Neu in den Kinos: „Teaches of Peaches" Musikdoku des gebürtigen Vorarlbergers Philipp Fussenegger (Foto: Avanti Media Fiction)
Silvia Thurner · 20. Nov 2011 · Musik

Der Klangmagier, der mit dem Orchester tanzt – Kirill Petrenko und das Symphonieorchester Vorarlberg interpretierten Mahlers dritte Symphonie großartig

Dass der Mahler-Zyklus 9x9 mit Kirill Petrenko am Pult des Symphonieorchesters Vorarlberg ganz besondere musikalische Ereignisse bietet, hat sich mittlerweile im ganzen Land herumgesprochen. Drei ausverkaufte Konzertsäle in Dornbirn, Feldkirch und Bregenz sprechen für sich. Mahlers dritte Symphonie in d-moll stand diesmal auf dem Programm, mit der Altistin Annely Peebo, den Frauenstimmen des Bregenzer Festspielchores sowie des Kammerchores Feldkirch und dem Kinderchor der Musikschule Götzis. Mitglieder der Südwestdeutschen Philharmonie Konstanz ergänzten das große Orchester. Zu erleben war eine Interpretation, die von der leidenschaftlichen Freude an der gemeinsamen Gestaltung erfüllt war und im Bewusstsein dargeboten wurde, dass in dieser Stunde ein besonderes Musikerlebnis stattfindet.

Mahlers dritte Symphonie sprengt in vielerlei Hinsicht Grenzen. Die eineinhalb Stunden Dauer und die vielschichtigen Bezüge sowohl in der Werkanlage als auch in der Themengestaltung sind kaum zu fassen. Groß war deshalb die Spannung und die Erwartungshaltung, in welcher Art Kirill Petrenko die Werkdeutung mit dem SOV anlegen wird und welche Beziehungslinien in den Vordergrund gestellt werden.

In der Musik gelebt

Gustav Mahler imaginierte in den musikalischen Verlauf einen Helden bzw. einen Protagonisten. Einer, der quasi die Musik durchwandert sowie die Themengestalten aus- und miterlebt. Ohne nur einen Anschein von Illustration zu erwecken, war dieser imaginierte Held bei der Aufführung im Dornbirner Kulturhaus Kirill Petrenko selbst. Wie er als Dirigent mit den MusikerInnen atmete, die unterschiedlichsten musikalischen Abschnitte durchlebte, die MusikerInnen durch Höhen und Tiefen, dichte Klangballungen und fließende Passagen führte, war ein einzigartiges Erlebnis. Die musikalischen Gestalten der Symphonie lebten vom ersten bis zum letzten Ton und die Spannung wurde durch alle Abschnitte hindurch mit bewundernswerter Kraft gehalten.

Marsch in vielen Facetten

Vor allem im ausladenden Eröffnungssatz stellte das Orchester Klangmonumente in den Raum, die unzählige inhaltliche Bezüge zuließen. Mannigfaltige Marschtypen wurden angerissen, weitergeführt und aus unterschiedlichen Perspektiven und Zeitverhältnissen dargestellt. So waren Naturschilderungen zu erleben und Gefühle, die mit der Wirkungsgeschichte der Marschmusik verbunden sind. Auch individuell zu erlebende Seelenlandschaften spiegelten sich in der vielschichtigen Musik wider.
Nachhaltig in Erinnerung blieben die zurückhaltend gesetzten Energiepotentiale, die die Spannung massiv steigerten. Zeit schuf Kirill Petrenko für jede musikalische Kleinigkeit, ohne den großen Bogen auch nur einen Moment aus dem Bewusstsein zu verlieren. Die Themen und Motive wurden in Kräfteverhältnissen gebündelt, transformiert und in einen mitreißenden musikalischen Fluss kanalisiert.

Außerhalb der musikalischen Gegenwart

Ganz im Bann der Musik nach diesem voluminösen ersten Satz stellten Kirill Petrenko und die Orchestermusiker das anschließende Menuett wie aus der Zeit tretend dar. Das Fundament fehlte und die Musik transformierte in eine unwirkliche, fast schwerelose musikalische Passage. Unterschiedliche Erzählebenen wurden anschließend ausgebreitet. Plastisch blieben die chromatisch abfallenden Passagen in Erinnerungen, die wie Abgrenzungen im Erzählfluss wirkten. Eine feinsinnige Idylle, mit einem Flügelhornsolo aus dem hinteren Bühnenraum, und ein feiner Humor entfalteten sich und boten Entspannung, bevor im „Misterioso“ Annely Peebo mit einer dunklen Altstimme „O Mensch gib Acht“ anstimmte. Die dunklen Vokalklänge und die mit dem typisch jüdischen Idiom versehenen Soli bewirkten eine fast beklemmende Wirkung.

Gute Stimmenverhältnisse

Benjamin Lack und Paul Burtscher hatten den Frauen- und Kinderchor einstudiert, die zusammen mit der Altistin „Es sungen drei Engel“ darboten. Prägnant ausformuliert erklangen die Stimmen, allerdings war vor allem in dieser Passage die Enge des Raumklanges im Dornbirner Kulturhaus beeinträchtigend .

Den Klängen Kronen aufgesetzt

Hymnisch wurde die Symphonie zum Finale hin gesteigert. Getragen von überwältigenden Klangwirkungen kam in diesem Abschnitt die besondere Gestaltungskraft, mit der Kirill Petrenko stets an die Musik herangeht, besonders schön zur Geltung. Nur durch einen so exakten und intensiven Interpretationsansatz, bei dem jede Note in der Partitur ernst genommen und sie in Beziehung zu den anderen gesetzt wird, ist eine derartige Klanggebung möglich. Die Obertonspektren entfalteten sich in den unterschiedlichen Dichteverhältnissen und Farben einfach grandios. Das Publikum dankte mit frenetischem Applaus und Begeisterungsstürmen für die großartigen Leistungen aller beteiligten MusikerInnen und SängerInnen.