Stefan Rüeschs Werke sind derzeit in der Galerie Sechzig in Feldkirch zu sehen. (Durchblick, Acryl u. Kohle auf Leinwand, 126 x 438, 2020, Foto: Markus Tretter)
Peter Füssl · 30. Jän 2023 · CD-Tipp

Little Simz: No Thank You

Mit ihrem vierten, im September 2021 veröffentlichten Album „Sometimes I Might Be Introvert“ schaffte die davor schon zehn Jahre lang als Geheimtipp gehandelte Little Simz (bürgerlich: Simbiatu Abisola Abiola Ajikawo) nicht nur die Festigung ihres exzellenten Rufs unter den Kritikern, sondern auch den kommerziellen Durchbruch. Genau diesen und die damit verbundenen Enttäuschungen thematisiert die Nordlondonerin nun auch in ihrem ohne jegliche Vorankündigung vierzehn Monate später nachgelegten und leider nur digital verfügbaren fünften Album „No Thank You“ – ein Überraschungscoup, sprachlich und musikalisch auf allerhöchstem Niveau.

„They don’t care if your mental is on the brink of somethin‘ dark / As long as you’re cuttin‘ somebody’s pay slip / And sendin‘ their kids to private school on a spaceship / Yeah, I refuse to be on a slave ship / Give me all my masters and lower your wages“ – ein paar Zeilen aus dem Opener „Angel“, einer knapp sechsminütigen, an Schärfe und Deutlichkeit keinerlei Wünsche offenlassenden Suada gegen die ausbeuterische Musikindustrie. Denn jeder mache aus ihrem Namen Geld, außer sie selber, beklagt sich Little Simz an anderer Stelle – vielleicht auch ein Verweis auf ihren langjährigen, mittlerweile geschassten Manager und auf ihre wegen Unfinanzierbarkeit abgesagte US-Tournee. Sich an das große Geld anzubiedern und Marktmechanismen zu unterwerfen, kommt für die mittlerweile 28-Jährige ebenso wenig in Frage, wie Kompromisse angesichts gesellschaftlicher und sozialer Missstände einzugehen – da steht in den Lyrics zwar „No merci“, aber sie spricht es wie „No mercy“ aus, keine Gnade also, was ihren Intentionen wohl noch mehr entspricht als einfach „nein danke“ zu sagen. Kritische Künstler:innen, die breiten Erfolg haben und plötzlich allgemein beliebt sind und bewundert werden, bekommen nicht selten bei ihrer Stamm-Klientel ein Glaubwürdigkeitsproblem. Diesem unerwünschten Effekt beugt Little Simz mit wortgewandter und kämpferischer Kaltschnäuzigkeit vor, aber sie hinterfragt sich trotz allem Selbstbewusstseins immer wieder auch selber, was ihre Authentizität nur noch steigert. Etwa in „Broken“, mit dem sie kollektive Traumata abhandelt: „Am I even enough? Then you question yourself / Man, this week has been tough, been saying that for a year / How do I disappear? Can I hide from my fears? / Sometimes a feather can feel like a stone / When your soul weak, you can feel that shit in your bones.“

Musikalisch ist „No Thank You“ vielleicht nicht ganz so opulent wie das mit dem renommierten Mercury-Prize ausgezeichnete Vorgänger-Album, aber Little Simz Jugendfreund und Stamm-Produzent Inflo greift auch hier wieder – ähnlich wie bei seinem eigenen ausufernden und extrem gehypten Projekt Sault – tief in die Trickkiste, um den genialen Redeschwall der einzigartigen Rapperin stets mit den passenden musikalischen Einfällen zu befeuern. Pompöse Bläser-Fanfaren zum minimalistischen Kontrabass („Gorilla“), Streicher-Attacken, Soul-Chöre und Orchesterklänge in Kombination mit vorantreibenden Drums („Silhouette“, „X“) und immer wieder Sault-Sängerin Cleo Sol im Background. In Endlosschleife aneinandergereihte Vocal-Schnipsel („Sideways“) und Synthi-Samples („Who Even Cares“) und zum Finale noch „Control“, eine herzergreifende Piano-Soul-Ballade zum Thema Liebe: „Promise to take my hand and never let it go / ’Cause your love is all I have and all I know / Take control.“ Aber keine Angst, Little Simz taugt nicht wirklich zum Eskapismus und wird auch künftig aus ihrem Herzen keine Mördergrube machen. Und wer es gerne ein bisschen schärfer hat, kann ja im Handumdrehen jedes andere Stück dieses famosen Albums anwählen.

(Forever Living Originals/AWAL)