Neu in den Kinos: „Challengers – Rivalen“ (Foto: MGM)
Silvia Thurner · 10. Jul 2022 · Musik

Das dringlichste Weltthema sinnlich erfahrbar gemacht – die Konzertlesung der Camerata Musica Reno im Theater Kosmos ließ niemanden kalt

Nach Konzerten, in denen sich der Orchestergründer und Dirigent Tobias Grabher den Komponisten Igor Strawinsky, Richard Strauss und Paul Hindemith gewidmet hat, stellte er nun mit der Camerata Musica Reno ein brennendes Thema in den Mittelpunkt einer Konzertlesung: Die Klimakrise. Eine ausgezeichnete musikalische Dramaturgie sowie die klug dargebotenen, zugleich anschaulichen und informativen Wortbeiträge von Katharina Rogenhofer und Florian Schlederer boten eine dichtes Gesamterlebnis. Sensibel unterstrichen und kommentierten die hervorragende Violinistin Xenia Rubin sowie das ausgezeichnet agierende Orchester mit Werkdeutungen von Johanna Doderer, Antonio Vivaldi, Joseph Haydn und Edward Grieg das stringente Programm im ausverkauften Saal des Theater Kosmos.

Tobias Grabher und die von ihm initiierte Camerata Musica Reno haben es innerhalb kürzester Zeit geschafft, sich im dichten Veranstaltungskalender des Landes zu profilieren. Die nun vierte Produktion des umtriebigen Orchesterleiters imponierte wieder auf ganz besondere Weise. Zweimal war das Theater Kosmos ausverkauft, weil sich Kulturinteressierte von den inhaltsreichen und klug dargebotenen Konzertereignissen angesprochen fühlen.
Tobias Grabher weiß, dass Musik auch, aber nicht nur, der seelischen Erbauung dient. Kompositionen können komplexen Inhalten, positiven und negativen Gefühlen sowie Problemen auf einer sinnlich erfahrbaren Ebene neue Bedeutungen und Sinnzusammenhänge geben und öffnen damit künstlerische Reflexionsräume. So geschehen im Rahmen der symphonischen Lesung, die unter dem Leitgedanken „Ändert sich nichts, ändert sich alles“ die drängenden Themenbereiche Jahreszeiten, Klimawende, Wendezeiten umkreiste.
Hierzu lud Tobias Grabher die Biologin, Umweltaktivistin und Buchautorin Katharina Rogenhofer sowie den Physiker, Philosophen und Buchautor Florian Schlederer zum Zusammenwirken ein. Gemeinsam haben die beiden 2021 das viel beachtete Buch „Ändert sich nichts, ändert sich alles“ publiziert.
Auf der einen Seite erzählte Florian Schlederer die Geschichte, wie wir alle im gemeinsamen Boot sitzen und direkt auf einen sicher auf uns zukommenden Wasserfall zusteuern. Männer in Anzügen, eine junge Frau mit Zöpfen, eine kluge Wissenschaftlerin, engagierte Kinder, Beschwichtiger und Besserwisser sowie einige Securities bestimmten die Erzählung mit. Die eindrücklichen Bilder füllte Katharina Rogenhofer auf der anderen Seite des Podiums mit Fakten, Zahlen und Daten zu klimatischen Veränderungen und deren Konsequenzen für uns alle. Diejenigen im Saal, denen Umweltschutz und ein klimaverträgliches Verhalten ein Anliegen sind, fühlten sich bestätigt. Die anderen wurden hoffentlich aufgerüttelt. Die Quintessenz, der am Schluss etwas ins Missionarische abschweifenden Lesung, kam plastisch und eindringlich zum Ausdruck.

Werkdeutungen mit Aussagekraft

Besondere Aufmerksamkeit zogen die musikalischen Beiträge auf sich, die die gesprochenen Worte höchst bemerkenswert reflektierten, unter anderem mit dem Werk „Mondsee“ für Streichorchester von Johanna Doderer. Der aufgewühlte musikalische Fluss, die vielgestaltigen, sorgfältig ineinander verflochtenen Motive und die breit angelegten Kantilenen gestaltete das Orchester mit Tobias Grabher am Pult emphatisch aus. Eindrücklich wirkten die intensiven Phrasierungen mit viel Bogenklang in den jeweiligen Stimmgruppen sowie pizzicato geführte Passagen. Dadurch kamen sowohl aufgewühlte Emotionen, unterschwellige Spannungen als auch ruhig ausgebreitete Klangteppiche hervorragend zur Geltung.
Antonio Vivaldis „Vier Jahreszeiten“, von denen die Camerata Musica Reno den Sommer und den Winter interpretierte, stellten die Musiker:innen mitreißenden in den Raum. Vor allem die erfrischende Art des Musizierens und die gegenseitige Aufmerksamkeit machten diese Werkdeutung zu einem Ereignis. Gespannt und geistesgegenwärtig ließen sich alle Orchestermusiker:innen auf die Solistin Xenia Rubin ein und folgten ihren Impulsen. Auf diese Weise gelangen fulminante Themeneinsätze, die die Energien und die Funken so richtig sprühen ließen. Xenia Rubin musizierte virtuos und mit einem natürlichen Duktus, sodass die Leichtigkeit der barocken Musizierpraxis und die illustrativen Tonmalereien mitreißend zur Geltung kamen.
Den Rahmen der vielsagenden Konzertlesung bildete Haydns Orchestereinleitung in sein Oratorium „Die Schöpfung“, die der Komponist mit „Die Vorstellung des Chaos“ betitelte. Den Orchestersatz mit den harmonisch unbestimmten Akkorden und in den einzelnen Stimmen erklingenden Tonfloskeln gestaltete Tobias Grabher am Pult mit viel Darstellungs- und Aussagekraft. Er gab den Orchestermusiker:innen Zeit zur Entfaltung und erhöhte damit die Wirkung des tonal Unbestimmten.
Abschließend erklang die Konzertouvertüre „Der Herbst“, op. 11 von Edward Grieg. Auch in diesem Werk beeindruckte die Camerata Musica Reno durch den gemeinsamen Atem und den spürbaren Tatendrang. Plastisch wurden die aus der skandinavischen Volksmusik entlehnten Themen ausgebreitet, elegisch in Szene gesetzt und mit lebensfrohen Tänzen zum Schluss geführt.
Tobias Grabher am Pult ist ein Lernender. Beeindruckend leitete er das Orchester mit klarer Diktion und in einem guten Kontakt mit den Orchestermusiker:innen. Der gemeinsame Gestaltungswille ergab zudem beeindruckende dynamische Kontrastwirkungen. Aufhorchen ließen auch zahlreiche herausragende Soli aus den Reihen der Holz- und Blechbläser. Das Publikum spürte die inspirierende Kraft, die von den Orchestermusiker:innen und dem Dirigenten ausging und dankte herzlich für den beeindruckenden Abend, der zum Weiterdenken anregte.