Musiker:innen aus Südafrika und Kolumbien prägen den besonderen Charakter des Pforte Kammerorchesters Plus. (Foto: Aron Polcsik)
Fritz Jurmann · 14. Jän 2012 · Musik

Das „Phantom der Oper“ ohne einen Ton von Webber: So wird ein erfolgreiches Musical amputiert!

Das „Phantom der Oper“ ohne einen Ton jener Musik von Andrew Lloyd Webber zu erleben, die dieses Musical seit 1986 weltberühmt gemacht hat – das ist schwer vorstellbar. Ein vollbesetztes Bregenzer Festspielhaus, das bei dieser als „Neuinszenierung“ deklarierten Produktion eines deutschen Tourneetheaters bei Eintrittspreisen zwischen 41 und 71 Euro selbstverständlich die originale Musik erwartet hatte, verlieh am Donnerstag seiner Enttäuschung und Ratlosigkeit darüber durch Applausverweigerung bis zum Finale Ausdruck.

Hinter dieser Idee, womit dieses Werk amputiert, brutal eines seiner wesentlichsten Elemente beraubt wird, steckt die bekannte amerikanische Sopranistin Deborah Sasson, einst Gattin des verstorbenen Tenors Peter Hofmann, mit Bayreuth-Ehren geadelt und lange auch im Musical zugange. Sie wollte nach eigenem Bekunden das Werk „näher an die Oper heranführen, mehr Opernflair einbringen“ und damit der genau einhundert Jahre alten Romanvorlage des Franzosen Gaston Leroux gerechter werden, als es ihrer Meinung nach bei Webber der Fall war.

Webber wird durch Opernausschnitte ersetzt

Somit sind nun ein guter Teil der neuen Musik einfach Ausschnitte aus bekannten klassischen Opern, „O mio babbino caro“ etwa aus „Gianni Schicchi“ von Puccini, eine Arie aus „Faust“ von Gounod, die „Habanera“ aus Bizets „Carmen“, aber auch die „Tritsch-Tratsch“-Polka von Johann Strauß. An sich gar keine so schlechte Idee, deren Ergebnis in bisher rund 300 Vorstellungen im deutschen Sprachraum gezeigt worden ist.

Unsägliche Flachheit und Trivialität

Dagegen sind die überwiegend neu dazu komponierten Teile des deutschen Duos Gerd Köthe/Roland Heck von unsäglicher Flachheit und Trivialität. Sie hecheln im Fahrwasser Webbers dem großen Original hinterher, ohne dieses jemals auch nur ansatzweise zu erreichen, und kommen dabei bestenfalls auf das Niveau von Dieter Bohlens „Modern Talking“-Popsongs. Insofern kann man dieses Konzept als gescheitert betrachten. Einzig die witzig eingestreuten Klassik-Zitate, zaghafte Versuche einer personenbezogenen Leitmotivik mildern etwas den oft quälenden Eindruck während geschlagener zweieinhalb Stunden – auch die Tatsache, dass die Ausstattung mit prächtigen historischen Kostümen, vielen Zwischenvorhängen samt verblüffender Lichteffekte und Videoprojektionen (inklusive des in den Ballsaal stürzenden Deckenlüsters) und einer satten Portion wabernden Bühnennebels für eine Tourneebühne geradezu opulent ausfällt. Gesungen und getanzt wird von dem 16-köpfigen Ensemble auf ansprechendem Niveau, allerdings technisch verstärkt.

Mit 51 als „junge Chorsängerin“ auf der Bühne

Dass Deborah Sasson als Erfinderin dieses Konzepts sich selbst zum Star dieser Aufführung macht, ist legitim. Es bedarf freilich einer größeren Portion Fantasie, sich diese gestandene Operndiva als junge Chorsängerin Christine Daaé vorzustellen, wie sie die weibliche Hauptrolle eigentlich verlangt. Mit ihren 51 Jahren ist die Künstlerin auch etwa gleich alt wie ihre überzogen parodierte Bühnenkonkurrentin Carlotta (Rita Anton) und damit auch als deren Einspringerin fehlbesetzt. Auch stimmlich will Sasson mit ihrer stark tremolierenden Opernstimme nicht so recht ins Ensemble passen, das mit dem ansprechenden Bariton von Axel Olzinger als Phantom und dem wendigen Tenor von Jochen Sautter als Liebhaber Raoul gut bestückt ist. Sautter sorgt im Übrigen auch für eine durchaus temporeiche Regie und einfallsreich choreographierte Einlagen. Ein 18-köpfiges Orchester, besetzt zwischen Rockband und Mini-Symphonieorchester, müht sich im Graben nach Kräften. Alles live, nichts kommt aus der Steckdose. 
Stimmung brandet erst nach dem finalen Trinklied im Dreivierteltakt auf – und das ist von Verdi aus seiner Oper „La Traviata“. Den meisten Applaus erhält freilich nicht Deborah Sasson als Star der Produktion, sondern Nils Schwarzenberg, der sich als schwuler Operndirektor durch den Abend blödelt.