Das UNPOP-Ensemble zeigt derzeit das Stück "Fairycoin" im Theater Kosmos. (Foto: Caro Stark)
Silvia Thurner · 19. Aug 2018 · Musik

Ausgeliefert und wehrlos!? – Thomas Larchers erste Oper „Das Jagdgewehr“ bei den Bregenzer Festspielen hinterließ ambivalente Gefühle

Seiner Überzeugung entsprechend, dass Worte die Kraft der Musik bündeln, legte der Tiroler Komponist Thomas Larcher seiner ersten Oper „Das Jagdgewehr“ die meisterhaft erzählte gleichnamige Novelle von Yasushi Inoue zugrunde. In der zurückhaltend und auf das Wesentliche konzentrierten Regie von Karl Markovics wurden gleichzeitig mehrere Beziehungsdramen in einen psychologisch ausgedeuteten Raum gesetzt. So entwickelte sich das oratorienhaft und ruhig angelegte Werk inhaltsschwer und wurde musikalisch höchst dramatisch dargestellt. Doch die permanente, ohne Unterlass durchzogene Dringlichkeit des Erzählens, Reflektierens und musikalischen Deutens relativierte meinem Empfinden nach die Aussagekraft des Ganzen.

Die im Auftrag der Bregenzer Festspiele entstandene Oper schrieb Thomas Larcher dem renommierten „Ensemble Modern“ auf den Leib. Hinsichtlich der Komplexität der Musik waren kaum Grenzen gesetzt. So verhalf das 18-köpfige Ensemble mit einem riesigen Schlagwerkapparat, Klavier, Celesta, Akkordeon und Cimbalom sowie Streichern, Holz- und Blechbläsern der dramatischen Oper zu enormer Klangvielfalt. Larchers Interesse für sehr hohe Töne verbunden mit fantasievoll eingesetzten Geräuschen erweiterten das Spektrum der facettenreichen Musik zudem.

Textverständlichkeit als oberste Priorität

Stringent und wirkungsvoll folgte der Komponist in der musikalischen Konzeption dem Duktus des Textes und generierte daraus dichte Klangballungen, rhythmische Phrasen sowie lyrische und choralartig angelegte Motive. Gekonnt spielte er mit der Farbigkeit tonaler Akkordfolgen in Verbindung mit avancierten kompositorischen Mitteln, die erst das 20. Jahrhundert ins Spiel gebracht haben. Dem Komponisten stand sozusagen das ganze Vokabular der kompositorischen Entwicklungsgeschichte zur Verfügung und er nutzte es auch. Zahlreiche Allusionen lenkten die Aufmerksamkeit auf sich und stellten überraschende Verbindungen her. Als häufiges Stilmittel traten in langen Bögen ausatmende, chromatisch sinkende Tonpassagen in den Klangvordergrund, die die Konflikte von Josuke, Midori, Saiko und Shoko mannigfaltig ausdeuteten.

Ensemble Modern und Schola Heidelberg agierten bewundernswert

Unter der versierten Leitung von Michael Boder formte das „Ensemble Modern“ die Musik bewundernswert vielgestaltig und geistesgegenwärtig aus. Eine faszinierende Rolle innerhalb des musikalischen Ganzen nahmen die Sängerinnen und Sänger der „Schola Heidelberg“ ein. Sie beeindruckten, indem sie den Soloparts eine ganz eigene Körperlichkeit verliehen. Beispielsweise unterstrich das Vokalensemble die Eindringlichkeit von Textpassagen, bildeten eine Art Nachhall für Aussagegehalte der Protagonisten und verhalf zahlreichen Textpassagen zu einer eigenen Körperlichkeit.

Ansprechend wirkte der Beginn der Oper als der Dichter und Josuke Misugi aufeinander trafen und die Leitfäden für die sich danach entwickelnde Geschichte ausbreiteten. Robin Tritschler und Andrè Schuen verkörperten die Personen authentisch und mit einer fesselnden sängerischen Aussagekraft. Auch die drei Frauen Midori, Saiko und Shoko entfalteten ihre schwierigen Beziehungsgeschichten gut nachvollziehbar. Auffallend kamen in den Farben der Kleider in blau, gelb und orange die Charaktere der drei Frauen zur Geltung. Sarah Aristidou als Shoko, Giulia Peri als Midori und Olivia Vermeulen als Saiko gaben alles und stellten die Intensität ihrer Gefühle auch in höchsten Lagen und mit differenzierten Singtechniken dar. Besonders Sarah Aristidou setzte stimmakrobatische Koloraturen und Flageolettregister ein.

Stringenz des Geschehens unterstrichen

Aus der Romanvorlage hat die Librettistin Friederike Gösweiner insbesondere die tiefenpsychogisch deutbaren Schichten herausgeschält und sich auf emotionale Zustände konzentriert, die vornehmlich aus einer Beziehungsunfähigkeit und Schuldgefühlen resultieren. Zur Charakterisierung bot die Musik gut ausgeformte Projektions- und Reflexionsflächen. Dem gegenüber traten die zeitpolitischen Geschehnisse in den Hintergrund. Allerdings wirkten die Konzentration auf die Phallussymbole der Schlange und auch des Gewehrs etwas kurz gegriffen.

Der Ort des Geschehens, wie ihn der Regisseur Karl Markovics entworfen hat, war in drei Zonen wahrnehmbar. Es öffnete sich ein großer Raum als Sinnbild einer Seelenlandschaft und der Zeitlichkeit. Die handelnden Personen agierten in der Bewegungsfolge auf das Wesentliche konzentriert. Dies unterstrich zwar die Stringenz des Geschehens, jedoch blieben die Personen dadurch auch eher distanziert beschreibend als real verkörpert.

Höchste Dramatik immer weiter gesteigert

Die zahlreichen, durchaus beeindruckenden Einzelteile der Oper hinterließen in meinem Erleben als Ganzes betrachtet eine eigentümliche Teilnahmslosigkeit. Diese resultierte nicht aus der eher tristen Handlung. Vielmehr war es die unbedingte und nie nachlassende Dramatik und Dringlichkeit, die alle handelnden Personen und vor allem die Musik verströmten. Als schließlich die musikalischen Mittel des emotionalen Hochdrucks ausgeschöpft schienen, setzte Thomas Larcher noch eins drauf. Es erklangen durchdringende Liegetöne, die eine weitere Beklemmung und Enge implizierten. Meiner Wahrnehmung nach relativierten jedoch genau die lange Reihe von musikalischen Kulminationen und der ohne Unterhalt dramatisierte Erzählfluss die Tragweite des Geschehens.