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Annette Raschner · 13. Sep 2021 · Literatur

„Wer warten kann, der hat Glück“

Vor drei Jahren ist die aus Hard stammende, in Augsburg lebende Autorin Christina Walker zum bereits zweiten Mal mit dem Literaturpreis des Landes Vorarlberg ausgezeichnet worden. Elf Jahre nach dem Gewinn des Literaturstipendiums, wie die Auszeichnung damals noch hieß, erhielt sie den ersten Preis für die ersten drei Kapitel eines Romanprojekts. Das Projekt ist nun zum Roman gereift und als solcher unter dem lapidaren Titel „Auto“ im Verlag braumüller erschienen. Es handelt sich um Christina Walkers Romandebüt.

In ihrem Brotberuf ist Christina Walker Werbetexterin. Die mit dem Vorarlberger Literaturpreis verbundene Summe von 7.000 Euro hat es ihr ermöglicht, für eine gewisse Zeit beruflich etwas leiser treten zu können, um ihren ersten Roman zügig und krisenfest fertig zu schreiben. „Ich bin eine Morgenarbeiterin, die sich, wenn sie einmal am Schreibtisch sitzt, nicht mehr so leicht ablenken lässt. Ich schreibe immer, ohne ein fertiges Konzept im Kopf zu haben; fange also an und schaue, wohin es mich führt. Das war diesmal auch nicht anders und hat ohne große Stolpersteine funktioniert.“

Sinnkrise

Kurz und bündig Busch heißt die Hauptfigur; ein Mann mittleren Alters, glücklich verheiratet, Vater eines zehnjährigen Sohnes namens Matti und – bis vor kurzem noch – als Vertreter für Bücher ständig unterwegs. Aber Busch hat gekündigt, und er ist ausgezogen. Allerdings nicht aufgrund einer Krise mit Susanne, sondern mit sich selbst. Er zieht nicht weit weg, er zieht vielmehr in sein altes, nicht mehr fahrtüchtiges Auto, das im Hof steht und beschließt, vorerst nur noch an die Wettervorhersage und an den täglichen Apfel zu glauben. Sein Ziel formuliert er für sich so: Das Nichtstun und das schlichte Da-Sein auszuhalten. Seine drei ersten Regeln lauten: Jede Fremdbewegung vollständig vermeiden. Alle Eigenbewegung auf das Nötige und Wichtige reduzieren. Mit Vorwürfen sparsam umgehen.

Die Größe des Stillstands

„Ich komme an und ich nehme Abschied“, sagt Busch zu seinem Kumpel Markus auf die Frage, weshalb er die ganze Zeit im Auto sitze. Hermann lobt seinen Protest gegen die Umweltverschmutzung und die drohende Klimakatastrophe, doch es geht Busch eben gerade nicht um das Weltklima und die große Politik. Seine Befindlichkeit steht im Zentrum des drastischen Experiments. Er könne nun einmal Erschütterungen besser aushalten als Geschwindigkeit. Psychiater Dr. Hoffmann, mit dem er wöchentlich telefoniert, hat eine Diagnose schnell parat: Amaxophobie – er wird sie aber bald in eine andere umformulieren: Tachophobie. Beides hilft Busch herzlich wenig. Dafür beruhigt ihn das Beobachten der Ameisen und das Zählen. 53 Schritte sind es von der Hausecke bis zum kleinen Café-Bistro, in dem Markus arbeitet; Markus, der Probleme mit seiner Freundin Gitti hat, weil sie über Nacht, wie er sagt, achtsam geworden ist.

Adieu Systemkonformismus!

Mit dem gerade für das Thema Sinnkrise so nötigen Augenzwinkern erzählt Christina Walker die an sich sehr ernste Geschichte eines von Angstzuständen gequälten Mannes, der keinen anderen Ausweg aus der Krise mehr sieht als den Fast-Total-Stillstand. Mit seinem speziellen Weg der Selbstbehauptung und -findung eckt er naturgemäß an, obwohl er niemandem etwas zuleide tut. Indem er den Stillstand erprobt und seine Wahrnehmung schärft (er erkennt beispielsweise, dass es zwölf Arten von grau gibt!), provoziert er seine Umgebung, die Tag für Tag umherschwirrt, um zu funktionieren, sprich: systemkonform zu bleiben. Und auch in anderer Hinsicht ist die Aufgabe des Stillstands eine herausfordernde. Kälte und Nässe quälen ihn, und die Nebenwirkungen machen sich sukzessive bemerkbar. „An ihm und am Auto… er überlegt, ob Autos eine Art Natur haben, der man zuwiderhandeln kann. So wie er der menschlichen Natur zuwiderhandelt, indem er sich in einem zu kleinen Raum aufhält und sich zu wenig bewegt. An das ganze soziale Gefüge, dem er mit seinem Verhalten zuwiderhandelt, mag er gerade gar nicht denken.“

Liebe im Ausnahmezustand

„Wer warten kann, der hat Glück“, konstatiert Busch, den die Sehnsucht nach seinem Sohn Matti und seiner Frau Susanne zusetzt, die sich zunehmend von ihm abzuwenden scheint – und man kann es ihr nicht wirklich verübeln. Im Gegensatz zu ihm ist sie ein Musterbeispiel an Effizienz und Disziplin. Jeden Morgen um halb 7 läuft sie an seinem gestrandeten Auto vorbei, um in den Stadtpark joggen zu gehen. Susanne ist „seine Braunschweiger Atomuhr“. Busch träumt zwar von einer Neuauflage ihrer Beziehung unter anderen Vorzeichen, aber wie diese aussehen sollen, weiß er nicht so recht. Er ist nun mal kein wilder Haudegen, sondern ein zurückhaltender Typ von der Sorte Romantiker. „Er glaubt an die Liebe und daran, dass sie einem Bahnhof gleicht. Hin und her, empfänglich für Zugluft und Hoffnung gleichermaßen. Und manchmal so unsterblich wie ein Ameisenvolk.“

Berührendes Debüt

Es ist wahrlich kein einfaches Unterfangen, ein Buch über Stillstand zu schreiben. Herr Busch stellt die Geduld seiner Familie ordentlich auf die Probe, und Christina Walker macht dies mit ihren Leserinnen und Lesern ebenso. Sie erzählt ihre Geschichte mit Sorgfalt, Ruhe und viel Sympathie für die Figuren und vermag auf diese Art und Weise zu berühren. „Das Buch ist gewachsen,“ sagt die Autorin. Die vielen Verästelungen und Verzweigungen seien so nicht geplant gewesen. Sie hat gut daran getan, den verschlungenen Wegen schreibend zu folgen und mit ihrem Helden vertrauensvoll mitzugehen. Einem Helden, der sich aufmacht, indem er zum Stillstand kommt.
„Vom anderen Ufer her hatte das orange Licht einen Teppich über den See bis vor seine Füße ausgelegt. Nichts stand im Weg. Er nahm die Einladung an und machte einen Schritt und noch einen. Schritt für Schritt, bis der orange Teppich mit ihm ins Wasser sackte. Musste das sein? Die guten Lederschuhe, sagte Susanne und warf sie in den Müll. Es hat sich gelohnt, sagte er. Ich war im Licht.“

Christina Walker: Auto. braumüller verlag, Wien 2021, Seiten ca. 208, Hardcover, ISBN-13: 978-3-99200-309-9, € 20

Lesungen Christina Walker
17.9., 20 Uhr, Galerie im Dorfsaal, Langenegg
20.10., 20 Uhr, Landesbibliothek Bregenz, Kuppelsaal
15.12., 19.30 Uhr, Theater am Saumarkt, Feldkirch