Neu in den Kinos: „Challengers – Rivalen“ (Foto: MGM)
Silvia Thurner · 13. Aug 2013 · Musik

Doppeldeutig, naiv und impulsiv – Das Symphonieorchester Vorarlberg spielte ein sehr bemerkenswertes Konzert

Das Symphonieorchester Vorarlberg und Gérard Korsten sind immer wieder für Überraschungen gut. Bei den Bregenzer Festspielen musizierte das SOV in Kammerorchesterbesetzung Werke der polnischen Komponisten Witold Lutoslawski und Mieczyslaw Weinberg. In den Werkdeutungen kristalliserten sie bewundernswert klar die Feinheiten der Werke heraus. Der Sopranistin Kathryn Lewek und dem Tenor Lucian Krasznec war das Orchester ein guter Partner. So wurde das Konzert im Seefoyer unerwartet zu einem Highlight des diesjährigen Festivals.

Anspruchsvoll waren die vier Kompositionen, die an diesem Abend geboten wurden, in vielerlei Hinsicht. In den „Dance préludes“ von Witold Lutoslawski spielte ein Nonett des SOV souverän die rhythmisch kunstvoll ineinander verzahnten Motivketten. Im Stile Bartóks hatte Lutoslawski Volkstänze in farbenreich instrumentierten Abschnitten verarbeitet. Die Charakteristika der fünf Sätze spiegelten sich in den unterschiedlichen Tempi wider. Eine besondere Wirkung verströmte das Allegro giocoso mit dem hüpfenden Vorschlagsmotiv, das die Musiker markant artikulierten. Das Andante erhielt mit Leittönen und schwebenden Klangflächen, die von einer unterschwelligen Spannung getragen waren, eine intensive Deutung. Der offene Schluss verstärkte diesen Eindruck zusätzlich. Rhythmisch versiert entwickelten die Musiker zum Schluss hin eine wirkungsvolle Steigerung.

Kinderszenen in Lieder gefasst


Die Sopranistin Kathryn Lewek ist in dieser Festivalsaison in Mozarts Zauberflöte als Königin der Nacht zu erleben. Witold Lutoslawskis Lieder „Chantefleurs et chantefables“ gestaltete sie mit ihrer kraftvollen und wandlungsfähigen Stimme vieldeutig aus. Allerdings wirkte ihre abschnittweise allzu theatralisch aufgeladene Liedgestaltung sehr dominant. Im Orchesterpart kam in vielen Passagen zum Ausdruck, wie klangmalerisch und doch spannungsgeladen Lutoslawski die Musik geformt hat. Die mikrotonal changierenden Flächen und die farbige Instrumentation zogen die Aufmerksamkeit auf sich und bewirkten eine große Sogwirkung.

Sensibel und gleichberechtigt


So temperamentvoll Kathryn Lewek agierte, so zurückhaltend und feinsinnig gestaltete der Tenor Lucian Krasznec Lutoslawskis "Paroles tissées". Ausgewogen formte er die symbolträchtigen Texte und konzentrierte sich auf die nuancierten Färbungen der Vokalklänge der französischen Textvorlage.

Gleichberechtigt daneben wurde der Orchesterpart gestaltet. Vor allem die Instrumentation mit Streichern, Harfe, Klavier und Schlagwerk unterstrich die geheimnisvolle Stimmung dieses Werkes. Weil Lutoslawski während seines langen Lebens auch immer wieder politisch in die Enge getrieben worden war, konnten diese Lieder auch politisch gedeutet werden. Vor allem der dritte Abschnitt setzte viel Energie frei, hohe Lagen und raumgreifende Gesten, abrupte Wechsel und transzendierende Klänge öffneten Freiräume für individuelle Deutungen. Der letzte Abschnitt schleifte resignierend nach unten. Gebetsartig rezitierte Lucian Krasznec die Textpassage „Niemals lasst uns zum Schweigen bringen dieses Lied des Leidens, das andere aufgegriffen und andere wieder aufgreifen werden“, bis der letzte Ton dieses eindrücklichen Werkes abebbte.

Konzentration auf das Wesentliche


Mieczyslaw Weinbergs Kammersymphonie, Nr. 3, op. 151 ist ein verinnerlichtes Werk, das vor allem durch seine dunkle Färbung eine große Ausstrahlung besitzt. Das SOV kehrte den ernsten und introvertierten Charakter dieser Komposition mit einer hervorragend ausbalancierten Tongebung nach außen. Nach einem langen unisono vorgetragenen Gedanken und einer suchenenden Geste enwickelte sich im ersten Satz ein subtiles Frage und Antwortspiel. Besondere Aufmerksamkeit lenkten harmonische Aufhellungen auf sich. Einen beinahe forschen Eindruck hinterließ der zweite Satz.  Mit viel Druck und Intensität verliehen die Musiker dem anschließenden Adagio einen mitteilsamen Charakter. Auch Mieczyslaw Weinberg war politischen Repressalien ausgesetzt und so konnte auch seine dritte Kammersymphonie im Hinblick darauf verstanden werden. Immer wieder wurden Klanginseln geschaffen, die wie Ruhepole herausgehoben wurden, ein unterschwelliges Brodeln in tiefen Streichern verlieh dem musikalischen Fluss eine unmittelbare Spannung und das Solo des Violoncellos wirkte wie ein Nachgedanke. Allusionen zur Musik von Dmitri Schostakowitsch zeichneten den Finalsatz aus, der von einem Walzermotiv durchzogen war. Den Höhepunkt gestaltete der Konzertmeister mit seinem sensibel dargebotenen Solo.

Gérard Korsten leitete die MusikerInnen motivierend und mit einem guten Gefühl für musikalische Phrasen und Proportionen sowie klarer Gestik. Derart konzentrierte Konzertereignisse mit Musik des 20. Jahrhunderts wünsche ich mir vom SOV auch außerhalb der Bregenzer Festspiele. Die MusikerInnen des Symphonieorchesters Vorarlberg überzeugten in der Kammerorchester- und Ensemblebesetzung und überdies müssen sie den Vergleich mit den Wiener Symphonikern nicht scheuen.