Das UNPOP-Ensemble zeigt derzeit das Stück "Fairycoin" im Theater Kosmos. (Foto: Caro Stark)
Michael Löbl · 18. Mär 2024 · Musik

Mission Skizzenbuch

Der Pianist und Musikwissenschaftler Hans-Udo Kreuels hat einige Stücke aus W.A. Mozarts „Londoner Skizzenbuch“ neu instrumentiert.

Im Rahmen eines Konzertes gemeinsam mit dem Collegium Instrumentale Dornbirn unter der Leitung von Guntram Simma sollten im Festsaal der Stella Musikhochschule die mit Hilfe von André Vitek instrumentierten Teile dem Publikum vorgestellt werden.

Zunächst die Hiobsbotschaft: Guntram Simma hatte einen kleinen Unfall und sah sich außerstande, das Konzert am vergangenen Samstagabend im Festsaal der Stella Privathochschule für Musik Vorarlberg mit dem Collegium Instrumentale zu dirigieren. Die Nachricht kam 24 Stunden vor der Aufführung und genauso lange hatte die Konzertmeisterin Barbara Gschwend Zeit, um die Partituren zu studieren, von der Ersten Geige ans Dirigentenpult zu wechseln und in einer einzigen Probe die neue Situation aufführungsreif vorzubereiten. Hut ab!

Ein Kind mit Tinte und Feder

Seit über 30 Jahren beschäftigt sich Hans-Udo Kreuels mit dem „Londoner Skizzenbuch“ von Wolfgang Amadeus Mozart. Es besteht aus 43 kurzen Stücken, von denen aber einige zweifellos zusammengehören und als Satzfolgen ganzer Werke betrachtet werden müssen. Mozart schrieb es im Alter von acht Jahren während eines längeren Aufenthaltes in England. Mehr als drei Jahre lang begaben sich Leopold und Anna Maria Mozart auf eine Reise quer durch Europa, um ihre hochbegabten Kinder Maria Anna und Wolfgang Amadeus bei Adelshäusern einzuführen aber auch um sie durch öffentliche Konzerte einem breiteren Publikum vorzustellen. Mozart hatte gerade erst gelernt mit Feder und Tinte umzugehen und konnte nun erstmals seine musikalischen Ideen ohne die Hilfe seines Vaters zu Papier bringen.
Hans-Udo Kreuels hat das Londoner Skizzenbuch 2003 in Zusammenarbeit mit dem ORF Vorarlberg für das Label Naxos aufgenommen, 2005 gab er eine von ihm revidierte und vervollständigte Urtextausgabe des Notentextes heraus und 2007 hat der Pianist ein wissenschaftliches Buch veröffentlicht: „Das Londoner Skizzenbuch des Wolfgang Mozart – Eine Annäherung an das Genie“. Bis heute beschäftigt ihn dieses Thema und es ist absolut faszinierend zu beobachten, mit welchem Elan sich Hans-Udo Kreuels für dieses Werk einsetzt und mit welcher inneren Überzeugung er seine Botschaft dem Publikum näherbringen will. 

Verschlüsselte Botschaften

Kreuels Credo lautet: Die kurzen Stücke sind keineswegs Skizzen, die irgendwann zu aufführungstauglichen Werken ausgearbeitet werden sollten, sondern ungefilterte Entwürfe, Übungen oder Ideen eines achtjährigen musikalischen Genies. Hinter der scheinbaren Einfachheit der Stücke verbergen sich verschlüsselte Botschaften, die man nur richtig deuten muss. Außer den schnell hingeschriebenen Noten hat Mozart keinerlei weiteren Angaben über Tempi, Vortragsbezeichnungen oder Instrumentation hinterlassen. Dadurch ist der Interpretationsspielraum natürlich riesig groß. 
Den Zuhörer:innen ohne jegliche Vorbildung erschließt sich die Musik des achtjährigen Mozart sehr unterschiedlich. Mit Hans-Udo Kreuels am Flügel erklangen an diesem Abend sieben der kurzen Stücke in ihrer neuen Instrumentalfassung, wobei das Klavier sowohl solistisch als auch als Continuo-Instrument im üppig besetzten Orchester eingesetzt wurde. Die zu einer Sonate in g-moll zusammengefassten Einzelteile KV 15q bis 15r beweisen tatsächlich eine erstaunliche Reife und klingen bereits verblüffend nach dem erwachsenen Mozart und seiner c-moll Klaviersonate oder dem Klavierkonzert in derselben Tonart. Andere Stücke wiederum erscheinen dem Hörer sehr schlicht, wie das „Allegro KV 15x“ oder das neu zusammengestellte „Londoner Concertino“, woran auch die neuen Orchesterfassungen nichts ändern können. Ein von Hans-Udo Kreuels als Zugabe gespielter langsamer Satz entwickelt dann wieder einen magischen Zauber, und plötzlich ist man doch überzeugt, dass der Pianist recht hat mit seiner Theorie, dass die Größe dieser Musik einfach noch nicht verstanden wurde.

Genialität eines Achtjährigen

Hans-Udo Kreuels, lange Jahre Dozent am damaligen Landeskonservatorium, hat seine Forschungen und Erkenntnisse sehr anschaulich moderiert, die perfekte Verkörperung eines Musikprofessors mit vielen verstreuten Notenblättern, einem Mikro, das nicht immer dort war, wo es hätte sein sollen sowie durch zahlreiche praktische Beispiele, gespielt auf dem Bösendorfer-Flügel. Einiges wurde vorausgesetzt, warum Mozart sich überhaupt in London aufgehalten hatte zum Beispiel. Wäre es keine gute Idee gewesen, Mozarts Handschrift des Skizzenbuches auf eine Leinwand zu projizieren und anhand der Noten dem Publikum die Genialität des Achtjährigen auch visuell zu verdeutlichen?
Das Programm wurde mit zwei Werken des reifen Mozart ergänzt: Hans-Udo Kreuels war der Solist im Konzertrondo 382, und das Orchester beschloss den Abend mit zwei Sätzen aus der Schauspielmusik „Thamos“ KV 345, einem Stück, das ebenso in Vergessenheit geraten ist, ganz ähnlich dem „Londoner Skizzenbuch“.

https://collegium-instrumentale.at
https://www.naxos.com/CatalogueDetail/?id=8.554769