Neu in den Kinos: „Challengers – Rivalen“ (Foto: MGM)
Silvia Thurner · 27. Nov 2011 · Musik

An die Grenzen gehen – die Bludenzer Tage zeitgemäßer Musik gingen mit zwiespältigen Eindrücken gegenüber einzelnen Werken und hervorragenden MusikerInnen über die Bühne

Bei den diesjährigen Bludenzer Tagen zeitgemäßer Musik (btzm) standen musikalischen Ausdrucksformen, die vor allem aus der Reduktion der Mittel ihre Kraft schöpfen, im Mittelpunkt des Interesses. Am Freitagabend sorgte die Uraufführung des Auftragswerkes „lassú“ von Giorgio Netti für heftige Kontroversen. Aufhorchen ließ der junge amerikanische Komponist Andrew McIntosh mit seinen Kompositionen. Der Abschlussabend bot eine interessante Begegnung mit dem Komponisten Thomas Kessler, einem Pionier in der Verbindung zwischen Instrumentalklang und Elektronik. Herausragend und mit ganzem Einsatz für die Sache musizierten die MusikerInnen und Ensembles während des gesamten Festivals.

Andrew Nathaniel McIntosh begeistert sich in seinen kompositorischen Arbeiten für unterschiedliche Intonationen und daraus resultierende Tonqualitäten. „A Secular Calvinist Creed“ wurde in Bludenz von Mark Menzies uraufgeführt. Das feinsinnig, mit Mikrointervallen konzipierte Werk verströmte einen zirkulierenden, in sich abgerundeten Skalenlauf, der einen reizvollen, fast irrealen Toncharakter annahm. Das anschließend in der Galerie aufgeführte Stück „Voice and Echo I“ musizierten Andrew McIntosh und Mark Menzis im Duett. Eingängig wurden vielgestaltige Kommunikationsformen zwischen der Violine und der Viola dargestellt.
Fein aufeinander abgestimmte Intervalle und Schattierungen, hallende Effekte, minimalistische Klangflächen, in welche die Geige dämpfende Eingriffe setzte, und einander nacheilende Bewegungsverläufe boten Abwechslung. Die eher hallige Akustik kam der Interpretation entgehen, so entfaltete sich das Innenleben der Töne kraftvoll, Überlagerungen bewirkten zudem intensive Charakteränderungen der Klangfarben.

Eine Frage der Aufführbarkeit

Giorgio Netti komponierte „lassú“ für präparierte und elektronisch verstärkte Viola im Auftrag der btzm. Von einer erhöhten Position aus präsentierte die Bratschistin Anna Spina das 40-minütige Werk. Dabei strich sie das mit Mikrophonen ausgestattete Instrument an unterschiedlichen Stellen. Sehr langsam und leise stellten sich Streichgeräusche ein, die unter anderem Assoziationen zum menschlichen Atem zuließen. Vorerst fesselte die Komposition die Aufmerksamkeit, eine große Erwartungshaltung wurde geweckt. Doch die Transformationen entwickelten sich derart langsam und mit so minimalen Veränderungen, dass die Zeit sehr schnell lange wurde.

Kaum hörbarer Klangfluss

Jede Bewegung im Zuschauerraum störte den intimen, kaum hörbaren Klangfluss. Erst zum Schluss hin nahmen die Streichgeräusche auch eine tönende Gestalt an, doch bis dahin hatte ich die Geduld und das Interesse verloren. Weil die Aufführung derart leise vonstatten ging und so lange dauerte, entzieht sich meiner Meinung nach dieses Werk einer Aufführung im öffentlichen Raum. Höchste Bewunderung verdient die Interpretin Anna Spina, die hoch konzentriert und mit aller gebotenen Ruhe agierte.

Instrument, Mensch und Maschine

Im Rahmen des Abschlussabends musizierte das Ensemble Phoenix Basel in großer Besetzung. Gespielt wurden aber auch zwei Solowerke mit Elektronik des Schweizer Komponisten Thomas Kessler. Obwohl die Werke „Piano Control“ und „Flute Controll“ bereits in den 70er- beziehungsweise 80er-Jahren komponiert worden sind, verströmten sie in ihrer individuellen Verbindung zwischen Spieltechnik am Instrument und Elektronik eine erfrischende Wirkung. In „Piano Control“ lotete Jürg Henneberger unterschiedliche Spieltechniken am Klavier aus und setzte sie in Beziehung zu einem alten Analog-Synthesizer. So entfalteten sich zahlreiche reizvolle Ton- und Klangtransformationen. Nur jene Passagen, in denen mit Clusterklängen Kulminationspunkte erzielt werden sollten, wirkten eher plakativ. Christoph Bösch setzte zahlreiche Zisch- und Luftgeräusche an seiner Flöte um. Über ein Fußpedal wurden diese mittels Live-Elektronik überlagert und über die Lautsprecher im Raum verteilt.

Stimme, Gesang und Instrumentalklang als Einheit

In guter Einverständnis wendeten sich die hervorragenden Ensemblemitglieder unter der Leitung von Jürg Hennenberger zwei Werken von Giacinto Scelsi zu. Ideal ergänzt wurden sie von der Sopranistin Marianne Schuppe, die sich mit ihrer Stimme nahtlos in das Ensemble eingliederte und Scelsis Werke „Khoom“ und „Pranam I“ meisterhaft interpretierte. Sie führte ihre Stimme überaus flexibel und mit einer variantenreichen Gestaltungskraft, so dass die einzelnen Facetten dieser Werke gut zum Ausdruck kamen.