Mit Lehárs „Giuditta“ zurück in die Dreißiger!
Premiere beim Musiktheater Vorarlberg
Mit der Operette ist das heutzutage so eine Sache. Die einen stöhnen verächtlich den alten Kalauer „Operette sich wer kann!“, die anderen wollen damit die „gute, alte Zeit“ wieder heraufbeschwören, als der Großvater die Großmutter zur Frau nahm und diese Melodien aus dem Volksempfänger schallten. Das Musiktheater Vorarlberg (mtvo) wählte mit seinem Intendanten Nikolaus Netzer für die heurige Produktion im Dreisparten-Rhythmus die Flucht nach vorne und ließ Franz Lehárs letzte Operette „Giuditta“ von 1934 in der Regie des Tirolers Norbert Mladek mutig in der ungekürzten dreistündigen Originalfassung ihrer Entstehungszeit lebendig werden – als Erstaufführung in Vorarlberg. Auch durch die hochkarätige musikalische Darbietung unter dem Dirigenten Nikolaus Netzer eine tolle Leistung des 120-köpfigen einsatzfreudigen Teams mit Präsidentin Margit Hinterholzer. Bei der Premiere am Freitag in der gut besetzten Kulturbühne AmBach gab es am Schluss einhelligen Jubel für das gesamte Ensemble.
Ungetrübte Freude bereitet diese Aufführung sicher all jenen, die bereit sind, sich im Kopf in die Dreißiger zurück zu beamen und diese leicht verstaubte Version ohne alle aktualisierende Zusätze als Zeitdokument so verstehen, wie es damals entstanden ist. Doch auch für alle anderen gibt es zunächst eine längere Anlaufzeit zu überstehen, die sich zieht wie der berühmte Strudelteig. Der erste, eineinhalbstündige Teil des Werkes hätte durchaus ein paar kräftige Striche vertragen, wie etwa das nichtssagende und unbekannte Duett „Uns ist alles einerlei“ des reizenden Buffopaares, über das man damals wohl pflichtbewusst geschmunzelt haben mag, mit dem aber heute kaum mehr jemand etwas anzufangen weiß, schon gar nicht junge Leute, die den Mief dieser gekünstelten Fröhlichkeit nicht vertragen. Eine Generationenfrage, die kaum lösbar scheint.
Der Funke springt über
Hat man aber erst einmal diese Durststrecke überwunden, in der die Handlung sich trotz vieler Einfälle der Regie nicht wirklich spannend entwickeln will und der Applaus zur Pause noch zäh bleibt, springt der Funke nach Wiederbeginn endlich auf die Zuhörer:innen über. Wieder ist es das quirlige Buffopaar, das den entscheidenden Kick gibt und in mancher Hinsicht sogar den beiden Hauptdarstellern etwas die Show stiehlt. Im weiteren Verlauf der Handlung wird im anrüchigen afrikanischen Etablissement, in dem Giuditta als umhätschelter Star gelandet ist, beste und immer mehr auch dramatisch spannende Unterhaltung geboten, bis diese Operette als Besonderheit schließlich ganz ohne Happy End auskommt. Die beiden Liebenden wollen und können nicht mehr miteinander, zu groß sind die sozialen und emotionalen Unterschiede zwischen der attraktiven Tänzerin und dem strammen, eleganten Soldaten Octavio, der ihr zuliebe zuvor noch ans Desertieren gedacht hat.
Von Anfang an hilft einem bei dieser Geschichte natürlich Franz Lehár auf die Sprünge, der letzte Meister der „Silbernen Operette“, der auch in seinem Musiktheater-Vermächtnis die Melodien offenbar nur so aus dem Ärmel geschüttelt hat. Viele von ihnen haben zuletzt in den inzwischen eliminierten Radio-Wunschkonzerten oder auf den Bühnen von Mörbisch, Baden oder jetzt Götzis überlebt, ohne dass den meisten ihr Schöpfer oder ihre Herkunft aus einer Operette bekannt sein dürfte: „Freunde, das Leben ist lebenswert“, „Meine Lippen, sie küssen so heiß“, aber auch „Schön wie die blaue Sommernacht“, „Du bist meine Sonne“ oder „Schönste der Frau’n“. Sie sind den beiden Hauptpartien anvertraut, die sie charmant mit der notwendigen verliebten Operettenseligkeit ausstaffieren und ohne allzu viel Sentimentalität für heute erträglich machen.
Wechselberger „trägt“ den Abend
Da ist die Trägerin der Titelrolle, die Steirerin Bettina Wechselberger. Großer Respekt gebührt ihr allein dafür, dass sie neben ihrem Fulltime-Job als Direktorin der Bregenzer Musikschule die Einstudierung der anspruchsvollen „Giuditta“-Partie samt vieler Proben auf sich genommen hat. Durchaus mit Erfolg, denn als routinierte Bühnenpersönlichkeit „trägt“ sie diesen Abend, wächst von der unglücklichen Ehefrau zur strahlenden Diva und ist mit ihrem gut sitzenden Sopran auch stimmlich so präsent, dass es des Forcierens in der Höhe nicht bedurft hätte – sie kommt auch mit weniger Aufwand gegen das Orchester an. Der Liebhaber an ihrer Seite ist der slowakische Tenor Patrik Hornák als eleganter, manchmal etwas steifer Octavio, der den populären Lehár-Melodien seines Faches Kontur und Charakter gibt, dabei aber manchmal in der Höhe an seine Grenzen gerät. Mit einer reizend hellen und koloraturfreudigen Stimme ausgestattet ist die Anita von Jana Stadlmayr, sie findet im Bariton Daniel Raschinsky den idealen Partner für ein Buffopaar, das einem noch aus der „Zauberflöte“ im Vorjahr in bester Erinnerung ist. Raschinsky sorgt als verschrobener Professor Martini zudem für eine köstliche Einlage. Als bizarrer Ehegatte Manuele hat der Hohenemser Publikumsliebling Riccardo Di Francesco auch hier die Lacher auf seiner Seite.
Das Fundament dazu bietet das wie immer mit Topmusikern aus dem Land besetzte Orchester des mtvo. Unter der Leitung des lebenslang erfahrenen Musiktheater-Dirigenten Nikolaus Netzer blüht es in den oft etwas dicken Arrangements der Entstehungszeit farbenfroh auf, begleitet angemessen die Solisten, lässt diese durch Konzertmeister Markus Kessler wunderbar umspielen und zeigt in den subtil musizierten Zwischenakt-Musiken und Leitmotiven immer wieder, wie nahe sich Lehár gerade in seinem letzten Werk der Oper und speziell der Klangwelt Puccinis gefühlt hat.
Zwischen Liebe und Enttäuschung
Der hier bereits mehrfach erfolgreiche Regisseur Norbert Mladek hat sein Augenmerk vor allem auf den zwischenmenschlichen Bereich der beiden Hauptpartien gerichtet, zwischen Liebe und Enttäuschung gibt es da gar viele Emotionen glaubhaft darzustellen. Das gelingt alles in großer Natürlichkeit, auch das Bewegen des Chores, ohne dass es je das Gefühl eines Gedränges auf der engen Bühne gegeben hätte. Dazu wurde Mladek auch die Gestaltung des Bühnenbildes anvertraut. Er hat für den beschränkten Platz eine elegante Lösung mit drehbaren Spiegeln gefunden, die den Raum einerseits scheinbar vergrößern, aber auch Möglichkeit für schnelle Verwandlungen und Auftritte schaffen. Die Kostüme hat er im Charleston-Look der Zwanziger gestaltet, mit Glitzerkleidchen und Kopfschmuck der Damen und Frack bei den Herren.
Der Chor des mtvo bietet unter der kundigen musikalischen Leitung von Darina Naneva eine ansprechende Leistung und hat in dem personalintensiven Stück vor allem im Etablissement-Akt auch reizvolle parodistische Einzelaufgaben zu erfüllen. Daraus sticht die köstliche Figur des im üppigen Barockgewand auftretenden Lord Barrymore (Meinrad Müller) heraus, der als Verehrer mit starkem Vorarlberger Akzent Giuditta den Hof macht und damit andere aussticht. Schließlich das Ballett, denn eine Operette ohne „Ratten“ wäre wie eine Suppe ohne Salz. Da erfreut man sich diesmal an den ansehnlichen und professionell agierenden jungen Damen der Dance Art Company in den Choreografien von Christine Hefel.
Dauer: ca. 3 Stunden
Weitere Vorstellungen:
So, 8./ Di, 10./ Mi, 11./ Do, 12. Oktober, jeweils 19 Uhr
So, 15. Oktober 17 Uhr
Kulturbühne AmBach, Götzis, Karten unter office@mtvo.at, Tel. 0664 / 214 35 04