Neu in den Kinos: „Challengers – Rivalen“ (Foto: MGM)
Fritz Jurmann · 10. Aug 2010 · Musik

Die Komponistin Judith Weir als Werbebotschafterin für ihre Opernaufführung bei den Bregenzer Festspielen 2011

Das muss einem findigen Festspiel-Intendanten erst einmal einfallen: Nach zwei intensiven Begegnungen mit dem bewegenden und schillernd instrumentierten symphonischen Werk des heurigen Säulenheiligen Mieczyslaw Weinberg schickte er die britische Komponistin Judith Weir, die 2011 hier mit ihrer Opernuraufführung „Achterbahn“ eine wichtige Rolle spielen soll, als Werbebotschafterin ins Rennen. Er ließ sie gleich ein ganzes Konzertprogramm als Appetizer auf das nächstjährige Festival kuratieren, das dritte Orchesterkonzert der Wiener Symphoniker Montagabend im erneut ausverkauften Festspielhaus.

In einem Abend einmal ganz ohne Weinberg stellte die 56-jährige Komponistin im Sandwich-Verfahren ein erst 2007 entstandenes eigenes Werk zur Diskussion, flankiert von zwei bekannten Stücken aus dem russisch-slawischen Kulturkreis, die wohl besser zu Weinberg als zu Weir gepasst hätten. Nach zwei Matineen unter Altmeister Vladimir Fedoseyev gab es diesmal auch ein Dirigenten-Debüt. Am Pult der Symphoniker konnte der 31-jährige gebürtige Moskauer Dmitri Jurowski gleich beim ersten Mal einen glänzenden Erfolg einfahren.

Großflächige, eindringliche Klangbilder

Judith Weir, die am Beginn von Intendant Pountney vorgestellt wurde, liebt nach eigenem Bekunden das Erzählen musikalischer Geschichten. Eine solche, nämlich die Schilderung des Londoner Stadtbrandes von 1666, enthält als Keimzelle auch eines ihrer jüngsten Werke, das Chor-Orchesterstück „Concrete“ (2007). Die „Motette über London“ erzählt aber auch vom steten Überlebenswillen dieser Stadt – etwa nach dem deutschen Luftangriff von 1940, „Blitz“ genannt. Weir bedient sich dabei einer schlagkräftig opulenten Orchesterbesetzung (sichtlich motiviert bei der Sache: die Wiener Symphoniker), bei der interessanterweise bloß die Bratschenpulte leer bleiben, und eines extrem geforderten Chores (erneut absolut präsent und klangschön: der Prager Philharmonische Chor unter Lukás Vasilek) und findet in einer polytonalen, durchaus nachvollziehbaren Tonsprache zu großflächigen, aussagekräftigen Klangbildern von starker Eindringlichkeit.
Es hat fast etwas von einem Requiem mit durchaus apokalyptischen Schrecknissen,  wenn der Chor in einer archaischen „Allerheiligen-Litanei“ auf englisch die Namen keltischer Göttinnen anruft, während ein Sprecher (mit der nötigen Coolness: Rufus Beck) in genau eingepassten deutschen Texten penibel die Details des Brandes schildert. Dabei bleibt die Hoffnung, in einem durchaus religiösen Sinn, nicht ausgespart. Das letzte Wort, „Resurgam“ („Ich werde wieder auferstehen“), wird vom Chor am Schluss zerhackt und nur noch gehaucht und verlöscht schließlich ganz, zusammen mit dem Bühnenlicht. Auch wenn in diesen 30 Minuten manche Längen nicht zu überhören sind: ein packendes Stück neuer Musik als Vorgeschmack auf die Hausoper 2011, das vom Publikum durchwegs positiv angenommen wurde.

Fulminante "Sheherazade"

Leos Janáceks heroisch überzogene „Taras Bulba“-Rhapsodie am Beginn bleibt spannungsarm, will nicht recht auf Touren kommen – so, als ob Dirigent Dmitri Jurowski und die Symphoniker bei ihrem erstmaligen Aufeinandertreffen vor Publikum noch nicht die rechte Betriebstemperatur erreicht hätten.
Dafür entschädigt eine fulminante „Scheherazade“ nach der Pause. Rimski-Korsakows doch stark russisch eingefärbte Exotik aus „Tausendundeiner Nacht“ scheint dem jungen Maestro absolut zu liegen. Ohne jedes Showgehabe disponiert er famos und macht genau das Richtige, indem er diese Erzmusiker manchmal auch von der Leine lässt. Die Symphoniker danken es ihm mit einer wunderbar ausmusizierten Version, die in ihrer orchestralen Zartheit und Wärme, andererseits ihrer Leidenschaftlichkeit und Energie keine Wünsche offen lässt. Der Seidenglanz der diesmal besonders homogenen Streicher, die Urgewalten des tiefen Blechs, die pointiert gesetzten Pauken- und Beckenschläge – das ist alles wie aus einem Guss, genau im Lot und doch voll inspirierender Frische und Freiheit. Anton Sorokow, der jüngste, im Programm nicht genannte Konzertmeister des Orchesters, besticht als überlegener „Erzähler“ an der Solovioline mit liedhaft blühendem Ton, begleitet von Harfe und Cello, in steter Korrespondenz mit den fulminanten Holzbläsersolisten und dem ersten Horn.
Es ist so etwas wie eine Festspiel-Sternstunde, die das Publikum zu Recht in Euphorie versetzt und lange nicht zur Ruhe kommen lässt.