verbundenheit und Spielfreude unter allen Mitwirkenden übertrug sich unmittelbar auf die Stimmung im Saal. Auffallend konzentriert (ganz ohne Huster) genoss das Publikum die vielfältigen musikalischen Beiträge. Der Einblick in das Fürstensaal Classix Festival in Kempten bestätigte aufs Neue, dass derartige Konzertreihen dann erfolgreich sind und das Interesse des Publikums finden, wenn dahinter Menschen stehen, die authentisch und mit Begeisterung agieren. Der künstlerische Leiter Oliver Triendl und Franz Tröger an seiner Seite verkörpern diese Qualitäten.