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Annette Raschner · 19. Apr 2021 · Literatur

Wortwörtlich und buchstäblich: „vor lauter krimi“

gekritzelzeilen verbrecherischer ansichtiger unsichtbarkeiten verspricht ein neues Büchlein mit Gedichten, die der Vorarlberger Peter Langebner in der Tradition der Konkreten Poesie geschrieben hat. Einen lyrischen Krimi noir nennt der von Rainer und Chiara Juriatti vor einem Jahr gegründete Kollektiv Verlag das Buch „vor lauter krimi“, dessen Titel bereits die Doppelbödigkeit und Vieldeutigkeit der Texte verrät. Es empfiehlt sich, diese laut zu lesen!

Peter Langebner, Autor, bildender Künstler, Regisseur und Therapeut liebt das freie Spiel mit Worten, Redewendungen und Sätzen und verwendet die phonetischen, visuellen und akustischen Dimensionen der Sprache als literarische Mittel. „experimentelle kriminal listig“ nennt er seine Texte in dem Gedichtband „vor lauter krimi“, für deren Entstehen der „Zufall des Unvorhergesehenen“ eine wichtige Rolle gespielt hat.

krimi noir

mit
der sprache
in die
tiefe
bohren

bis
zu den untersten sätzen

wie konnte es dazu kommen
wenn es nicht
hätte sein sollen?

und mit
spitzer feder
dunkler tinte

die ermordung
schwarz
vertuschen

Peter Langebner sieht sein ausgeprägtes Interesse für das Kriminalistische beruflich begründet. Als Therapeut einer freien Praxis und eines Ateliers für hypnosystemische Psychotherapie und Kunsttherapie sei er häufig mit menschlichen Verletzungen, Traumata und Abgründen konfrontiert. Spannend sei für ihn das Verhältnis von Lüge und Wahrheit beziehungsweise das Dechiffrieren dessen, was unter der Oberfläche brodelt: „Es ist der experimentelle Versuch, dramatische Welten voller Fallen wortwörtlich oder buchstäblich entstehen zu lassen; in einem Gedicht, das nur aus wenigen Wörtern oder sogar nur aus Lauten besteht, einen ganzen kriminalistischen Vorgang oder eine spezifische menschliche Verhaltensweise darzustellen.“

klickten

die kameras

klickten
und
klickten
und
klickten
und klickten

den politiker

in die handschellen

foto des jahres

Sowohl als Autor als auch als bildender Künstler verzichtet Peter Langebner auf Opulenz. In seinen Bildern verwendet er meistens nur zwei oder drei Farben, und in seinen Texten lässt er viel Raum für die Fantasie der Leserschaft. „Ich mag schwarz und weiß, da sind die Konturen scharf. Da gibt es dann eine Trennlinie, bei der man sagen kann: das ist die Oberfläche, und das ist die untere Fläche. Oder das Bewusstsein und das Unterbewusstsein.“

Der kreative Akt

Von Relevanz ist die Setzung einzelner Wörter wie „unfassbar“, „ratz eputz“ oder „schuss“, deren Kraft und teilweise auch Brutalität sich auf diese Weise offenbart. Entscheidend ist aber auch der Abstand zwischen den Wörtern und Sätzen. Insgesamt ist es ein verspieltes, lustvolles und sinnliches Drehen, Wenden und Ausprobieren, das den kreativen Akt des Schreibens sichtbar macht und die Sprache selbst ins Zentrum rückt. „Zeitlebens haben mich fragmentarische Wortspielereien – man denke etwa an Ernst Jandl – sehr angesprochen“, sagt Langebner.

Mit der Sprache in die Tiefe bohren

So manche Ereignisse machen sprachlos und stumm, dann bleibt dem Autor nur eine Art „Gestammel“ übrig. Sein Buch sei der Versuch, erzählt Langebner, Verbrechen mit Sprachlosigkeit und Sprache in ihren verschiedenen Ausformungen einen künstlerischen Ausdruck zu verleihen und innere Vorgänge „laut“ werden zu lassen; seine Art von Musikalität!
Peter Langebner schreibt gerne im Zug, vorzugsweise aber in der Nacht. Er brauche die Stille, um Laute zu produzieren: „In der Stille beginnen dann die Buchstaben zu tanzen. Derart entstehen manchmal zufällig Reime oder Gedichte.“
Doch auch wenn der Autor dem Zufall eine wichtige Funktion einräumt; bei den Themen bleibt der Vorarlberger konkret und zeigt sich als kritischer, aufmerksamer Beobachter gesellschaftlicher Vorgänge. Das Verbrecherische macht bekanntlich auch vor dem Ländle nicht halt; in „vor lauter krimi“ thematisiert Langebner unter anderem die Testamentsaffäre oder den Prozess rund um den früheren Feldkircher Bürgermeister. „Es gibt immer einen realen Bezug. Ich ermittle, aber halt im literarischen Sinne; mit Lauten, Wörtern und Sätzen.“
Auch der Humor kommt nicht zu kurz, wenn etwa das gleiche Gedicht zwei Mal abgedruckt wird, damit es – so die Aufforderung des Autors – einmal laut und das andere Mal geflüstert gelesen wird. Die Erklärung liefern die verschiedenen Titel: „schuss ohne schalldämpfer“ und „schuss mit schalldämpfer“.
Wer Lust an der Mehrdeutigkeit und Vielstimmigkeit der Sprache hat, der sollte sich dieses kleine Büchlein nicht entgehen lassen. Es macht hellhörig und lädt dazu ein, bei der Wahl der eigenen Worte Achtsamkeit und Sorgfalt walten zu lassen. Denn Achtung! – Auch Sprache kann tödlich sein.

Annette Raschner ist Redakteurin des ORF-Landesstudios

Peter Langebner: vor lauter krimi, Kollektiv Verlag, Graz 2021, 101 Seiten, Taschenbuch, ISBN 978-3-9519863-5-7, € 12
Verlagsshop: www.juriatti.net/shop