Das Wiener Burgtheater war mit Molières „Der Menschenfeind“ unter der Regie von Martin Kušej im Bregenzer Festspielhaus zu Gast ( Foto: Matthias Horn))
Silvia Thurner · 20. Jän 2014 · Musik

Das Innere nach außen getragen – Das Symphonieorchester Vorarlberg, die Chorakademie Vorarlberg und Markus Landerer hinterließen einen großen Eindruck

Gut Ding braucht Weile, konnte man sich denken beim letzten Abonnementkonzert, denn endlich hatte der hierzulande hoch geschätzte Chorleiter und Dirigent Markus Landerer die Möglichkeit erhalten, das Symphonieorchester Vorarlberg zu leiten. In Kooperation mit der Chorakademie Vorarlberg wurde ein gut konzipiertes Programm präsentiert. Flankiert von sakralen Werken von Arvo Pärt und Joseph Haydn stand die Uraufführung der „Süsskind-Szenen“ von Richard Dünser im Mittelpunkt des Abends. Alle Darbietungen verströmten eine eindrückliche Wirkung, die auf den intensiven Wechselwirkungen zwischen dem Chor und dem Orchester sowie den Solisten, allen voran des Baritons Günter Haumer, beruhte. Markus Landerer bestach durch seine präzise Körpersprache, mit der er die Musik detaillreich ausdeutete.

Die erstmalige Zusammenarbeit der Chorakademie Vorarlberg mit dem Symphonieorchester Vorarlberg unter der Gesamtleitung von Markus Landerer weckte hohe Erwartungen, die auf beeindruckend hohem Niveau erfüllt wurden. Mit dem Werk von Arvo Pärt stellte sich die Chorakademie Vorarlberg einer großen Herausforderung, denn die Litany für Soli, Chor und Orchester stellte enorme Ansprüche an alle Beteiligungen. Ein Grundelement war die innere Ruhe, über der sich der in sich gekehrte Charakter des Werkes ausbreitete. Die Spannkraft zwischen dem Chor, den SolistInnen und dem Orchester war enorm und die konzentriert in Tonschichten angelegten „Stundengebete“ erklangen im Bregenzer Festspielhaus gut ausgewogen.

Zurückhaltend und stringent


Während der Chor über viele Strecken den emotionalen Gehalt der solistischen Stimmen unterstrich und weitertrug, nahm der Orchesterpart den Wortrhythmus des Textes musikalisch auf. Impulsgebend erklangen die Röhrenglocken und besonders schön entfalteten die SängerInnen und MusikerInnen die Auffächerungen einzelner Töne vom Unisono in Klangschichtungen. Darüber hinaus bildeten die genau austarierten Klangfarbenänderungen zwischen den ‚Bitten’ und den ‚Anbetungen’ textdeutende musikalische Felder aus. Auf diese Weise entwickelte sich in einem atmenden Duktus ein großer musikalischer Bogen, der stringent zum Höhepunkt geführt wurde. Am Ende wurde der musikalische Fluss wieder dorthin geführt, woher er gekommen war, in die Stille. Markus Landerer entwickelte diese Passage mit einer bewundernswerten Ausdruckskraft.

Neben dem Orchester und dem homogen agierenden Chor verstärkten die Altistin Judit Scherrer, die Tenöre Andreas Weller und Martin Mairinger sowie der Bariton Günter Haumer die eindringliche Wirkung. Die vier Solostimmen verschmolzen in einem schönen Gesamtklang miteinander.

Dramatische Steigerungen


Joseph Haydns Missa in tempore belli (Hob XXII:9), die „Paukenmesse“, bildete einen gewaltigen Kontrast zu Arvo Pärts „Litany“. Während mit Pärt eine in sich gekehrte Ruhe gefordert war, zeichnete sich die Werkdeutung von Haydns Paukenmesse unter anderem durch unterschwellige Spannungen aus. Sowohl die Solisten (Letizia Scherrer, Sopran; Judit Scherrer, Alt; Andreas Weller, Tenor; und Günter Haumer, Bariton) als auch das SOV und die Chorakademie Vorarlberg füllten die teilweise mit opernhaften Kontrasten ausgeloteten musikalischen Inhalte kraftvoll und energiegeladen aus. Eine zentrale Rolle an den Pauken hatte Heiko Kleber inne. Die dynamische Werkdeutung bezog ihre Interpretationskraft auch daraus, dass die musikalischen Gestalten so präzise aus der Sprachmelodik des Messetextes geformt waren und von den ChorsängerInnen textdeutlich gesungen wurden. Zahlreiche Details ergaben viele spannende Momente, beispielsweise die klar gesetzten Generalpausen, die innig ausgebreitete Zwiesprache des Cellosolos mit dem Bariton sowie prägnante motivische Symbole.

Eindrückliche Reminszenzen


Im Mittelpunkt des Abends standen die „Süsskind-Szenen“ für Bariton und Orchester von Richard Dünser, die erstmals in dieser Fassung zu hören waren. Das Werk war 2003 anlässlich der Wiedereröffnung der Grazer Synagoge in einer Fassung für Mezzosopran und Ensemble entstanden. Nun fasste Richard Dünser den Liederzyklus für Bariton und Orchester.

Zu hören gab es ein kraftvolles und farbiges Werk mit einem kantigen Profil, das die Aussagekraft der zugrundeliegenden Texte des Süsskind von Trimberg und Walther von der Vogelweide mit Leben füllte. Im ersten Lied „I var uf der toren vart“ steckte Günter Haumer mit großen Gesten und das Orchester mit tremolierenden Flächen den Radius ab, bis die Energie in aufbäumenden Gesten kulminierte. Die folgenden Nachgedanken spielten die OrchestermusikerInnen mit schön ausdifferenzierten Farbenspielen, so dass das jüdische Idiom der Musik eindrucksvoll zum Ausdruck kam.

Eine besondere Rolle nahm das Klavier ein. Auf der einen Seite erzeugte der Klangcharakter eine ganz eigene Atmosphäre, auf der anderen Seite traten vor allem textdeutende Tonsymbole im Klavierpart besonders deutlich in den Klangvordergrund.

Totengedenken


Besonders in Erinnerung blieb das vierte Lied „wenne ich gedenke“, weil dieser Teil so plastisch auskomponiert erklang. Ein Zitat aus dem jüdischen Lied „Tumbalalaika“ diente als Kern des dramatischen Geschehens, doch schon nach einem kurzen Erklingen wurde es vom Orchester und den Pauken ‚nieder geknüppelt’. Die poesievollen Klarinettensoli von Martin Schelling sowie die zahlreichen textdeutenden musikalischen Details zogen die Zuhörenden in ihren Bann. Die Art und Weise, wie Richard Dünser das Zitat als Synonym für die jüdische Bevölkerung abrupt stocken und dann wegdriften ließ, ergab einen starken Eindruck. In das dichte Gewebe war die Baritonstimme unmittelbar eingewoben. Günter Haumer füllte seinen Part voluminös und mit sympathischer Natürlichkeit aus.

Im Dienste der Musik


Bei Markus Landerer am Dirigentenpult liefen die Fäden zusammen. Er leitete den großen Chor und das Orchester souverän und mit einer mitreißenden Körpersprache. Verabschiedet hat er sich mit einer sympathischen Geste. Indem er die Partitur in die Hand nahm, brachte er zum Ausdruck, dass die Komponisten dieses Konzerterlebnis erst möglich machten und er sich in den Dienst dieser gestellt hatte.