Augustin Wiedemann - Auf Tüchfühlung mit einem Weltklassegitarristen beim „Salon Paula“
Das Herbstprogramm der Montforter Zwischentöne stand diesmal im Zeichen von „Vollenden – Oder: Es gut sein lassen“. Auch die „kleinformatige“ und dezentrale Programmschiene „Salon Paula“ unterlag diesem Motto. Einer dieser Salons ging am vergangenen Wochenende in der Feldkircher Villa Kleiner über die Bühne. Gast des Abends war der Weltklassegitarrist Augustin Wiedemann.
Der „Salon Paula“ ist eine kleine, aber feine Pretiose der Montforter Zwischentöne, die einmal jährlich im Programm aufscheint. Benannt nach der Feldkircher Schriftstellerin und Malerin Paula Ludwig (1900-1974), werden hier bekannte Proponenten aus Musik, Literatur und Wissenschaft in direkte Tuchfühlung zu höchst privaten Umgebungen gebracht. Hans-Joachim Gögl und Folkert Uhde, die als künstlerische Leiter der Zwischentöne den Salon Paula „erfunden“ haben, wagen damit eine Art Rückgriff auf die speziell in der Zeit der Aufklärung und der Romantik populären Literarischen Salons als private gesellschaftliche Treffpunkte der gebildeten Bürger, die Diskussionen, Lesungen oder musikalischen Veranstaltungen dienten. Die Salons, bei denen sich zumeist wohlhabende und gebildete Frauen als Gastgeberinnen respektive „Salonnieres“ betätigten, dienten nicht zuletzt auch einem freien Gedanken- und Meinungsaustausch. „Uns faszinieren seit jeher die historischen Salons als lustvolle 'Schulräume' zwischen Kultur und Wissenschaft einerseits sowie der Neugier genialer GastgeberInnen und ihrer Gäste andererseits“, erläutert Gögl. Dabei kommt dem Salon Paula auch eine wichtige Botschafterfunktion zu. Es ist ein dezentrales Kleinformat, das die Impulse und Ideen der Montforter Zwischentöne bis in die Haushalte der Stadt und ihre Peripherien hineintragen soll.
Musiker und Experten zum Ausleihen
Für einen Salon Paul kann sich eigentlich jede und jeder bewerben, der über eine kleine oder große Wohnung, eine WG, ein Haus oder sonst eine Location verfügt. Mit ein bisschen Originalität in der Bewerbung ist es leicht möglich, eine Gastgeberschaft zu erlangen und aus einem erlesenen Kreis von SpitzenmusikerInnen und Experten eine Koryphäe „auszuleihen“. Die „Salonnieres“ laden eine auf die Räumlichkeiten abgestimmte Anzahl von Freunden und Bekannten ein, die mit eigenen Diskussionsbeiträgen zum Gelingen des Abends beitragen können und sollen. Die Gagen der MusikerInnen und Experten übernehmen jeweils die Montforter Zwischentöne.
KULTUR besuchte vergangenes Wochenende einen Salon Paula, der in der Ateliergemeinschaft von Herta Mangeng, May-Britt Chromy und Christoph Scherrer im Dachgeschoss der legendären Villa Kleiner (früher als Villa Batliner bezeichnet) stattfand. Die Villa Kleiner wurde um 1885 im Stile einer italienischen Renaissance-Villa erbaut und ist benannt nach den AugenärztInnen, die dieses weiße Prachtgebäude bereits über Generationen hinweg bewohnen. In Anbetracht der alten Möbel und Teppiche und der modrigen Heimeligkeit erwachten durchaus Assoziationen zu den Salons alter Prägung. Geladen waren 22 Bekannte, Freunde und Verwandte aus dem Umfeld der Gastgebenden, und zwar unterschiedlichster Berufe und Interessensgebiete. Dementsprechend vielfältig waren denn auch die jeweiligen persönlichen Gedanken und Beiträge zum Thema des Abends.
Augustin Wiedemann
Als Gast des Abends war der aus Deggendorf in Niederbayern stammende Weltklassegitarrist Augustin Wiedemann angesagt. Er zählt zu den ganz wenigen Klassik-Gitarristen, die auch tatsächlich den Durchbruch zu einer Solistenkarriere geschafft haben. Der 52-jährige Deutsche wurde schon mehrfach für den „Salon Paula“ angefragt. Er habe aber immer auf das entscheidende Thema gewartet, und dies sei mit „Vollenden“ nun gekommen. Nachdem Co-Gastgeber Christoph Scherrer die erschienenen Gäste begrüßt und das Thema „Vollenden – Oder: Es gut sein lassen!“ zur Einführung von verschiedensten Seiten angerissen hatte, brachte Wiedemann, der bereits mit fünf Jahren Gitarre zu spielen begann, wichtige Stationen seines Werdeganges näher. Markant etwa dabei der Gewinn des Internationalen Gitarrenwettbewerbs von Havanna, der damals global einer der drei wichtigsten Preise für Gitarre war. Einen Sonderpreis erhielt der Künstler, der damals 27Jahre alt war, zudem für die beste Interpretation kubanischer Musik durch einen Ausländer. Stolz auf diese Auszeichnung und dazu angestachelt, auf diesem Lorbeer nicht auszuruhen, sondern noch besser zu werden, sich noch mehr zu vervollkommnen, sei ihm über einen Zeitraum von mehreren Monaten gar nichts mehr gelungen.
Neben seinen Einzelauftritten spielt Wiedemann immer wieder auch in Kooperation mit Orchestern oder Parntern, wie etwa mit Mitgliedern der Münchner Philharmoniker, als Kammermusikpartner mit der Geigerin Patricia Kopatchinskaja oder in Crossoverprojekten mit Kosho, dem Sänger und Gitarristen der Hip-Hop- und Rock-Band „Söhne Mannheims“. Seit 2011 unterrichtet Wiedemann zudem als Professor für Gitarre und Kammermusik am Vorarlberger Landeskonservatorium. Übrigens lehrt auch Kosho am Landeskonservatorium.
Danach gefragt, nach welchen Kriterien er die von ihm gespielte Gitarren-Literatur auswählt, antwortet er: „Ich kann nur Stücke spielen, von denen ich träume und die mich auch noch nach Jahren überraschen können.“ Der Deggendorfer verfügt denn auch über ein breites Repertoire. Es reicht von südamerikanischer Musik über Jazz und Chanson bis zur traditionellen Klassik. Aufgrund der Popularität des Instrumentes Gitarre sei es möglich, viele Musikstile zu kombinieren, betont Wiedemann.
Im Rahmen des Salon Paula in der Villa Kleiner spielte Wiedemann unter anderem das Stück „Una Limosnita por amor de Dios (Ultimo Tremolo)“ vom paraguayanischen Gitarristen und Komponisten Agustín Barrios Mangoré (1885-1944). Wiedemann wählte Barrios, zu dessen Selbstinszenierung etwa die Geschichte gehörte, dass er seine Gitarre als indianisches Himmelsgeschenk erhalten habe, nicht nur wegen der Virtuosität seiner Werke, sondern auch weil dessen Biografie gut ins Themenkonzept passte. Barrios ließ nämlich manchmal die Bühne mit üppigen tropischen Pflanzen schmücken und trat selbst im Fantasiekostüm eines Eingeborenenhäuptlings auf. Barrios war dann gar nicht mehr Barrios, sondern sein Alter Ego Nitsuga (Agustín rückwärts gelesen) Mangoré. Und auf alten Schwarzweißfotografien blickt er in seiner exotischen Verkleidung wie eine traurige Dragqueen in die Kamera. Es müsse sehr sonderbar gewirkt haben, wenn Barrios dann auf der Gitarre Mazurken spielte, die Frédéric Chopin nachempfunden seien, oder ein Charakterstück, das den Kontrapunkt von Bach imitierte oder eine Bearbeitung von Werken Robert Schumanns, die er ebenfalls im Repertoire hatte, so Wiedemann. Der stolze Indiohäuptling Mangoré, der Paganini aus dem Urwald, war nämlich tief in seinem Herzen auch ein Künstler aus dem Geist der europäischen Romantik.
Das selbst arrangierte „Allegro Assai“ aus der Sonate C-Dur für Violine Solo BWV 1005 von Johann Sebastian Bach (1685-1750) brachte Wiedemann, da die Musik Bachs für ihn die perfekteste sei. Bach-Stücke würden Fehler denn auch viel mehr verzeihen als etwa Kompositionen von Mozart.
Das „Allegro Spiritoso“ aus der Sonate C-Dur, op. 15 des italienischen Komponisten und Gitarristen Mauro Giuliani (1781-1829) war das dritte Stück im künstlerischen Programm Wiedemanns an diesem Abend. Giulani wählte er aus, weil auch dieser immer nach Höherem strebte und es gleichzeitig verstand, einen Personenkult rund um ihn herum aufzubauen, wie man dies heute von Popstars kennt.
Wiedemann spielte all diese Stücke fehlerlos und in einer Kombination aus technischer Perfektion, Strukturbewusstsein und harmonisch-lyrischem Einfühlungsvermögen. Sein Satz, dass er seine Stücke gleichsam erträumt, wird anschaulich, wenn man beobachten kann, wie er beim Spiel in sich selbst versinkt und losgelöst von Zeit und Raum Interpretationen auf höchstem Niveau und technischer Perfektion vor dem konzentriert lauschenden Publikum ausbreitet.
Obwohl Augustin Wiedemann am Folgetag ein zweistündiges Solokonzert in der Villa Falkenhorst in Thüringen bevorstand, harrte er noch fast bis Mitternacht aus, um mit den Salon-Paula-Gästen Aspekte des Vollendens durchzudiskutieren.