"Rickerl – Musik is höchstens a Hobby" derzeit in den Vorarlberger Kinos (Foto: 2010 Entertainment / Giganten Film)
Fritz Jurmann · 12. Nov 2016 · Musik

„Der Sängerkrieg AmBach“ – Die erste Barockoper von Concerto Stella Matutina wurde zum Bombenerfolg

Genau 250 Jahre alt ist das Ding und so quicklebendig wie zu Zeiten seiner Uraufführung im Teatro Ducale des Ludwigsburger Residenzschlosses. Dorthin wird diese Produktion demnächst heimkehren, zunächst aber trieb Niccoló Jommellis Opernspaß „La Critica“ am Freitagabend Freunde und Fans des heimischen Barockorchesters „Concerto Stella Matutina“ in der ausverkauften Götzner Kulturbühne AmBach zu Begeisterungsstürmen. Das „Experiment Barockoper“ ist damit auf allen Linien gelungen und wurde zum gefeierten Meilenstein in der zehnjährigen Geschichte des Ensembles – hoffentlich mit Folgewirkungen.

Dieses 1766 komponierte Stück des aus Neapel stammenden, heute vergessenen württembergischen Hofkapellmeisters Jommelli (1714 – 1774) nach einem Libretto von Gaetano Martinelli war die Wiederentdeckung durchaus wert. Denn es besitzt alle erdenkbaren guten Eigenschaften eines „Dramma comico“, wie man die später durch Rossini und Verdi zur Hochblüte gebrachte „Opera buffa“ damals noch nannte. Kurios: Eine eigentliche Handlung gibt es nicht, nur den Versuch, endlich eine Opernprobe mit dem bereits anwesenden Orchester abzuhalten, obwohl dieses andauernd spielt. Immer fehlt irgendjemand, meist der Souffleur, und es artet zudem alles in Eigendynamik zu einem chaotischen Jahrmarkt der Eitelkeiten, von Neid und Eifersucht aus: Zwischen den beiden Primadonnen, die einander befetzen, wer die Bessere sei, oder zwischen dem Kapellmeister und seinem Librettisten, wo es um die alte Vorrangfrage „Prima la musica, dopo le parole“ geht. Parallelen zum heutigen Opernbetrieb sind durchaus erwünscht.   

Jeder erhält eine Arie zugeteilt

Dabei ist diese Nicht-Handlung eigentlich nur ein Vorwand, um möglichst viele Arien unterzubringen, in denen Jommelli mit viel Witz und Raffinement seine verschwenderischen musikalischen Einfälle ausbreitet und jeden einzelnen Darsteller auf besondere Weise charakterisiert. So entspinnt sich untereinander sogar eine Art „Sängerkrieg AmBach“, wie ihn Richard Wagner achtzig Jahre später in seiner Oper „Tannhäuser“ mit dem „Sängerkrieg auf der Wartburg“ auf die Bühne gebracht hat, freilich mit viel mehr ritterlichem Ernst und psychologischer Deutung. Hier geht es um nichts anderes als einen oberflächlichen, manchmal handfesten und derben Opernspaß mit kleinen Intrigen, vielen Verkleidungen und auch manchem Liebesgeplänkel. „Das erst perfekt ist, wenn es nicht ganz perfekt ist“, vernahm man erstaunt in der Einführung.

Das Stück ist groß genug, um vor allem musikalisch zu tragen, und doch andererseits so handlich, dass es ohne großen Ausstattungsaufwand, Technik und Kulissen in die vorgegebene Größe und die gerade für ein solches Kammerspiel auch ideale Akustik der Kulturbühne AmBach passt. Die pausenlosen zwei Stunden am Stück, für die Zuhörer am Limit, hätten im Aufbau vielleicht ein paar Striche vertragen, andererseits täte es einem aber leid um alles, was dann an köstlichem Musikmaterial fallen müsste. Ein dicht mit Kostümen behängter Kleiderständer, ein Schminktisch und eine Requisitentruhe ist alles, was es braucht. Das Orchester sitzt seitlich auf der zur Spielfläche hochgezogenen Vorbühne und damit auf Augenhöhe mit den sieben Akteuren, was ein dichtes Miteinander ergibt.  

Thomas Platzgummer zieht die Fäden

Johannes Hämmerle hat die vorliegende Handschrift aus dem Archiv editiert und spielbar gemacht. Der Mann des Abends aber ist Thomas Platzgummer, der seit Jahren bei der Kammeroper Graz einschlägige Erfahrungen in diesem Bereich gesammelt hat und diese hier nun als „Künstlerischer Leiter“ in einem übergeordneten Sinn einbringt. Mit herausragenden jungen Barocksängern und -darstellern setzt er mit seinem naturgegebenen Sinn für Humor das turbulente Geschehen in Teamwork in einer Rekordzeit von ganzen fünf Tagen um.

Er schafft in seiner Inszenierung ganz nah am Stück viel Situationskomik und holt mit frechen Anachronismen wie PC, Videoeinspielungen und Selfies das Stück augenzwinkernd in unsere Zeit. Zu alledem hat er auch noch den Text für das Abendprogramm übersetzt und für die deutschen Übertitel portioniert und sitzt wie gewohnt in stoischer Ruhe im Ensemble an seinem Cello. Das Orchester spielt ohne Dirigenten, weil der ja auch einer der Sänger ist. Dafür ist trotz der diskreten Einsätze durch Konzertmeisterin Silvia Schweinberger ein hohes Maß an Eigenverantwortung bei jedem Musiker vonnöten, um in den vielfältigen Anforderungen der Arien und auch in den heiklen Rezitativen ein so exzellentes musikalisches Niveau zu erreichen.

Exzellentes Solistenensemble

Dieses setzt sich bei den Solisten fort, der Großteil von ihnen aus Italien. Sie überbieten sich geradezu in ihrer Koloraturfreudigkeit und ihrer Spiellaune, die sich gegen Ende zu einem wahren Feuerwerk steigern. Da ist der polnische Tenor Jan Petryka, als Placido, Maestro in musica, scheinbar die Seriosität in Person, der sich  mit der Sopranistin Sonia Tedla Chebreab in einer Hosenrolle als Dichter köstliche Wortgefechte liefert.

Im Wettstreit um die Gunst des Publikums liegen auch die beiden Starsängerinnen miteinander im Dauerclinch: die deutsche Sopranistin Marie-Sophie Pollak, die als Prima Donna Lesbia in großer Rokokorobe mit unglaublicher Bühnenpräsenz auftrumpft, und ihre von allen begehrte Gegenspielerin, der französische Sopran Capucine Keller. Als ebenfalls brillante Seconda Donna darf sie als einzige zwei große Arien singen und räkelt sich dabei im knallroten Kleid lasziv auf einem Tigerfell am Kamin, dessen virtuelle Flammen auf Knopfdruck auf der Leinwand erscheinen. In stimmlichen Grenzbereichen überzeugen der Sopranist Paolo Lopez als Prim‘ Uomo und der Countertenor Matteo Pigato als Second‘ Uomo.

Die erst zur Halbzeit auftauchende argentinische Sopranistin Mercedes Arcuri räumt schließlich als Palmira ab, singt mit den verrücktesten und höchsten Koloraturen alles in Grund und Boden, was man an diesem Abend bereits gehört hat und wird zum gefeierten Publikumsliebling. Und da kommt auch die eher besinnliche Quintessenz dieser Komödie zum Tragen: Was zählt, ist nur die Liebe. Und so ergeben sich nach vielen versteckten und offenen Tändeleien drei echte Liebespaare, nur ein Darsteller, der Second‘ Uomo, bleibt quasi als siebtes Rad am Wagen in seinem Matrosenanzug traurig auf der Requisitenkiste sitzen…  

 

Weitere Aufführungen in Meran und Brixen sowie im Residenzschloss Ludwigsburg

Nächstes Konzert von „Concerto Stella Matutina“: Sa, 19. November, 17.00 Uhr, Feldkirch, Montforthaus, „Montforter Zwischentöne“ – „Der Messias“ von Händel, gemeinsam mit dem Feldkircher Kammerchor, Leitung Benjamin Lack

5. Abo-Konzert in Götzis, Kulturbühne AmBach: Do, 15. Dezember, 20.00 Uhr – „Te Deum“, gemeinsam mit Vocal Origen, Leitung Clau Scherrer