Faurés Requiem in Orgelversion gelang überzeugend in Koproduktion von Stella und Herz Jesu unter der Leitung des Graubündners Clau Scherrer. (Foto: Victor Marin)
Peter Füssl · 08. Aug 2022 · Musik

Außergewöhnliche musikalische Eindrücke en masse – die Jubiläumsedition zum 15. Geburtstag der Bezau Beatz begeisterte, Teil 1

Beginnen wir mit dem Ende: Zwar stünde am Sonntagmorgen noch ein Frühschoppen mit dem Quartett des portugiesischen Saxophonisten João Pedro Brandão auf dem Programm, aber nach den letzten Klängen des englischen Trios Vula Viel Samstag nachts um halb zwölf waren dann die musikalischen Aufnahmespeicher des Rezensenten doch voll. Die rund zwanzig Stunden dauernden siebzehn Konzerte glichen einem Sprung in einen unglaublich erfrischenden, mit unzähligen musikalischen Konzepten und Ideen gefüllten Pool, aus dem man nach drei Tagen wieder auftaucht – erfüllt von einer unglaublichen Menge an Eindrücken, Überraschungen und neuen Erkenntnissen, die von der Menge her eigentlich für ein ganzes Jahr reichen würden. Die Bezau Beatz sind nun schon seit 15 Jahren DER alljährliche Jungbrunnen für die Fans qualitativ hochwertiger Musik jenseits von Genregrenzen und kommerziellen Überlegungen, jedes Jahr neu befüllt von einem, der sich weder um Quoten noch um Charts noch um die schnelle, große Kohle kümmert: von Alfred Vogel, der selbst Musiker ist, sein Programm – so schwülstig diese Formulierung auch klingen mag – mit Herzblut schreibt und es versteht, viele in der Bregenzerwälder Gemeinde für dieses aus dem gewöhnlichen Festivalreigen weit über die Region hinaus hervorstechenden Festival immer wieder als Mitarbeiter:innen, Unterstützer:innen und Sponsor:innen zu gewinnen.

Das Programm ist zwar dicht, aber die Anziehungskraft und der besondere Charme der Bezau Beatz ist auch auf eine wohltuende Entschleunigung zurückzuführen. Viele Musiker:innen reisen nach ihrem Gig nicht gleich wieder ab, sondern verbringen das ganze Festival in Bezau, schauen sich die Auftritte ihrer Kolleg:innen an, lassen sich inspirieren, knüpfen Kontakte und schmieden vielleicht schon gemeinsame neue Projekte. Jener Teil des Publikums, der das Festival als kreative Auszeit nutzt und sich in Bezau einmietet, kann rasch Teil dieser quirlig-entspannten Community werden, deren Protagonist:innen man ständig irgendwo über den Weg läuft. Kein Wunder also, dass die Bezau Beatz für zahlreiche Musikinteressierte aus allen Teilen Deutschlands und aus der Schweiz längst zur fixen Anlaufstelle im alljährlichen Festivalreigen geworden sind. Und jedes Jahr kommen neue dazu. Verwundert, weshalb angesichts des regen internationalen Interesses nicht mehr Einheimische das Festival stürmen, müsste man vielleicht das berühmte Sprichwort vom Propheten im eigenen Land bemühen – wir belassen es aber beim Hinweis, dass es für all jene Musikinteressierten, die die 15. Bezau Beatz aus welchen Gründen auch immer versäumt haben, nächstes Jahr garantiert wieder eine neue Chance gibt.
Jetzt aber zurück zum Anfang und ein kurzer Überblick, was es denn in der prall gefüllten Jubiläumsedition zu sehen und zu hören gab. Dabei ist es im Gegensatz zu vielen anderen Festivals nicht sinnvoll, die frühen Konzerte einfach zu ignorieren und sich auf die sogenannten „Headliner“ zu konzentrieren, die gegen Ende des Abends die Bühne füllen. Bei den Bezau Beatz ist jedes Konzert ein Highlight, wie Alfred Vogel betont, und so können die schönsten Überraschungen auch schon morgens um halb elf – nicht auf der Hauptbühne – sondern beispielsweise in der Kunstschmiede von Peter Figer auf einen warten.

Donnerstag, 4. August: von Glotze bis Lillinger

Den Festivalauftakt bestreitet das Leipziger Quartett Glotze, das bei Alfred Vogels Boomslang Records bereits zwei Alben herausbrachte, mit seinem mit großer Sensibilität musizierten Mix aus wohlstrukturierten und frei improvisierten Passagen. Sie führen die feine Klinge und verblüffen mit Experimentierlust, die keine Lautstärkenexzesse braucht. Alles wirkt fein dosiert, aber trotzdem auf seltsame Weise permanent spannungsgeladen. Alfred Vogels Einladung, Peter Figers Kunstschmiede frei zu begehen und das musikalische Geschehen aus verschiedenen Blickwinkeln zu genießen, nahmen nur wenige an – vielleicht weil die tropischen Temperaturen, die an diesem Tag herrschten, nicht unbedingt zur Bewegung einluden.
In der Wälderbähnle-Remise verzauberten dann die aus dem Südtirol stammende, aber schon seit eineinhalb Jahrzehnten die englische Jazz-Renaissance befeuernde E-Bassistin Ruth Goller mit den beiden Vokalistinnen Laura Kinsella und Alice Grant als Bass-Gesangs-Trio Skylla. Die Köpfe kunstvoll mit Glitter und Federn geschmückt wirken die drei Musikerinnen als wollten sie ein kultisch-esoterisches Beschwörungsritual für ihren Namensgeber, ein alles verschlingendes Seeungeheuer aus der griechischen Mythologie, abfeiern. Für jedes Stück stimmt Goller die Saiten ihres Basses anders und bewegt sich musikalisch nicht weniger abwechslungsreich zwischen Noise-Attacken, wundervoll melodischen Passagen, kraftvoll tribal-artigen Gesängen und glockenreinem Schönklang. Was war das jetzt eigentlich genau, fragt man sich am Ende. Keine Ahnung, aber phänomenal!
Die traditionellen Hörgewohnheiten weit mehr herausgefordert hat dann das in Bezau seine Weltpremiere feiernde Quartett Bon Bon Flamme des französischen Cellisten Valentin Ceccaldi, der wie sein Geige spielender Bruder Théo zu den gerne gesehenen Gästen des Festivals zählt. Gemeinsam mit dem portugiesischen Gitarristen Luis Lopes, dem belgische Keyboarder und Sänger Fulco Ottervanger und dem französischen Drummer Etienne Ziemniak, die sich von ihren Ursprügen in Rock, Punk, Blues, Jazz und Pop längst in Richtung freie Improvisation weiterentwickelt haben, wird jenseits aller melodischen, harmonischen und spieltechnischen Gewohnheiten liegender musikalischer Orkan entfacht, der sich mit Störgeräuschen und freien Ausbrüchen gespickt in einer krachenden Lärmorgie entlädt. Von Ceccaldis Cellobogen hängen die Rosshaare längst büschelweise herunter, als sich plötzlich alles in einem fast schon tänzerischen Latin-Rhythmus und überraschend eingänglichen Melodie-Fragmenten wieder beruhigt. Abreaktionsmusik allererster Güte.
Nicht weniger spannend war zum Abschluss des ersten Festivaltages die Solo-Performance des unglaublich schnellen, wendigen und diffizil agierenden deutschen Schlagzeugers Christian Lillinger, ebenfalls ein Dauergast bei den Bezau Beatz. Er stellte mit einem außergewöhnlichen Mix aus akustischen und elektronisch generierten Elementen eindrucksvoll unter Beweis, dass er absolut zurecht zu den absoluten Lichtgestalten unter den Drummern seiner Generation gezählt wird, eine wahrlich singuläre Erscheinung.