Musiker:innen aus Südafrika und Kolumbien prägen den besonderen Charakter des Pforte Kammerorchesters Plus. (Foto: Aron Polcsik)
Fritz Jurmann · 28. Mai 2013 · Musik

„Das Musikalische Opfer“: Bruno Oberhammer bewältigte bravourös Bachs Variationenkosmos über das „Thema Regium“ Friedrichs II.

Es ist nach wie vor unglaublich, was sich der international tätige Höchster Organist und mittlerweile pensionierte Professor für Tonsatz, Orgel und Kulturwissenschaften am Landeskonservatorium Feldkirch für seinen „Ruhestand“ vorgenommen hat: Nichts weniger als einen kompletten Zyklus aller Orgelwerke Johann Sebastian Bachs in 19 Konzerten im Laufe der vier Jahre von 2009 bis 2013, aufgeführt an der Rieger-Orgel zum 100-Jahr-Jubiläum der Pfarrkirche seiner Heimatgemeinde.

Ein Unterfangen, wie man es in unserem Land und auch im weiten Umkreis noch niemals erlebt hat. Auf der Zielgeraden bewältigte Oberhammer beim vorletzten Konzert am Montag, einen Tag vor seinem 67. Geburtstag, mit dem einstündigen „Musikalischen Opfer“ bravourös eines der komplexesten und schwierigsten Orgelwerke Bachs.

Das Thema des Königs


Die Geschichte hinter dieser Komposition dürfte bekannt sein. Die von Bach als „Musikalisches Opfer“ benannte Sammlung geht auf seinen legendären Besuch beim Preußenkönig Friedrich II. in dessen Potsdamer Schloss Sanssouci im Mai 1747 zurück. Bach sollte bei diesem Besuch u.a. eine besonders komplizierte Fuge über ein vom König gestelltes Thema improvisieren, was aber nicht zu Bachs Zufriedenheit ausfiel. Worauf der Komponist dem König versprach, er werde diese Arbeit schriftlich nachliefern. Er nahm dieses „Thema Regium“ (königliche Thema) zu Hause in Leipzig als Grundlage für eine Sammlung von zwei großen Fugen (Ricercai), zehn kanonischen Sätzen und einer viersätzigen Sonate. Verärgert über seinen eigenen improvisatorischen Misserfolg und motiviert vom wirklich großen Thema konnte er nur zwei Monate später dieses „Musikalische Opfer“ dem König darbringen, sehr zu dessen Freude und Vergnügen.

Bach war damals immerhin schon 62, und wie in den meisten Werken der Spätzeit ging es dem Komponisten auch hier um grundsätzliche Fragen der Tonkunst. Bach hat sie kompositorisch erörtert und auf der Basis des stets gleichbleibenden Themas exemplarisch vorgestellt: mit einer ins Höchstmögliche gesteigerten Kontrapunktik, mit allen denkbaren Möglichkeiten der Variationstechnik in schwierigsten Kanonsätzen und schließlich, als Konzession an den damals am Preußenhof herrschenden Zeitgeschmack, auch mit der Kombination verschiedener Stilbereiche.

Es war so etwas wie die Summe aus den Erfahrungen seines langen Musikerlebens mit über eintausend Werken, die er in diesem in seiner Art einzigartigen Werk einbrachte. Dazu kommt, dass Bach dieses Stück keiner bestimmten Instrumentengattung zugeordnet hat – man hört Teile daraus oder das gesamte Werk etwa auch mit Cembalo, Streichorchester oder großem Orchester, eher selten (auch in CD-Einspielungen) an einer Orgel.

Mit großer Ruhe und Überlegenheit


Umso größer die Herausforderung an Bruno Oberhammer, der „Das Musikalische Opfer“ natürlich auch als gewichtiges Orgelwerk einstuft und deshalb für seinen Zyklus nicht darauf verzichten wollte. Mächtig setzt er das königliche Thema in den Raum, beginnt mit großer Ruhe und Überlegenheit das sich daraus ergebende, zunächst „nur“ dreistimmige Ricercar. Bei den folgenden Kanons und Fugen, die in Krebsform oder Gegenbewegung geführt Bachs polyphone Kunst darstellen, behält er stets Übersicht und Klarheit in der Herausarbeitung der führenden Stimme, beschwört die Einheitlichkeit durch das gleichbleibende „Thema Regium“ und betont die sich wie ein roter Faden durchziehende, unglaublich modern wirkende Chromatik des Werkes.

Er versteht es auch, ungebrochen die Spannung zu halten, indem er etwa den dritten Kanon in der Nebenstimme so reich an Aliquoten-Registern ausstattet, dass die Grundtonart fast zu kippen droht; dass er sich mit besonderer Aufmerksamkeit den beiden Zirkelkanons nähert, die man als „Canones perpetuus“ endlos spielen könnte, lange bevor es ein „Perpetuum mobile“ gab; und dass er die beiden Rätselkanons exquisit registriert und farblich voneinander abhebt: den ersten geheimnisvoll dunkel, den zweiten mächtig auftrumpfend mit den Zungenregistern der Orgel. Die folgende viersätzige Triosonate hat Bach „modisch“ gestaltet, ohne sich selbst zu verleugnen, und genau so findet auch Oberhammer seinen Zugang, bevor er in Bachs finalem sechsstimmigem (!) Ricercar nochmals alle Kräfte bündelt, auf dessen Spuren alle Möglichkeiten des Kontrapunktes ausschöpft bis zum Schlussakkord in strahlendem C-Dur.

Bach – ganz persönlich


Bei alledem bleibt Bruno Oberhammer seiner ganz persönlichen Art, Bach zu spielen, treu, wie man sie schon in den vergangenen Jahren während dieses Zyklus immer wieder bewundert hat. Er fühlt sich in Phrasierung und Artikulation, in Stilistik, Gefühlsausdruck und Verzierungstechnik keiner Schule oder aktuellen Zeitströmung zugehörig oder verpflichtet, sondern allein dem großen alten Bach, der für ihn längst zum geistigen Übervater geworden ist. Dies alles geschieht, bei zu vernachlässigenden kleinen Ausrutschern, auf einem hoch professionellen Stand der Vorbereitung, einer tiefen gedanklichen Versenkung in den Gehalt des Werkes und mit bewundernswertem, auch physischem Durchhaltevermögen.

Eine ansehnliche Schar treuer Freunde Oberhammers bildet wie üblich das Stamm-Auditorium im mächtigen Kirchenraum und feiert mit dem Organisten auch die Schöpferkraft Bachs.

Letztes Konzert im Bach-Orgelzyklus in der Pfarrkirche Höchst:
Montag, 7. Oktober, 20.15 Uhr –
Dritter Teil von Bachs Clavier Übung (Bruno Oberhammer an der Rieger-Orgel) – Eintritt frei, freiwillige Spenden

Bruno Oberhammer verzichtet bei diesem Zyklus auf ein Honorar. Der gesamte Reinerlös der Konzerte kommt dem Sozialprojekt Lepra- und Tuberkulosezentrum in Abakalibi/Südostnigeria zugute.