L-E-V Dance Company mit „Into the Hairy“ beim Bregenzer Frühling (Foto: Katerina Jezz/L-E-V Dance/Bregenzer Frühling)
Michael Löbl · 28. Apr 2024 · Musik

Würdiger Abschluss der Bregenzer Meisterkonzerte

Am letzten Abend des Meisterkonzerte-Abonnements 2023/24 war das Bergen Philharmonic Orchestra unter seinem Chefdirigenten Edward Gardner im Festspielhaus zu Gast

Wer am Samstagabend trotz strahlendem Sonnenschein bereits um Viertel vor Sieben ins Festspielhaus gekommen war, tat dies nicht ohne Grund. Sie oder er wollte zur Konzerteinführung mit Bettina Barnay-Walser. Locker, unterhaltsam, kompetent und wie immer bestens vorbereitet stimmt sie das Publikum auf den Konzertabend ein und auch als musikalisch gebildeter Mensch erfährt man jedes Mal etwas Neues. Diesmal zum Beispiel, dass das Ehepaar Dvorak nur zwei seiner sechs Kinder nach Amerika mitgenommen hat, während die restlichen vier bei ihrer Grossmutter in Prag bleiben mussten. Vielleicht mit ein Grund, warum Antonin Dvorak seine sehr erfolgreiche und äußerst lukrative Tätigkeit als Direktor des National Conservatory of Music in New York bereits nach zweieinhalb Jahren wieder beendete.

Einen Preis für das originellste Konzertprogramm werden die Norweger:innen diesmal wohl nicht bekommen: „Der Zauberlehrling“ von Paul Dukas, Mendelssohns Violinkonzert mit Veronika Eberle als Solistin und Dvoraks Symphonie Nr. 9 „Aus der Neuen Welt“ im zweiten Teil. Quasi als Visitenkarte spielen das gerne tschechische (wegen Dvorak) oder amerikanische (Neue Welt) Musiker:innen, diesmal also ein norwegisches Orchester mit einem englischen Dirigenten. Natürlich sind Orchestertourneen aufwendig und teuer, Veranstalter:innen sind auf die Einnahmen angewiesen und brauchen ausverkaufte Säle. Man geht daher kein Risiko ein und setzt am liebsten bekannte Werke auf das Programm, die beim Publikum „ziehen“. Dvorak hat allerdings neun Symphonien geschrieben, ab der dritten sind alle qualitativ ebenbürtige Meisterwerke. Leider hat keine einen so griffigen Beinamen wie die Neunte, vermutlich einer der Gründe, warum gerade diese Symphonie so inflationär oft zu hören ist. 

Eines der ältesten Orchester der Welt

Das Bergen Philharmonic Orchestra wurde 1765 gegründet und zählt damit zu den ältesten Orchestern der Welt. Der norwegische Komponist Edvard Grieg hatte eine enge Beziehung zu den Musikern aus Bergen, die ein Beweis sind für das hohe Orchesterniveau auch ausserhalb von Metropolen. Auf Österreich bezogen kann man es vielleicht mit dem Brucknerorchester Linz vergleichen, das übrigens am darauffolgenden Abend in Dornbirn gastierte, und das ebenfalls mit dem Violinkonzert von Mendelssohn. Bergen Philharmonic überzeugt durch ausgewogenen Klang, eine sehr homogene Streicher:innengruppe und durch hervorragende Bläser:innen. Eine spezielle Klangfarbe oder ein bestimmter Stil war zwar nicht zu erkennen, aber das ist ein allgemeiner Trend bei internationalen Orchestern. Allerdings scheint es derzeit einige offene Schlüsselpositionen zu geben, beide Flötistinnen, einen der beiden Solooboisten und den Ersten Hornisten dieses Abends sucht man auf der Homepage des Orchesters vergeblich. 

Selbstkritischer Komponist

Man hat den Eindruck, dass die Chemie stimmt zwischen dem Orchester und seinem Chefdirigenten, dem smarten Engländer Edward Gardner. Große emotionale Ausbrüche sind seine Sache nicht, sehr wohl aber eine fein abgestimmte Dynamik und die gut ausgearbeitete Klangbalance. Bemerkenswert waren vor allem zahlreiche instrumentale Einzelleistungen: die vier Fagotte in Dukas‘ „Zauberlehrling“, in Dvoraks „Neuer Welt“ dann die Flöten, natürlich die Englischhornistin mit ihrem berühmten Solo im langsamen Satz, aber auch die vier Hörner und die auffallend präsente Pauke.
Die Vertonung von Johann Wolfgang von Goethes Ballade „Der Zauberlehrling“ von Paul Dukas ist ein typisches „One-Hit-Wonder“. Der Franzose, befreundet mit Claude Debussy und Lehrer unter anderem von Olivier Messiaen, war mit einem Großteil seines kompositorischen Schaffens unzufrieden und hat viele dieser Partituren vernichtet, darunter auch eine ganze Oper, „Der Sturm“ nach Shakespeare. Einige Werke allerdings haben überlebt, eine grossartige Symphonie in C-Dur beispielsweise, die aus unerklärlichen Gründen aber nie in  Konzertprogrammen zu finden ist. Wie hat Paul Dukas den „Zauberlehrling“ kennengelernt? Konnte er gut genug deutsch? Oder gab es eine Übersetzung? Goethes Reimform ist in der äußerst plastischen, farbigen Musik mitkomponiert Edward Gardner und sein Orchester zeichneten das missglückte Experiment des armen Zauberlehrlings mit schillernden Farben und dramatischem Impetus.  

Fulminanter Mendelssohn

Solistin im Violinkonzert von Felix Mendelssohn Bartholdy war die deutsche Geigerin Veronika Eberle, und man erinnerte sich an ein denkwürdiges Triokonzert im Rahmen der Schubertiade Schwarzenberg im letzten Juni gemeinsam mit der Pianistin Connie Shih und dem Cellisten Steven Isserlis. Veronika Eberle hat in München bei Ana Chumachenko studiert, ebenso wie Julia Fischer, Lisa Batiashvili oder Rudens Turku, derzeit Professor an der Stella Musikhochschule. Es gibt mehrere Möglichkeiten Mendelssohns Violinkonzert zu interpretieren. Entweder man folgt dem rasanten Puls der Musik, ordnet auch die lyrischen Passagen diesem pulsierenden Charakter unter oder aber man gestaltet jeden Abschnitt einzeln in Bezug auf Tempo, Rhythmus und Ausdruck. Veronika Eberle hat sich eindeutig für die zweite Version entschieden. Im ersten Satz kostet sie jeden Ton in den langsameren Abschnitten aus, nimmt das Tempo bewusst zurück, um dann wieder in den musikalischen Fluss überzuleiten. Kann es sein, dass sie sich zu Beginn auf der Bühne noch nicht zu hundert Prozent wohl fühlte? Ihr Ton klang noch etwas bedeckt und es fehlte die gewisse Selbstverständlichkeit, die für dieses Werk unbedingt erforderlich ist. In der Mitte des langsamen Satzes verzogen sich dann die Wolken, ein goldener Geigenton in allen Lagen stellte sich ein, das Vibrato schwang ganz natürlich und Mendelssohns fulminantes Finale wurde mit jenem virtuosen Augenzwinkern serviert, das man in diesem Schlusssatz erwartet. Die Bravorufe des Publikums wurden durch eine Zugabe belohnt.
Auch nach der Dvorak-Symphonie gab es eine Zugabe, zwar nicht norwegisch aber immerhin aus Skandinavien: den „Valse triste“ von Jean Sibelius. Edward Gardner ist parallel zu seiner Position in Bergen auch Chefdirigent des London Philharmonic Orchestra und wird demnächst die Position des Musikalischen Leiters der Norwegischen Nationaloper in Oslo übernehmen. Insgesamt war es ein würdiger Abschluss der Bregenzer Meisterkonzerte, er macht neugierig auf die nächste Saison. Am 7. Juni können sich die Abonnenten im Rahmen des neuen Formats „Meisterkonzerte unterwegs“ auf ein interessantes Konzert in München unter der Leitung von Simon Rattle freuen.

Mehr Infos zum Programm unter: www.bregenzermeisterkonzerte.at