Christian Petzolds federleichter Beziehungsfilm "Roter Himmel" derzeit in den Kinos (Foto: Piffl Medien)
Peter Füssl · 28. Apr 2024 · Musik

Manu Delago & Mad About Lemon – Hang zum Gesang

Der Tiroler Hang- und Handpan-Virtuose präsentiert sein neuestes Album und ein paar ältere Paradenummern mit drei Vokalistinnen am Dornbirner Spielboden

Der bald einmal 40-jährige Manu Delago spielt eine sehr zentrale Rolle für das erst um die Jahrtausendwende in Bern erfundene, aus zwei mit Klangfeldern versehenen, zusammengeklebten metallischen Halbkugeln bestehende Instrument Hang. Er hat einerseits – es war ja noch vieles Neuland – wichtige Spielweisen und Soundmöglichkeiten erfunden, und zum anderen durch seine jahrelange Zusammenarbeit mit Björk und Anoushka Shankar das Instrument auch auf großen Bühnen erst so richtig populär gemacht. Auf seinen rund fünfzehn Alben erwies sich der ausgebildete Jazz-Schlagzeuger aber auch als höchst experimentierfreudiger Komponist, der stets auch ein gutes Händchen für außergewöhnliche Konzepte und musikalische Kooperationen hatte. Das Tiroler Frauen-Vocals-Trio Mad About Lemon und das aktuelle Album „Snow From Yesterday“ beweisen dies wieder einmal eindrücklich. Auch live!

Konzert gekoppelt mit Mal-Aktion

Zu den sanften, melodischen Rhythmen von „Immersion“, die der Kontrabassist und langjährige Delago-Weggefährte Clemens Rofner dezent mit Synthie-Klackern akzentuierte, begannen die Sängerinnen Anna Widauer, Mimi Schmid und Valerie Costa – alias Mad About Lemon – drei 80 x 100 cm große Leinwände mit Acrylfarbe zu bemalen. Abstrakt und in Blau und Türkis gehalten, passend zum Leitmotiv des Abends: Wasser in all seinen Erscheinungsformen und den damit verbundenen Problematiken. Delago hatte ja auch schon auf früheren Alben ein geschärftes Bewusstsein für Umweltzerstörung, Klimakatastrophe oder Artensterben bewiesen. So folgt als nächstes Stück „Polar Bear“, in dem Mad About Lemon in berückender Schönheit das jämmerliche Schicksal der Eisbären besingen, die in ihren dahinschmelzenden Habitaten jegliche Nahrungsquellen verlieren – inspiriert von einem Foto, das Delago bei der Wildlife Photographer of The Year-Ausstellung in London gesehen hat, das einen Eisbären in schwarzer Umgebung zeigt, dessen weißes Fell keinerlei Tarnung mehr bietet und auf bedrückende Weise nur noch skurril wirkt. Berückender Feengesang auch in „Slow-Mo Moving River“, in dem Delago mit dem Besen auf den Drums perkussive Akzente setzt und daran erinnert, dass Gletscher nichts anderes als unendlich langsam fließendes Wasser und somit dauernd in Veränderung sind. Bevor es gar zu beschaulich wird, arbeiten die Damen weiter an ihren Bildern, und Manu Delago intoniert das quirlige „Freeze“ vom 2017-er-Album „Metromonk“ dazu, von dem es auf YouTube auch eine sehr schöne Fassung mit Delago im Hochgebirge gibt.

Sphärisch-sanfter Gesang in reizvoller Diskrepanz zu ernsten Themen

Darauf folgt wieder ein Stück vom aktuellen Album, nämlich „Docklands“, das uns zur Themse in Delagos langjährigem Hauptwohnsitz London führt – und somit zum Wasser als Schifffahrtsstraße und als Route für kolonialistische Plünderungen. Clemens Rofner spielt hier Kontrabass, aus der Handpan zaubert Delago berauschend exotisch wirkende Grooves, und der sphärisch-sanfte Gesang erhält durch die Diskrepanz zu den ernsten Themen wie so oft auf diesem Album einen sehr speziellen Reiz. Das trifft in ganz besonderem Maße auch auf „Stay Afloat“ zu, in dem das Gesangstrio in einer Art sanften Beschwörungsrituals die Namen der durch das Ansteigen des Meeresspiegels vom Untergang bedrohten Städte singt: „Miami, Amsterdam, Mumbai / Chennai, Jakarta, Ho Chi Minh / Manila, Tokyo, Shanghai / New York / Osaka / Venezia“. Dazu bearbeitet Delago auf spartanische Weise die Drums, zaubert mit dem Geigenbogen aus winzigen Minibecken kleine Dissonanzen, und der Synthie lässt auf gespenstische Weise die Fluten steigen.  

Solo-Gesänge, Noise-Attacke und spinnenfreies Zwischenspiel

Während ihre Kolleginnen malen, verzaubert Mimi Schmid – verhalten und eindringlich zugleich – mit „Dearest“, einem indisch angehauchten, nahezu hypnotisch wirkenden Song vom Album „Silver Kobalt“ (2015). Von dort stammt auch „Chemical Reaction“, das Anna Widauers ausdrucksstarke Stimme perfekt in Szene setzte.

Nicht weniger eindringlich geriet „Paintings on The Wall“, wieder vom neuen Album, das Delago für seinen kürzlich verstorbenen Stiefvater, einen Kunstmaler, textete und komponierte und mit dem Gesangstrio bei dessen Beerdigung uraufführte. Wie schon den ganzen Abend lang, standen die Sängerinnen keineswegs immer in Gruppenformation, sondern verteilten sich oft über die ganze Bühne, setzten mit Perkussionsinstrumenten Akzente oder malten an den Bildern weiter. Nach einer Stunde wurde das Publikum dann vom ersten wirklich lauteren Stück von den Stühlen gerissen – „Zeitgeber“ vom Album „Circadian“ (2019), bei dem man den studierten Schlagzeuger Delago (klassisches Schlagwerk am Mozarteum, Jazz-Schlagzeug an der Guilded School of Music & Drama in London) einmal so richtig an den Drums erleben durfte, und das sich zu einer ordentlichen kleinen Noise-Attacke weiterentwickelte. Witzig geriet ein perkussives Zwischenspiel, an dem sich alle Protagonisten auf der Bühne mit aus Bambus gefertigten Klanggeräten beteiligten. Delago erzählte dazu die Geschichte, er habe die Instrumente direkt in Indonesien bestellt. Nach elf Monaten seien sie endlich angekommen, allerdings mit einer riesigen toten Spinne im Karton. Da er sich nicht sicher sein konnte, ob das Monster vor seinem Ableben noch irgendwo in den Instrumenten letzte Eier deponiert hatte, wurden sie vorsichtshalber für vier Jahre zwecks Quarantäne in den Keller verbannt.

Aufwühlendes Finale

Ins Finale ging es dann mit dem Titelsong „Snow From Yesterday“ – unglaublich warmer, intim wirkender Trio-Gesang, unterstützt von ebensolchen Handpan-Klängen und gestrichenem Bass. Magische Schneeflocken tanzen vom Himmel, bringen die Welt unter einer flauschigen Decke zur Ruhe – aber das ist alles Schnee von gestern. Denn die Geschichte, die Manu Delago dazu erzählt, ist jene, dass er innerhalb von 20 Jahren an genau derselben Stelle vor einem Gletscher je ein Foto gemacht habe – auf dem zweiten Foto war der Gletscher bereits verschwunden. Zum Abschluss gab es dann noch zwei auch musikalisch aufwühlendere Stücke vom 2013-er-Album „Bigger Than Home“: „A Long Way“ überzeugte als flottes Stück mit Ethno-Einschlag und rückte Valerie Costa perfekt ins Rampenlicht. Bei „Medina“ rockte Manu Delago nochmals an den Drums und Anna Widauer präsentierte sich von ihrer experimentellen und stimmgewaltigen Seite. Ein echter Knaller zum Abschluss eines exzellenten und vielfältigen Konzerts mit einem etwas eigenartigen Nachspiel: die drei an diesem Abend gemalten Bilder wurden signiert und nach dem Konzert versteigert – die Preise bewegten sich zwischen 80,- und 333,- Euro. Vielleicht gingen die Erlöse ja an die Gletscherforschung.