Stefan Rüeschs Werke sind derzeit in der Galerie Sechzig in Feldkirch zu sehen. (Durchblick, Acryl u. Kohle auf Leinwand, 126 x 438, 2020, Foto: Markus Tretter)
Silvia Thurner · 15. Okt 2011 · Musik

Zeitklänge Festival – auch der Wiener Concertverein tröstete nicht über ein unbefriedigendes Konzerterlebnis hinweg

Im Rahmen des Zeitklänge Festivals gastierte der Wiener Concertverein im Landeskonservatorium Feldkirch. Gespielt wurden Werke von Schönberg, Schostakowitsch und von Alfred Huber, dem Festivalleiter. Ein hohes Qualitätsniveau darf man von diesen MusikerInnen erwarten, über weite Strecken wurde dieses auch erfüllt. Unter der Leitung von James Judd musizierte vor allem die Bratschistin Eszter Haffner engagiert. Jedoch ließen die Werkdeutungen und das Werk von Alfred Huber auch Fragen offen.

Der Kurator der „Zeitklänge“ hat es sich zum Ziel gesetzt, Musik des 20. und 21. Jahrhunderts zum Klingen zu bringen. In dieser Festivalsaison wird die Angst aus verschiedenen musikalischen Blickrichtungen beleuchtet. Gemäß diesem Motto passte die Kammersinfonie op. 110a von Dmitri Schostakowitsch hervorragend in das Programm, denn das ursprünglich für Streichquartett verfasste Werk ist den „Opfern von Faschismus und Krieg“ gewidmet.

Betroffenheit mit Schostakowitsch

Gleichzeitig kommt in der Musik die Verzweiflung über seinen eigenen schlechten Gesundheitszustand überaus beeindruckend zum Ausdruck. Beklemmend und doch mit zahlreichen Hoffnungsschimmern versehen, stellte der Wiener Concertverein das Werk in den Raum. Stets waren die OrchestermusikerInnen auf harmonische Farbgebungen und deren aufhellende bzw. verdunkelnde Wirkungen bedacht. Krasse Gegensätze und zahlreiche, detailliert ausgestaltete motivische Gesten bewirkten eine intensive Werkdeutung.

Spätromantische Gefühlswelt

Auch das Werk „Verklärte Nacht“, op. 4 von Arnold Schönberg ist ein Meilenstein der Musikgeschichte. Es ist ein Jugendwerk Schönbergs, das in der spätromantischen Tradition komponiert wurde. Voluminös wurde die Orchesterfassung vom Komponisten selbst erstellt; mit zahlreichen aufgewühlten Passagen und Soli, die die Zeit zum Stillstand bringen. Der Wiener Concertverein interpretierte das Werk mit routinierter Spielart, nicht oberflächlich, aber auch nicht sonderlich inspiriert. James Judd leitete die MusikerInnen mit ausgeprägter Gestik und vermittelnder Gestaltungskraft.

Der Erste unter Gleichen

Mit Spannung wurde Alfred Hubers Komposition „Primus inter pares“ für Viola und Kammerochester, op. 15 aus dem Jahr 2010 erwartet. Kurzfristig war Eszter Haffner als Solistin für den verhinderten Vladimir Mendelssohn eingesprungen. Dafür gebührt ihr besondere Anerkennung. Ihr Engagement für dieses Stück wirkte authentisch und kam in ihrer Spielweise gut zum Ausdruck. Das Stück selbst wurde von Krzysztof Kieślowskis Trilogie „Blau-Weiß-Rot“ und von Gedichten einer Freundin des Komponisten inspiriert.

Interpretation nicht durchwegs schlüssig

In sich wirkte die Komposition als abgerundetes Ganzes, unterschiedliche Affektgehalte kamen zum Ausdruck. Sphärische Klänge ließen im Mittelteil aufhorchen. Die Themen wurden zwar handwerklich gekonnt ineinander verflochten, dennoch hatte das Werk einige Längen. Die Rolle der Bratsche im Verhältnis zum Orchester war durch den Werktitel „Primus inter pares“ vorgegeben, wirkte jedoch in der Interpretation des Concertvereins nicht durchwegs schlüssig. Abschnittweise erhielt die Bratsche zu wenige Möglichkeiten, sich in ihrer Eigenart zu behaupten. Der Einsatz des Schlagwerkes kann unterschiedlich gedeutet werden. Am ehesten kam für mich die Rolle als Störfaktor, Damoklesschwert bzw. im Sinne des Festivalmottos als Angstgefühl in Frage. In den musikalischen Verlauf gliederten sich die Schlagwerkpassagen (egal, in welcher Betrachtung) nicht befriedigend ein.

An den eigenen Vorgaben scheitern

Alfred Huber ist es selbstverständlich freigestellt, wie und in welcher musikalischen Tradition er komponiert. Doch sein Bratschenkonzert und das Gesamtprogramm werden an jenen Maßstäben gemessen, die das Zeitklänge Festival vorgibt. Auf der Homepage steht prominent angemerkt: „DAS Festival für Neue Musik“. Im Hinblick darauf scheitert diese Art der Programmgestaltung zwangsläufig. Und aus diesem Dilemma helfen auch renommierte Orchester wie der Wiener Concertverein nicht heraus.

Viel Restauratives, wenige innovative Ideen

Alfred Hubers „Primus inter pares“ sowie die Programmgestaltung des gesamten Konzertes war symptomatisch für die Situation, in der sich die Rezeption der sogenannten Neuen Musik in Vorarlberg befindet. Werke, die bereits vor hundert Jahren entstanden sind, werden als „neu“ bezeichnet. Und wenn überhaupt Kompositionen mit einem aktuellen Entstehungsdatum zur Uraufführung gelangen, sind die meisten dieser sogenannten zeitgenössischen Werke fortschrittsfeindlich. Viel zu oft stellen sie lediglich Varianten von Kompositionsarten dar, die bereits vor Jahrzehnten ausgereizt und von wirklichen Meistern souverän beherrscht worden sind. Aufführungen von Kompositionen, denen nachhaltige und innovative Ideen zugrunde liegen, sind hierzulande rar geworden.