Ein Ausnahmetalent: Tobias Jacob (Foto: Stefan Hauer)
Peter Füssl · 06. Mär 2025 · CD-Tipp

Marius Neset: „Cabaret“

Der norwegische Tenor- und Sopransaxophon-Virtuose sowie hochgelobte Komponist Marius Neset liebt die Abwechslung. Nach Großorchestralem für die London Sinfonietta und das Bergen Philharmonic Orchestra, nach einem Solo-Album und nach der letztjährigen Produktion mit seinem Landsmann, dem angesehenen Klassik-Pianisten Leif Ove Andsnes konzentriert sich der 40-Jährige nun wieder auf jenes Quintett, mit dem er 2022 bereits das erfolgreiche Album “Happy” herausgebracht hat. Mittlerweile hat die mit den beiden Tasten-Zauberern Elliot Galvin (Keyboards) und Magnus Hjorth (Piano) außergewöhnlich und mit dem ausgebufften Rhythums-Gespann Conor Chaplin (e-bass) und Anton Eger (drums/percussion) exzellent besetzte Formation unzählige Konzerte absolviert und ist längst zur Working Band des umtriebigen Saxophonisten geworden.

Eger und Hjorth zählen gar schon seit den gemeinsamen Studientagen bei Django Bates am Rhythmic Music Conservatory in Kopenhagen vor mehr als zwanzig Jahren zu Nesets engsten Weggefährten. Man kennt sich musikalisch also in- und auswendig, was die ideale Voraussetzung ist, um die extravaganten, mit unzähligen Raffinessen gespickten kompositorischen Ideen des Bandleaders adäquat umzusetzen. Ein Überraschungsmoment jagt den nächsten. So startet das Album mit dem Titelstück „Cabaret“, und das wiederum mit Straßengeräuschen und einem ungestümen Sax-Percussion-Duell, das zuerst eine funkige Bass-Linie und dann auch mitreißende Keyboard-Klänge für ultraschnelle Tänzer:innen tanzbar machen. Joe Zawinul, schau oba! Ein Gedanke, der einem öfters kommt, und auch Neset nennt den großen Meister als Quelle der Inspiration. Aber nach zwei Minuten schlägt das Stück in eine Art knallbunten Slapstick-Tingeltangel-Soundtrack um, wandelt sich dann ins Spacig-Psychedelische und biegt schließlich mit einer schönen Sopransax-Linie und sanften Piano-Klängen in ruhigere Gefilde ab, die aber von Egers ungemein quirliger Percussion vorangepeitscht werden und schließlich zum filmreifen Finale führen. Wohlgemerkt: bisher war die Rede von den ersten 5 Minuten und 36 Sekunden.


 

 


Noch rasanter geht’s mit dem zweiten, teilweise noisigen Fusion-Stück „Hyp3rsonic Cabar3t“ weiter – die zwei Dreier hat Neset als versteckten Hinweis auf den 33/8-Takt in den Titel eingefügt. Darauf folgt als akustisches Ruhekissen der wundervoll melodiöse „Song for Maya“, der sich im Mittelteil mit Hjorths eindringlichen Piano-Linien und Nesets hochemotionalem Tenor-Sax zu ganz großem Kino aufbauscht, um schließlich wieder in die Ausgangsstimmung zurück zu kippen. Beim voranpreschenden „P11“ dominieren futuristische Fusion-Klänge, „The Ocean“ ist ein von treibenden Beats angekurbeltes, sphärisches Klanggemälde, „Forgotten Ballet“ eine melancholische Preziose, und mit „Wedding in Geiranger“ hat sich Marius Neset sein eigenes Hochzeitslied geschrieben – erst romantisch, dann Volkstanz-mäßig und schließlich hymnisch-euphorisch. Für Abwechslung ist in dieser knapp einstündigen, grandiosen, musikalischen Achterbahnfahrt, mit diesem unglaublichen Sammelsurium aus rhythmischen, harmonischen und melodischen Ideen und den mehrfach ihre Stimmungen wechselnden Kompositionen also jederzeit gesorgt. Und dabei wirkt alles trotz aller Vielfalt wie aus einem Guss und trotz aller Ausgeklügeltheit keineswegs akademisch. Vielmehr überträgt sich der stets spürbare Spaß, den die Musiker bei den Aufnahmen im auf der norwegischen Insel Giske in wundervoller Lage direkt am Meer gelegenen Ocean Sound Studio hatten, nahtlos auf die Hörerschaft.

(ACT)

Dieser Artikel ist bereits in der Print-Ausgabe der „KULTUR" März 2025 erschienen. Hier geht es zum E-Paper.