L-E-V Dance Company mit „Into the Hairy“ beim Bregenzer Frühling (Foto: Katerina Jezz/L-E-V Dance/Bregenzer Frühling)
Michael Pekler · 13. Jul 2023 · Film

Neu in den Kinos: „Mit Liebe und Entschlossenheit“

Was findet man, wenn man die Liebe sucht? Die französische Filmveteranin Claire Denis seziert eine scheinbar glückliche Beziehung, die doch nur Sehnsüchte verbirgt. Großartiges Schauspielkino mit Juliette Binoche und Vincent Lindon.

Eine einfache Geschichte – une histoire simple – scheint dieser Film auf den ersten Blick zu erzählen. Sara (Juliette Binoche), eine Radiomoderatorin, und Jean (Vincent Lindon), ein Ex-Profisportler, leben seit neun Jahren in ihrer Pariser Dachgeschosswohnung glücklich zusammen. Es ist eine Beziehung, wie man sie erst im sogenannten fortgeschrittenen Alter findet: Sara hat, wie man nebenbei erfährt, eine Tochter, die offensichtlich woanders lebt; Jean einen jugendlichen Sohn, der bei der Großmutter aufwächst. Doch nun haben die beiden ihr Glück gefunden: Liebevoll und wertschätzend geht man miteinander um; nicht Routine, sondern Respekt und Aufmerksamkeit bestimmen den Alltag. Bis François (Grégoire Colin) auftaucht. François ist jedoch kein Unbekannter, sondern ein ehemaliger Arbeitskollege von Jean – und pikanterweise der Ex-Freund von Sara, die ihn damals für Jean verlassen hat. Nun möchte François die Partnerschaft mit Jean, der dringend einen Job sucht, wieder aufnehmen. Aber er möchte auch die Gefühle für Sara wieder aufleben lassen, die ,wie er, mit der vergangenen Liebe nie abgeschlossen hat.

Masken und andere Oberflächen

„Mit Liebe und Entschlossenheit“ („Avec amour et acharnement“) erzählt also keineswegs eine einfache Geschichte, sondern eine sehr besondere auf ebenso besondere Weise. Claire Denis, eine der angesehensten Filmemacherinnen Frankreichs, betrachtet das sich anbahnende Dreiecksverhältnis nämlich mit psychologischem Realismus: Nicht die Macht der Erotik dominiert den scheinbar unausweichlichen Lauf der Dinge – obwohl die fatale Anziehung natürlich eine große Rolle spielt –, sondern die zunehmende Unsicherheit der Beziehung. „Wenn man jemanden liebt, bleibt immer etwas davon übrig“, meint Sara einmal zu Jean durch die halb geöffnete Schlafzimmertüre, während er, einem Verlierer gleich, wortlos auf dem Bett sitzt. Das ist in diesem Augenblick weder Rechtfertigung noch Entschuldigung, sondern Erklärung. Aber ist das tatsächlich so, oder redet man sich das bloß ein, um die eigene Vergangenheit besser verstehen zu können – und damit sich selbst? Auch hinsichtlich dieser Frage kann „Mit Liebe und Entschlossenheit“ als Fortsetzung von Claire Denis‘ „Meine schöne innere Sonne“ (2017) betrachtet werden, in dem sich ebenfalls Juliette Binoche als alleinstehende Künstlerin auf der Suche nach der sogenannten „wahren“ Liebe befand. Dass man diese selten findet, wenn man sie sucht, sondern bestenfalls, wenn sie einen ereilt, versteht sich von selbst. Die Schutzmasken, die in diesem während der Covid-Pandemie entstandenen Film wiederholt getragen und von Denis souverän in die Erzählung integriert werden, wirken wie eine zusätzliche, buchstäbliche Verkleidung Saras, mit der ihre wahren Gefühle unter der Oberfläche verborgen bleiben: Was im Inneren bewegt, offenbart sich erst unter mehreren Schichten.

Das Richtige im Falschen

Doch weniger als für die Motive, die ihre Figuren antreiben, interessiert sich Denis – und eben das zeichnet diesen Film besonders aus – für deren Reaktionen: Welche Konsequenzen hat eine Zurückweisung? Genügt es zu behaupten, den Versuch eines Kusses abgewehrt zu haben? Oder dass einem jeder neu begonnene Satz, den man nicht zu Ende sprechen konnte, wertvolle Atemluft rauben würde? Als Jean seinen 15-jähriger Sohn, der aus seiner Beziehung mit einer Frau aus Martinique stammt, besucht, wirkt er vielleicht zum ersten Mal, allen Problemen des rebellischen Teenagers zum Trotz, ganz bei sich. Man habe immer die Möglichkeit sich zu entscheiden, erklärt er als Vater dem verstockten Burschen: einen Schulabschluss zu haben oder nicht; den richtigen Weg einzuschlagen oder den falschen. Und plötzlich wird klar, dass er dabei sich selbst meint. Denn wie Sara muss auch er sich, letztlich allein, für einen Weg entscheiden. Weshalb der Song, der einen über dem Abspann aus diesem Film begleitet, mehr ist als nur der perfekt passende englische Verleihtitel. „And all I have it slips right through. And all I have I threw, I threw“, raunen Tindersticks in „Both Sides of the Blade“. Dass am Ende, selbst wenn man sich für den richtigen Weg entschieden haben sollte, alles gut wird – dafür gibt es allerdings keine Gewissheit.