„Ich ist eine Andere“- zum Fotobuch der Künstlerinnen Gabriele Ulmer und Yvette Heller mit Texten von Daniela Egger
„Wär mein Leben ein anderes geworden, wenn sie mich auf Natascha getauft und ich nicht hier, sondern sonst wo geboren und ich außerdem schwarzhaarig wär“, sang Hildegard Knef in den 1970er-Jahren in ihrem Lied „Natascha“ und thematisierte darin die Brüchigkeit der Identitätskonstruktion. Zwischen dem 6. und 18. Lebensmonat vollzieht sich bei einem Kleinkind die Entwicklung des Ichs. Dann vermag es sich im Spiegel zu erkennen. Doch „das Ich ist nicht das Ich“, konstatierte der französische Psychoanalytiker Jacques Lacan in Anlehnung an Sigmund Freud. Und auch Rimbaud wusste: „Ich ist ein Anderer“.
Aus der Frage heraus, wie das eigene Leben unter anderen Umständen verlaufen wäre, haben die beiden Künstlerinnen Gabriele Ulmer und Yvette Heller eine Porträtserie entwickelt, die nun – mit Texten von Daniela Egger ergänzt – in dem Buch „Ich ist eine Andere. Wär´mein Leben ein anderes geworden ...“ im Bucher Verlag erschienen ist.
Aus der fünfzehnjährigen Zusammenarbeit von Yvette Heller und Gabriele Ulmer sind zahlreiche Projekte entstanden, zum ersten Mal nun eine Fotoserie. Die Fotografie erhebt gewissermaßen den Anspruch, ernst gemeint zu sein, meint Gabriele Ulmer. Und genau diese Konnotation habe sie beide interessiert. Die Fotoserie beinhalte schließlich ein „Spiel mit der Wirklichkeit“.
Auf den ersten Blick posieren im Buch verschiedene Frauen in diversen Rollen: Mal als Rockerbraut, als sexy Vamp, Businesslady, biedere Hausfrau, Nonne, Sportlerin und so weiter. Doch auf den zweiten Blick entpuppen sich die Frauen als eine einzige: Yvette Heller, die frei nach Rimbaud die zentrale Behauptung des Projekts erhebt: Ich ist eine Andere!
Im Vorwort des Buches bezieht sich Winfried Nußbaummüller, der Leiter der Kulturabteilung des Landes auf Woody Allens Film „Match Point“, der - so Nußbaummüller - das Potenzial eines Augenblicks zelebriere. Die teils subtil, teils bewusst übertrieben zugespitzten Fotografien Gabriele Ulmers erinnern ihn an Manfred Deix´ „Comicrealismus“, „dessen Menschenbild ein offensichtlich ironisch übertriebenes und doch sehr ernsthaftes, weil vom Alltag der Straße bekanntes ist“.
Denkmuster reflektieren und hinterfragen
Wenn wir im Alltag Stereotypen und Klischees brauchen, um ein Gegenüber in kürzester Zeit einzuordnen und zuzuordnen, dann möchten Gabriele Ulmer und Yvette Heller mit ihrer Serie dazu einladen, eigene Denkmuster zu reflektieren und zu hinterfragen. Zwischen 2010 und 2012 haben die beiden fiktive Lebensgeschichten von Frauen entwickelt, um letztlich die Essenz einer Frauenbiografie in einem Foto zu destillieren. „Äußerst spannend“, aber „teilweise auch beängstigend“ sei der gesamte Prozess gewesen, erzählt Gabriele Ulmer. Denn die Freundin Yvette Heller, die sie schon so lange zu kennen glaubte, habe erstaunlich neue Facetten zum Vorschein gebracht. Das habe ihr gezeigt, dass die Sicherheit, jemanden auch wirklich zu kennen, eine nur scheinbare ist.
Persönlichkeitspotenziale
Exakt 37 Farbfotografien sind in dem Buch versammelt. 37 ist eine Primzahl, also unteilbar, und das hat einen guten Grund. „Wir haben die Serie bewusst offen gehalten und wollten deshalb keine runde Zahl. Es geht immer weiter.“
Die „Botschaft“ der Fotoserie, die zunächst im Rahmen einer Ausstellung in der Galerie Lisi Hämmerle in Bregenz zu sehen war, ist jedenfalls eine ermutigende, denn sie verweist auf die vielen Persönlichkeitspotenziale, die in jedem von uns schlummern und die nur darauf warten, entdeckt zu werden. „Aber warum jetzt darüber nachdenken, jetzt wo alles noch so leicht und zart ist zwischen uns? Es sind doch nur geschriebene Wörter, all diese Briefe stecke ich in einen rostigen Briefkasten, wissend, wie fröhlich ich danach nach Hause gehe, die Klappe lässt sich nur schwer öffnen, sie quietscht, Kugelschreiber, Papier, und du wirst nie erfahren, wer ich wirklich bin“, heißt es an einer Stelle in Daniela Eggers Textbeitrag.
Die Vorarlberger Autorin hat den Grundgedanken der Fotoserie aufgegriffen und literarisch weitergesponnen. In zehn Briefen, die nie abgeschickt werden, wird ein Gegenüber angesprochen. Egger hat dafür Textbausteine jeweils etwas anders angeordnet; die an sich geringfügige Montage erzeugt eine große Wirkung. Die Aussagen der Briefe nehmen plötzlich eine ganz andere Wendung. „Was ich schreibe wiederholt sich, die Wörter lassen sich nicht mehr tauschen, lange habe ich mich daran versucht, habe meine Finger blau gefärbt beim Ordnen und Wechseln der mühsam gesammelten Worte, ich habe sie geschrieben, knisterndes Papier, ein blauer Fleck, wenn du sie liest ist der vordere Knöchel meines Mittelfingers blau gefärbt, und meine Lippen auch.“
Daniela Egger ist überzeugt, sich in einer Zeit des Rollenwandels zu befinden, der unter den Geschlechtern für Verwirrung sorge. Dabei sei die Bandbreite noch längst nicht ausgeschöpft.
Der Fotoband „Ich ist eine Andere. Wär´ mein Leben ein anderes geworden ...“ wird im Rahmen einer Ausstellung beim diesjährigen Philosophicum zum Thema „Ich: Der Einzelne in seinen Netzen“ gezeigt.
Gabriele Ulmer, Yvette Heller, Daniela Egger, Ich ist eine Andere, Softcover, 108 Seiten, 20 Euro, Bucher Verlag, Hohenems 2013, ISBN 978-3-99018-203-1
Die Ausstellung zum Buch läuft noch bis Sonntag, 2. Juni in der Bregenzer Galerie Lisi Hämmerle. Öffnungszeiten: Mi bis So 14-18 Uhr und nach telefonischer Vereinbarung mit Gabriele Ulmer (+43 699 12708816)