Neu in den Kinos: "Die Unschuld" (Foto: Wild Bunch Germany/Plaion Pictures)
Peter Füssl · 27. Jän 2023 · Musik

Geniale Jazz-Bösewichte – Memplex am Spielboden

Das in Wien ansässige Quintett Memplex hat letzten Sommer mit „Villains“ („Bösewichte“) das dritte Album herausgebracht, dessen Vinyl-Ausgabe nun mit einer Mini-Tournee gefeiert werden sollte. Allein, die schwarzen Scheiben wurden nicht zeitgerecht fertig, was wenig verwundert, wenn man weiß, wie unglaublich überlastet die meisten Presswerke sind. Dem musikalischen Vergnügen am Dornbirner Spielboden tat dies allerdings beim Auftakt der Jazz&-Reihe im Frühjahr keinerlei Abbruch.

Unglaublich stimmiger Band-Sound

Trompeter Mario Rom, Tenorsaxophonist Werner Zangerle, Pianist Philipp Jagschitz, Kontrabassist Walter Singer und Drummer Niki Dolp sind vielbeschäftigte Musiker der österreichischen Jazz-Szene und spielen nun schon seit gut zehn Jahren zusammen. Was bald einmal wohltuend auffällt, ist der unglaublich stimmige Band-Sound, wie perfekt diese Individualisten aufeinander abgestimmt sind, mit welch großen Ohren sie aufeinander hören. Am deutlichsten tritt dies bei den beiden Bläsern zutage, wenn sich Mario Roms Trompete und Werner Zangerles Tenorsaxophon besonders in Unisono-Passagen nahtlos aneinanderschmiegen, nahezu zu einem einzigen Sound verschmelzen. Aber auch die beiden aus Innsbruck stammenden Rhythmiker sind perfekt aufeinander eingespielt. Niki Dolp, den man von Lukas Kranzelbinders Shake Stew her kennt, treibt auf dem Schlagzeug das musikalische Geschehen sensibel voran, nicht ohne mitunter mit knüppelharten Extraschlägen ganz besondere Akzente zu setzen – kein Wunder, verfeinerte er doch seine Spieltechnik dereinst bei Alphonse Mouzon und Billy Cobham. Walter Singer wiederum studierte bei Peter Herbert und stellt seine einfallsreichen Spaziergänge über den Kontrabass neben Memplex auch noch unterschiedlichen Klassik-Projekten oder Mira Lu Kovacs‘ Schmieds Puls zur Verfügung. Zwischen dem Rhythmus-Gespann und den Bläsern tummelt sich Philipp Jagschitz zumeist mit geschickt reduzierten, aber durchaus spannungsgeladenen Piano-Klängen, er versteht sich aber auch auf Experimentelles und auf neo-romantische Klangwolken.

Wohldosierte Eskapaden

Wie eine gute Komödie nicht ohne dramatische Einsprengsel auskommt, funktioniert ein sich aus angenehm ins Ohr gehenden Melodien und wundervollen Harmonien speisender Wohlklang nicht ohne überraschende musikalische Ausritte, unerwartete Brüche oder die Grenzen sprengende Soli – halt alles, was dem fortgeschrittenen Jazz-Fan den größten Spaß macht. Mario Rom, dessen exquisites Spiel man unter anderem bei Shake Stew oder seinem Trio Interzone zu schätzen lernte, steigert manche seiner Läufe auf höchst eindrucksvolle Weise ins Exzessive und lässt seine gebogene Trompete glühen. Und auch der vielseitige Werner Zangerle versteht es, sich zu verblüffenden expressiven Ausbrüchen zu steigern. Wohldosierte Eskapaden, die zumeist wieder in ruhigem Fahrwasser enden, aber die grundlegend herrschende entspannte Atmosphäre entscheidend aufpeppen.

Fünf Komponisten – ein Sound

Alle Bandmitglieder steuern Kompositionen bei, die man sich wohl wechselseitig auf den Leib geschrieben hat, sodass alles trotz stilistischer Unterschiedlichkeit letztlich doch wie aus einem Guss wirkt. Sozusagen fünf Komponisten – ein Sound. Aus Zangerles feiner Feder stammt das mit einem tief grummelnden Kontrabass beginnende „Nachtlied“, das Piano-Showcase „Seltaeb“ und das ungestüm-expressive, experimentierfreudige, neobop-artige „The You And The I“. Bassist Singer komponierte ein mit „Richard“ bezeichnetes, lebendig-kreatives Klangchaos, das in die coolen Piano-Grooves von „Karli“ übergeht. „Pointilistic“ heißt eine experimentelle Jagschitz-Miniatur mit davongaloppierenden Drums, grummelndem Sax und sich (in der Live-Version) überschlagender Trompete – ein faszinierendes Gewirr hektisch hingetupfter Melodiefragmente. Wie der coole Soundtrack zu einem unbedingt noch zu drehenden Film wirkt Niki Dolps „Mantra for Mavie“. Zentral in der Mitte des Konzerts (und auch des Albums) liegen die zwei Kompositionen von Mario Rom: Das wehmütig-melancholische „Still Tiring“ mit romantischem Piano-Intro und mit Sax- und Trompeten-Soli wundervoll zelebrierter Bedächtigkeit – das ist natürlich viel zu schön, um zu ermüden. Gleich ordentlich zur Sache geht es hingegen beim lauten, kraftvoll rumpelnden Titelstück „Villains“, das mit expressiv kreischendem Sax, atonal-geräuschhaftem Intermezzo und gleißend greller Trompeten-Ekstase ganz großes Kino für die Ohren bietet. Ja, solch geniale Jazz-Bösewichte lieben wir!